Der Bergfrauendoktor. Thomas Schmidt

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Название Der Bergfrauendoktor
Автор произведения Thomas Schmidt
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783862221455



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brauche einen Testkandidaten.“

      „Wiederschaun, Herr Rohrbisler.“

       S/M ist ein Erweiterungspaket und wird auch im zwischenmenschlichen Bereich angewandt. Oder allein im stillen Kämmerchen. Draußen Oberstudienrat, privat Kellermeister, Sklave, Windelträger. Man verschleudert auf Teilzeitbasis Amt und Würde, man taucht ab und ein in eine Mischung aus Urin und Sperma. Mit einem Haken: Im Himmel, nach dem Abgang, wenn man durch das Licht geschwommen ist und den großen Feuerkreis erreicht hat, der einem entflammten Anus ähnlich sieht, wird keiner warten, weil alle tief enttäuscht sind.

      So stellt Stürzel sich das so vor.

       Den Katzenschwanz in die Luft gereckt wird an der warmen Milch geschleckt. Welch‘ Katze macht sich dabei schon Gedanken zu der Produktion?

      Ein paar Häuser weiter. Heinz Oberlechner zieht sich den Eisenbahnerkittel über, verschließt bedächtig die blauen Knöpfe und macht sich daran, in den Keller zu steigen. Man kann sich das so vorstellen: Eine Lok, die schon viel zu lang durch einen Tunnel düst und der Ausgang ist nur ein kleiner Lichtfleck, nicht größer als ein Staubkorn. Wobei Herr Oberlechner betont langsam nach unten steigt. Das Knarren der Stufen dehnt sich und wird in seinem Schädel zu einer Sinfonie. Durch eine Tür, durch einen schmalen Gang in einen Raum und wenn man es nicht besser wüsste: Hobbykeller.

      Auf einer Spanplatte steht das originalgetreue Modell einer Bergkette. Im Maßstab 1:3500. Pappmaché, Puderzucker, Eierschalen, Haferflocken und Griebenschmalz. Eine sanfte Steigung, grün gezuckert, vereinzelt stehen Plastiktannen. Darüber, aus einem Steinhang heraus, erheben sich drei schroffe, ineinander verzahnte Bergmassive. Eine wunderschöne, liebevoll gestaltete Landschaft. Landschaft Nummer Zehn. Bestehend aus Henkerkamm, Galgenspitze und Waisenwipfel.

      Herr Oberlechner sieht sich um, betrachtet die aufgestellten Schaukästen, die in den Regalen stehen. Darin: zersprengtes Papier, geschmolzene Bäume. Die Überreste des Höllensteins. Daneben die des Teufelsjochs und der Schnitterbergklamm.

      Herr Oberlechner denkt an den Reporter, der ihn heimgesucht hat. Von dem er meint, dass er ihn heimgesucht hat. Das müsste vor ein paar ­Tagen gewesen sein. Vielleicht auch vor Wochen. Irgendwann in dieser Zeit. Herr Oberlechner un­­tersucht das nicht näher.

      Der Reporter wollte gehört haben, dass Herr Oberlechner ein Spezialist für Bergtopographie sei und sicher etwas zu den ständigen Murenabgängen sagen könne. Aber das Interview ist dann sozusagen selbst zu einer Mure geworden.

      Er hat den Mann vom Radio in den Keller geführt und ihm seine Modelle gezeigt.

      „Modelle der Wirklichkeit.“

      „Beeindruckend, Herr Oberlechner!“

      Der Reporter hat sogleich das Aufnahmegerät eingeschaltet. Und ist direkt eingestiegen in das Interview: „Herr Oberlechner. Sie können anhand Ihrer Modelle Murenabgänge vorhersagen ...“

      Anstatt aber etwas Gescheites zu antworten, hat der Oberlechner die Faust gehoben. Ungewöhnlich langsam. Und am höchsten Punkt hat er die Faust geschüttelt wie wenn man einem Lausbub hinterher schimpft, der einem die Schnürsenkel zusammengebunden hat. Und dann ist die Faust brutal im Teufelsjoch eingeschlagen.

      Der Reporter ist direkt weggezuckt und hat mit zitternder Stimme in sein Gerät hineindiktiert: „Gleich kommt die Mure.“

      Plötzlich hat der Oberlechner eine Axt gehabt. Und der Reporter ist aus der einen Deckung in die nächste hinein.

      „Jetzt zeig ich dir mal einen Murenabgang. Und zwar einen, der sich gewaschen hat!“

      Mit einem asiatischen Kampfgruß hat der Oberlechner sich den Kittel vom Körper gerissen. Die Knöpfe sind gegen die Wände. Der Reporter hat das Aufnahmegerät wieder abgeschaltet.

      „Elendiger! Elendiger!“

      Oberlechners Stimme hat sich regelrecht überschlagen. Mehrfach. Speichel ist gespritzt. Volle Ladung auf den Reporter und das Aufnahmegerät.

      „Abbrechen?“, hat der Reporter gefragt.

      „Abbrechen!“, hat der Oberlechner gebrüllt und dem Höllenstein den Gipfel vom Hals gerissen. Sein Gesicht war rot und aufgebläht.

      Der Reporter ist rückwärts die Treppe hinauf und mit großen Schritten aus dem Haus geflüchtet.

      Herr Oberlechner verschließt die Erinnerung an den Reporter in einer defekten Schublade. Weil: Kein Schub mehr.

      Jetzt zerrt Oberlechner an den Knöpfen. Bis der Kittel fällt. Dann: Kernschmelze, Götterdämmerung, Himmelfahrt. Oberlechner hackt, sprengt große Löcher in die Pappmasse.

      „Ihr macht mich nicht kaputt!“, brüllt er.

      Sein Kopf droht zu platzen.

      „Ihr macht mich nicht kaputt!“

      Er zerdrückt einen Hof, ballt ihn zu einer Kugel, zerstampft mit den Füßen einen Wald, wühlt sich dann in die Überreste und liebkost und küsst die Bergtrümmer.

       Unten im Keller sitzt der Katzenmeister Wartet auf die Katzengeister Auf dass sie ihm ein Opfer bringen Und ihm grausig Lieder singen.

      Stürzel erwacht aus tiefem Schlaf, legt ein Bein auf die Bettkante, tastet mit dem großen Zeh nach seinen Schlappen.

      Vor dem Fenster kriecht Nebel. Es ist kalt. Das Feuer im Kamin ist erloschen, Rosa bereits auf der Pirsch.

      Stürzel kratzt sich erst am Sack, dann am Kopf. Er schnuppert an seinem Finger – ein männlicher Automatismus. Immer auf der Jagd: nach Beute, nach neuen Gerüchen.

      Wieder ein Tag. Stürzel fühlt sich matt. Seine Träume zertrümmern den Rest an Lebensfreude mit Inbrunst. Er fühlt sich dauerhaft erledigt. Nicht depressiv. Manisch schon. Kaputt auch. Auto kaputt, Motor futsch, geht nur noch das Licht – so in etwa. Den mit Schlafmitteln erzwungenen Schlaf bezahlt er Morgen für Morgen mit ausufernder Agonie.

      Augen auf. Das Satellitentelefon schrillt, es lässt nicht nach. In Stürzels Kopf wird eine Nummer gewählt, Bilder rollen, Projektoren werden angeworfen. Stürzel erinnert sich.

      Bei der Abschlussprüfung wird am lebenden Schwein praktiziert. Für den Bauern ist das Schwein laufendes Geld. Für den normalen Menschen laufendes Essen. Und für die Wissenschaft ein laufendes Testobjekt.

      Das Schwein ist schon ziemlich gar, im übertragenen Sinn. Es rollt mit den Augen und versucht, sich ganz klein zu machen. Es strengt sich richtig an, windet sich, knurrt sogar. Aber es gibt kein Entrinnen für das Schwein, es ist an einem Gynäkologenstuhl fixiert.

      In dem nackten Raum liegt eine unsichtbare Schwingung, die die Schritte nachhallen lässt. Alles Gesprochene klingt wie das Echo nach dem Sprung.

      „Schweine ähneln dem Menschen – nicht nur was die Hautfarbe angeht.“, erklärt der Professor, der die Prüfung abnimmt. „Bestimmte Bereiche wie Gesichtsausdruck und Nase haben durchaus etwas Menschliches …“

      Stürzel nickt.

      „So, Stürzel, jetzt zeigen Sie mal wo der Gynäkologe seinen Wolkenpalast hinsetzt.“

      Die Sau quiekt.

      „Wir wollen Chlamydien feststellen. Was wäre der erste Schritt?“

      „‚Grüß Gott‘ sagen.“, sagt Stürzel.

      „Und schon ein Punkt weniger. Noch so eine dumme Bemerkung und sie dürfen im Frauenknast praktizieren.“