Das süße Gift des Geldes. Bhavya Heubisch

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Название Das süße Gift des Geldes
Автор произведения Bhavya Heubisch
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783862223756



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elendiger.“

      „Red nicht so unverschämt daher.“ Drohend schwang Kramer seinen Stock. „Ein dreckiges Häuslergesocks seids, ein dreckiges. Und wennst mir noch einmal so unverschämt kommst, jag ich dir die Gendarmen auf den Hals.“ Schimpfend machte er sich davon.

      Hannes sah die Geldkatze unter dem Wams und schlich dem Kramer nach.

      Kramer, die Hand fest auf den Beutel gepresst, eilte die Straßen entlang, ging durchs Isartor und bog ein zum Lueg ins Land. Bückte sich vor seinem frisch verputzten Haus, stocherte den Schlüssel ins Schloss und verschwand.

      Hannes huschte durch das Holztürl neben dem Haus in den verwilderten Garten. Kämpfte sich durchs Brombeergestrüpp, kletterte auf den Holzstoß an der Wand und spitzte durch das Fenster im oberen Stock. Hörte den Kramer streiten mit seiner Frau. Ein Holzscheit verrutschte, der Stoß krachte zusammen, Hannes donnerte ins Gestrüpp.

      Schon flog das Fenster auf. „Wer da?“, schrie der Kramer.

      Tief duckte sich Hannes zwischen die dornigen Zweige. Rührte sich nicht, bis das Fenster zuging. Dann stahl er sich hinaus auf die Straße und pfiff leise vor sich hin. Den Kramer würde er im Auge behalten. Und zum „Goldenen Licht“ würde er irgendwann auch noch gehen. Schauen, ob der Krüppelige nicht bloß gelogen hatte.

       Hundsviecher

      Adele ging mit einem Weidenkorb unterm Arm durch die Herzogspitalstraße. Schon lange hatte sie sich vorgenommen, der wundertätigen Madonna in der Spitalkirche eine Kerze zu opfern. Und um Hilfe wollte sie die Madonna bitten. Dass ihre Geldgeschäfte so gut weiterliefen wie bisher. Plötzlich spürte sie einen heftigen Stoß, schrie auf, stolperte, blieb mit dem Schuh am Randstein hängen und fiel der Länge nach hin. Ihre Hände schrammten über den Boden, ihr Ellbogen krachte aufs Pflaster.

      Benommen hob sie den Kopf und schaute ungläubig auf den Vicenti, der neben ihr auf der Straße lag. Blickte auf das verbeulte Hochrad, das gegen die Hauswand gedonnert war. „Was um alles in der Welt …“

      „Um Gottes willen!“ Vicenti rappelte sich auf, griff nach ihrer Hand und zog Adele hoch. „Verzeihen Sie! Bitte verzeihen Sie. Sind Sie verletzt?“

      Adele betastete ihren Ellbogen, bewegte vorsichtig den Arm. „Gebrochen ist er jedenfalls nicht.“ Kopfschüttelnd deutete sie auf das Velociped mit dem riesigen Vorder- und dem winzigen Hinterrad. „Das ist ja lebensgefährlich. Wie können Sie sich auf so was bloß draufsetzen?“

      Wütend stieß Vicenti mit dem Fuß einen Stein zur Seite. „Der ist schuld. Über den bin ich gefahren. Deswegen hat es mir das Vorderrad weggezogen.“ Er lehnte das Velociped gegen einen Laternenpfahl, klopfte den Staub von seiner Hose und musterte Adele besorgt: „Soll ich Sie zu einem Doktor bringen?“

      Sie schob den Ärmel ihrer Bluse hoch und begutachtete den Ellbogen. „So schlimm ist’s nicht. Wird nur einen sauberen Bluterguss geben.“ Sie strich ihren Rock glatt und sammelte den verstreuten Inhalt ihres Korbes ein: zwei Opferkerzen und einen Bund geweihter Palmzweige. „Aber einen Kaffee könnt ich jetzt gebrauchen.“

      „Darf ich Sie ins Kaffeehaus Schimon einladen?“

      „Wär mir schon recht. Und was machen Sie mit dem da?“ Sie deutete auf das Zweirad am Laternenpfahl.

      „Das hol ich später.“

      Sie gingen zum Marienplatz und bogen ein in die Kaufingerstraße. Adele, die immer wieder ihren Arm betastete, sprach kein Wort.

      Vicenti versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen. „Das Radfahren bereitet mir viel Freude. Ich bin sogar in den Velociped-Club vom Conrad Gautsch eingetreten. Am Velocipedbergl bei der Maximilianstraße üben wir das Auf- und Absteigen und das Treten den Berg hinunter. Hat man erst einmal die Balance gefunden, ist es ganz einfach. Na ja, nicht immer, wie Sie gesehen haben.“

      „Warum gehn Sie nicht einfach zu Fuß? Vom Rad fallen können Sie dann jedenfalls nicht.“

      „Wenn Sie wüssten, wie schön es ist, wenn einem die Luft um die Nase weht. Aber da sind wir schon.“ Mit einer Verbeugung öffnete er die Tür zum Kaffeehaus.

      Der Garderobier nahm Vicentis Hut und Adeles Korb in Empfang. Ein Ober eilte herbei, geleitete sie an einen freien Tisch und schob Adele den gepolsterten Sessel zurecht. „Gnädiges Fräulein wünschen?“

      „Eine Melange und ein Glas Portwein.“

      „Für mich das Gleiche.“ Vicenti strich über Adeles Arm. „Tut es noch weh?“

      „Geht schon. War wohl mehr der Schreck.“ Sie lehnte sich zurück und betrachtete die funkelnden Lüster, deren Strahlen sich in den Wandspiegeln brachen. Die Seidenvorhänge, die sich an den Fenstern bauschten und den Salon in gedämpftes Licht tauchten. Fast alle Tische waren besetzt, von feinen Damen, die sich die berühmte Ludwigstorte schmecken ließen, von gewichtigen Herren, die dem Wein zusprachen. Leises Plaudern erfüllte den Raum.

      Der Ober, den Rücken servil gebeugt, servierte die Melange in hauchdünnen Tassen, den Portwein in geschliffenen Kristallkelchen.

      Vicenti erhob das Glas und lächelte Adele an. „Auf Ihr Wohl. Ich hoffe, Sie verzeihen mir.“

      „Auf Ihr Wohl. Zum Glück ist Ihnen nicht mehr passiert. Sie hätten sich leicht die Rippen brechen können.“

      „Da haben Sie völlig recht. Das Radfahren ist nicht nur wegen der holprigen Straßen gefährlich. Schlimmer ist, dass wir Velocipedler bei den Münchnern nicht gerne gesehen sind. Stellen Sie sich vor: Neulich hat einer dem Gautsch bei voller Fahrt den Spazierstock in die Speichen gerammt. Der Sturz war mörderisch. Ein gebrochener Arm, ein gebrochener Fuß. Aber reden wir nicht mehr von mir. Was hat Sie in die Herzogspitalstraße geführt?“

      Adele wollte gerade antworten, als ein Mann, das Jackett locker über die Schulter geworfen, die Hand in der Hosentasche, an den Tisch trat. „Herr Vicenti, was für eine Freude, Sie wiederzusehen.“

      Vicenti stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Ganz meinerseits. Wieder auf der Suche nach einer Skandalgeschichte?“

      „Heute will ich nur ein Glas Wein trinken. Sie glauben ja nicht, wie es zugeht in der Redaktion. Die Meldungen über die neue Polizeiverordnung überschlagen sich. Die dürfte Sie interessieren: Ab heute dürfen Velocipedler nur noch auf breiten Straßen fahren. Erwischt man sie in engen Gassen, ist eine saftige Strafe fällig.“

      Vicenti seufzte. „Statt sich um das Gesindel zu kümmern, das die Straßen unsicher macht, machen sie uns das Leben schwer. Aber darf ich Sie dem Fräulein Spitzeder vorstellen?“ Er wandte sich an Adele: „Fräulein Spitzeder, das ist Herr Vecchioni, der Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten“.

      Adele hatte dem Gespräch interessiert zugehört. Konnte nicht schaden, einen Chefredakteur zu kennen. Mit gönnerhafter Geste wollte sie ihm einen Platz an ihrem Tisch anbieten. Doch bei dem abfälligen Blick, mit dem Vecchioni sie musterte, ließ sie die Hand wieder sinken und nickte ihm nur kühl zu.

      „Ich darf mich empfehlen.“ Vecchioni drehte sich um und setzte sich an einen freien Tisch.

      Auch Vicenti nahm wieder Platz. „Merkwürdig. So kurz angebunden kenne ich den Herrn Vecchioni gar nicht. Doch wo waren wir stehen geblieben? Was hat Sie in die Herzogspitalstraße geführt?“

      „In die Kirche wollt ich. Der schmerzhaften Madonna opfern.“

      „Ich bitte Sie! So eine moderne Dame und so ein Aberglaube. Ein kühler Kopf, ein klarer Verstand, darauf kommt es an.“

      „Vielleicht könnte ich Ihren Rat wirklich gebrauchen. Es ist nämlich so …“ Gerade wollte Adele ihm von ihren Geschäften erzählen, als er ihre Hand ergriff und sie schmallippig küsste. Hastig zog sie die Hand zurück. „Lassen Sie uns austrinken, ich hab noch viel zu erledigen.“

      „Wirklich schade, dass Sie schon aufbrechen müssen. Aber dürfte ich Sie einmal zum Essen einladen?“