Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner

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Название Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
Автор произведения Hans-Peter Hübner
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783532600627



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rel="nofollow" href="#ulink_0db3b96b-783e-5107-a869-4d1bdb71ae95">5 Die Ordnung staatlicher Einrichtungen hat auf die Erfüllung religiöser Wünsche Bedacht zu nehmen. In besonderen Statusverhältnissen kann dies bedeuten, dass der Staat durch positive Vorkehrungen den betreffenden Personen die Wahrnehmung ihrer religiösen Rechte oder die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu ermöglichen hat. Krankenhaus-, Gefängnis- oder Militärseelsorge sind hierfür Hauptbeispiele.6

      Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 4 WRV eröffnet den Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu erwerben, z. B. nach den Vorschriften des Vereinsrechts. Dabei gebietet es die religiöse Vereinigungsfreiheit, das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft, „soweit es in dem Bereich der in Art. 4 Abs. 1 als unverletzlich gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 geschützten Religionsausübung verwirklicht, bei der Auslegung und Handhabung des einschlägigen Rechts, hier des Vereinsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, besonders zu berücksichtigen“. Dies umfasst nicht nur die volle Ausschöpfung von Gestaltungsspielräumen, soweit sie das Recht zulässt, sondern auch – bei Anwendung zwingenden Rechts – die Nutzung von gegebenen Auslegungsspielräumen zugunsten der Religionsgemeinschaft. Unvereinbar mit der religiösen Vereinigungsfreiheit wäre jedenfalls ein Ergebnis, das eine Religionsgemeinschaft im Blick auf ihre innere Organisation von der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr ganz ausschlösse oder diese nur unter unzumutbaren Erschwerungen ermöglichte.

       Fallbeispiel 1:

       Der neue Chefarzt Dr. Freimut am Städtischen Krankenhaus in M. nimmt daran Anstoß, dass entsprechend einem Stadtratsbeschluss Patienten bei ihrer Aufnahme, unter Hinweis darauf, dass die Frage nicht beantwortet zu werden brauche, danach gefragt werden, welche Konfession sie haben und ob sie einen Besuch des Krankhausseelsorgers oder der Krankenhausseelsorgerin wünschen. Dr. Freimut möchte dies zunächst mit der für die Seelsorge an diesem Krankenhaus zuständigen Pfarrerin Katharina Klug besprechen.

       Was wird Pfarrerin Klug dazu sagen?

      a)Das Grundrecht des Art. 4 hat nicht nur eine positive, sondern auch eine negative Komponente, die historisch gesehen zunächst im Vordergrund stand.

       Exkurs zur geschichtlichen Entwicklung:

      Im Augsburger Religionsfrieden (1555) kam es zu einer Gleichstellung des katholischen und evangelischen Bekenntnisses. Anerkannt war hier aber nur das Recht der Landesherren auf Konfessionswahl und auf Festlegung des Bekenntnisstandes (ius reformandi). Die einzelnen Untertanen hatten der Landesreligion anzugehören (cuius regio eius religio); abweichende Konfessionen konnten verboten, deren Anhänger vertrieben oder auch toleriert werden. Nur in Ansätzen war für die Untertanen „Religionsfreiheit“ insoweit anerkannt, als sie unter bestimmten Bedingungen in ein Land ihrer Konfession auswandern durften (ius emigrandi). Der Westfälische Friede (1648) ging einen Schritt weiter, indem er auf das öffentliche exercitium religionis des „Normaljahres“ 1624 abstellte und die Reformierten als dritte Religionspartei anerkannte. Aus dem Emigrationsrecht der Anderskonfessionellen und derjenigen, die 1624 kein Recht zur öffentlichen Religionsausübung hatten, erwuchs das Recht zu bleiben und ihren Glauben wenigstens in nicht öffentlicher Form (Hausandachten) ausüben zu können; Besuche des öffentlichen Gottesdienstes in benachbarten Gebieten ihrer Religion waren erlaubt. Die Anerkennung einer individuellen Religionsfreiheit mit Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann erfolgte dann zuerst in Preußen im Allgemeinen Landrecht von 1794 (§§ 1 ff. II 11 ALR). Allerdings war nur ein Kirchenübertritt, kein völliger Kirchenaustritt möglich. Letzteres wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzlich geregelt. Allerdings blieb auch nach dem ALR die Religionsausübung weiterhin abgestuft. Nur die drei anerkannten Konfessionen hatten das Recht der öffentlichen Religionsausübung, einschließlich des Rechts auf Kirchturm und Glockengeläut (§ 25 II 11 ALR). Andere Konfessionen sowie Sekten hatten den Status „geduldeter Kirchengesellschaften“, denen nur die freie Ausübung von „Privat-Gottesdiensten“ gestattet war (§ 22 II 11 ALR).