Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner

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Название Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
Автор произведения Hans-Peter Hübner
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783532600627



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durch einzelne Religionsgemeinschaften oder sog. neue Jugendreligionen sind dadurch enge Grenzen gesteckt.46 Dem Staat bleibt lediglich die Feststellung, ob Grundrechte anderer oder die sonstige verfassungsrechtliche Wertordnung verletzt werden, um dann eine entsprechende Abwägung vorzunehmen. Auch Außenseitern und Sektierern muss die ungestörte Entfaltung ihrer Persönlichkeit gemäß ihren subjektiven Glaubensüberzeugungen gestattet werden, „solange sie nicht in Widerspruch zu anderen Wertentscheidungen der Verfassung geraten und aus ihrem Verhalten deshalb fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrecht anderer erwachsen“.47

      c)Ein weiteres Problem bei der Schrankenziehung ergibt sich daraus, dass Grundrechte in einen Kernbereich und in sog. Randzonen aufteilbar sind. Im Kernbereich, dem eigentlich geschützten Bereich, ist eine Schrankenziehung nur in den oben aufgezeigten engen Grenzen möglich. Der innerste Kern (forum internum), die Glaubensfreiheit als Freiheit des Denkens, ist sogar gänzlich unantastbar. Wo aber der geschützte Lebensbereich nur am Rande berührt wird, fügt sich jedes Grundrecht in die allgemeine Rechtsordnung ein. Auf die Religionsfreiheit bezogen bedeutet dies: Wo es nur um modale Beschränkungen der Bekenntnis- oder Religionsausübungsfreiheit geht, also z. B. um Ort und Umfang der Religionsausübung, sind Beschränkungen innerhalb der allgemeinen Rechtsordnung (also nicht nur der verfassungsrechtlichen Ordnung) ohne weiteres möglich.

      a)Der Staat als Adressat der Grundrechte

      Das Grundrecht aus Art. 4 GG wirkt – gemäß dem Charakter von Grundrechten, die als Abwehrrechte gegenüber dem Staat entstanden sind – gegen alle Träger der öffentlichen Gewalt, also gegen die Behörden des Bundes, der Länder, der sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit diese öffentliche Gewalt ausüben, in den Funktionen der Rechtsetzung, Rechtsanwendung und Rechtsprechung. Mitglieder von Religionsgemeinschaften können diesen Gemeinschaften gegenüber hinsichtlich eigener abweichender Meinung also nicht das Grundrecht aus Art. 4 ins Feld führen.

      Über gewisse Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe kann dieses Grundrecht aber auch in das Privat- und Arbeitsrecht ausstrahlen (sog. Drittwirkung der Grundrechte). So ist ein Vertrag, in dem sich jemand wirtschaftlicher Vorteile wegen zum Konfessionswechsel verpflichtet, sittenwidrig (Verstoß gegen die „guten Sitten“, § 138 BGB); ebenso wäre eine letztwillige Verfügung ungültig, die zu bestimmten Glaubensentscheidungen nötigt. Kirchenaustritt oder Konfessionswechsel kann ein „wichtiger Grund“ für eine Kündigung sein, wenn Konfessionszugehörigkeit als Vertragsinhalt vorausgesetzt war. Arbeitgeber können u. U. verpflichtet sein, islamischen Arbeitsnehmern Gelegenheit zur Einhaltung von Gebetszeiten zu geben, soweit dies mit der Betriebsordnung vereinbar ist, oder in der Werkskantine auch Kost anzubieten, die bestimmten Glaubensvorschriften entspricht.

      b)Toleranz, Neutralität und Parität

      (1) Neutralität und Nichtidentifikation hinsichtlich der in seinem Bereich bestehenden Religionen und Weltanschauungen:

      Das Neutralitätsgebot verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und die Privilegierung oder Benachteiligung bestimmter Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen. Dass der Staat verpflichtet ist, sich in religiösen und weltanschaulichen Fragen der Parteinahme zu enthalten, bedeutet aber weder Indifferenz noch laizistische Unduldsamkeit. Vielmehr darf der Staat bei seinem Handeln religiöses Wirken berücksichtigen, aus dem „große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen“.

      c)Insbesondere: Religiöse Symbole in Gerichtssälen, Schulen und Behörden

      Wie insbesondere das Neutralitätsgebot konkret zu verstehen ist, soll anhand der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, die zu religiösen Symbolen, insbesondere in Gerichtssälen, Schulen und Behörden ergangen ist, veranschaulicht werden: