Der Kaiser schickt Soldaten aus. Janko Ferk

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Название Der Kaiser schickt Soldaten aus
Автор произведения Janko Ferk
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990402528



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so oder so fehlten. In den Krieg ziehen konnte allein der Erzherzog. Und dieser war bereit dazu. Eines stärkeren Beweises seiner Liebe hätte es nicht bedurft. Der verbitterte Kaiser war offensichtlich nicht imstand, diese Zeichen zu deuten und zu verstehen. Franz Joseph war über die Worte seines Neffen außer sich. „Wiederholt habe ich mir ein Herz gefasst und bin vor Eure Majestät hingetreten, um Euer Majestät die Gründe darzulegen, die mich, Euer Majestät, bewegen, an Euer Majestät diese Bitte zu stellen. Ich kann abermals nur erwähnen, dass der Wunsch, die Gräfin zu heiraten, nicht die Frucht einer Laune ist, sondern der Ausfluss der tiefsten Neigung, jahrelanger Prüfungen und Leiden … Und dass für Euer Majestät vollkommene Garantie für mein späteres Leben besteht, gibt die Bürgschaft mein bisheriges Verhalten, in dem ich stets bestrebt war, loyal vorzugehen und nie etwas weder offen noch geheim gegen den Willen Euer Majestät zu unternehmen, was vielleicht mancher andere versucht hätte, der sich in der gleichen verzweifelten Lage befunden hätte wie ich … Die Ehe mit der Gräfin ist aber das letzte Mittel, mich für die ganze Zeit meines Lebens zu dem zu stempeln, was ich sein will und soll: zu einem berufstreuen Mann und zu einem glücklichen Menschen. Ohne diese Ehe werde ich ein qualvolles Dasein führen, welches ich ja jetzt schon durchmache und das mich vorzeitig aufzehren muss … Das ewige Alleinsein ist mir unerträglich; das Bedürfnis nach einem Wesen, das für mich sorgt, das treu und unentwegt Freud und Leid mit mir teilt, ist für mich, der ich das Unglück habe, ein so tief angelegter Gemütsmensch zu sein, zu einem ganz unüberwindbaren geworden. Und eine andere Heirat kann und will ich nie mehr eingehen, denn es widerstrebt mir und ich vermag es nicht, mich ohne Liebe mit einer anderen zu verbinden und sie und mich unglücklich zu machen, während mein Herz der Gräfin gehört und für ewig gehören wird.“

      Nach seinen fast poetischen Begründungen, warum er Gräfin Sophie heiraten müsse, änderte Franz Ferdinand seinen Ton, wohl im Glauben, dadurch noch überzeugender sein zu können. „Euer Majestät geruhten mir das letzte Mal zu sagen, dass dieselben glauben, dass meine Ehe der Monarchie schaden könne, ich erlaube mir mit Rücksicht hierauf untertänig zu bemerken, dass ich gerade durch Eingehung dieser Ehe meine Pflichten der Monarchie vis-à-vis viel besser erfüllen kann, indem ich wieder ein schaffensfreudiger und glücklicher Mensch werde, der seine gesamten Kräfte angespannt und dem allgemeinen Wohle widmet – als wenn ich zeitlebens ein unglücklicher, einsamer, von Sehnsucht verzehrter Mensch bin.“

      Zuletzt drückte er noch einmal etwas aus, das man sein Herzensbittgesuch nennen könnte, untermauert mit Schlussfolgerungen, denen man eigentlich nicht widersprechen kann, außer man ist Kaiser Franz Joseph. „Ich bitte Euer Majestät daran zu glauben, dass ich von dem Streben erfüllt bin, in meiner schwierigen Lage das Beste zu leisten, was ich vermag, aber dazu muss ich mich glücklich fühlen können, und deshalb bitte ich Euer Majestät um mein Lebensglück, und die Bewilligung zu der heißersehnten Ehe.“

      Der Kaiser antwortete nicht.

      Erzherzogin Maria Theresa, die Stiefmutter Franz Ferdinands, befürchtete wegen der sturen Haltung Franz Josephs ein endgültiges Zerwürfnis zwischen dem verstimmten Kaiser und seinem verliebten Thronfolger, weshalb sie um eine Audienz ersuchte, die offensichtlich Wirkung gezeigt hat.

      Max Wladimir Freiherr von Beck hatte Franz Ferdinand in seinen jüngeren Jahren in Rechts- und Staatswissenschaften unterrichtet und blieb ihm nach den Lernjahren verbunden, obwohl sich der Thronfolger keineswegs als Kronjurist erwiesen hat. Freiherr von Beck arbeitete an der Lösung der verfassungsrechtlichen Probleme nach der morganatischen Ehe mit und vermerkte am achten April neunzehnhundert, als sozusagen der Durchbruch bei den Verhandlungen, bei denen wahrlich keine Waffengleichheit herrschte, erreicht war, die Besonderheiten in seinem Tagebuch. „Wichtige Ereignisse, E. H. hat mit dem Kaiser gesprochen und die Bewilligung so gut wie erhalten, unter der Bedingung, dass in Cis- und Transleithanien alles geordnet werde.“

      Und „Ordnung“ hieß, dass der Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand wegen der nicht standesgemäßen Heirat vor der Eheschließung auf alle Thronrechte zukünftiger Kinder verzichten musste. Unter diesen Vorzeichen erteilte der Kaiser die Zustimmung mit dem allergrößten oder vielmehr allerhöchsten Widerwillen.

      Ernest von Koerber, der damalige Ministerpräsident der österreichischen Reichshälfte war schließlich mit der genauen und rechtswirksamen Regelung der verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigt.

      Dann ging es am Wiener Hof Schlag auf Schlag.

      Der erste Schlag erfolgte am dreiundzwanzigsten Juni neunzehnhundert, als Franz Ferdinand von Franz Joseph empfangen wurde.

      „Euer Majestät. Ich bestätige, dass ich bereit bin, eine morganatische Ehe einzugehen. Ich werde jede Verzichtserklärung, die meine möglichen Kinder von der Thronfolge ausschließt, unterzeichnen und beschwören.“ Mit dieser Erklärung Franz Ferdinands hatte sich der Kaiser als Familienoberhaupt durchgesetzt.

      Die Überlegungen des alternden Herrschers wurden nicht zur Sprache gebracht. Franz Joseph hatte befürchtet, Franz Ferdinand könnte seinen Tod abwarten, den Thron besteigen und als Kaiser die Gräfin heiraten. Kein Mensch hätte ihn dann daran hindern können. In diesem Fall wäre der Erstgeborene der indirekte Nachfolger Franz Josephs geworden. Ein Gedanke, den er gar nicht weiterspinnen wollte, ein Gedankengang aber, der ihn letztlich zur Einwilligung unter seinen Bedingungen bewog. Unter den herzlosesten Bedingungen, wie Franz Ferdinand überzeugt war.

      „Wir werden“, sagte der Imperator Österreich-Ungarns noch, „geruhen, der Gräfin Chotek am Hochzeitstage den Titel einer Fürstin zu verleihen.“ Darauf komplimentierte er den zukünftigen Fürstinnen-Ehemann mit einer fast nachlässigen Handbewegung nebenbei hinaus und strich sich nachdenklich über den schlohweißen Backenbart. Es fiel ihm nicht einmal auf, dass er nicht fähig war, ja, dass er geradezu unfähig war, an Franz Ferdinand ein freundliches Wort zu richten. Schließlich verloren sich seine Gedanken in den Erinnerungen an seinen Sohn Rudolf, den einzig legitimen und gottgewollten Kronprinzen.

      Die Audienz war zu Ende. Franz Ferdinand ging und wusste nicht, ob er jubeln oder traurig sein sollte. Irgendwie fühlte er sich mitsamt seiner Angebeteten beleidigt, erniedrigt, gedemütigt und verletzt. „Das hat sich die Gräfin“, murmelte der Erzherzog, „nicht verdient.“

      Der zweite Schlag folgte am achtundzwanzigsten Juni neunzehnhundert, wobei der Erzherzog nicht wusste, dass gerade dieser Junitag immer wieder sein Schicksal, sein Leben und sein Ende bestimmen sollte.

      Zu Mittag versammelte man sich in der Hofburg. Dem Staatsakt wohnte die kaiserliche Familie bei. Geladen waren noch Würdenträger aus allen Himmelsrichtungen der Monarchie. Es war zwar ein Staatsakt, für Franz Ferdinand aber kein wirklich erfreulicher, obwohl er aus der Kutsche mit den goldenen Speichen in voller Uniform ausstieg, ohne zu wissen, dass er an seinen Schicksalstagen immer im militärischen Dienstanzug beziehungsweise soldatischen Waffenrock auftreten sollte. Eigenartig martialisch beziehungsweise erheiternd kostümiert.

      In der Geheimen Ratsstube warteten sie alle, manche mit einer boshaften Genugtuung, andere mit einer gewissen Häme, all die großjährigen Erzherzöge, die sich wichtig nehmenden Minister, die höchsten Hofbeamten, der Erzbischof von Wien, seines Zeichens Kardinal, und naturgemäß der Kardinalfürstprimas von Ungarn. Und dennoch eine lächerliche Partie, weil sie bereit war, sich am Leid des Verzichtenden zu ergötzen.

      Der Kaiser musste naturgemäß erhöht werden und stand auf einem Podium. Links die Erzherzöge und rechts Franz Ferdinand, selbstredend allein. Sophie hätte sowieso keinen Zutritt zu dieser hehren Runde gehabt.

      Der Kaiser sprach kühl, kurz und nicht allzu laut. „Die Erklärung, die zu hören, Wir Sie herbefohlen haben, erweist sich als notwendig, damit im Hause Habsburg eine geordnete Thronfolge gesichert ist.“

      Dann verlas der Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses ohne Unterbrechung und ohne eine Regung den deutschsprachigen Wortlaut des sogenannten Renunziationsakts. „Wir, Erzherzog Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph