Franz spricht. Elisabeth Hauer

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Название Franz spricht
Автор произведения Elisabeth Hauer
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783990400289



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ist sie nicht mehr mit ihm zusammen.

      Ich liebe meine Tochter. Ich liebe sie sehr.

      Auf der Autobahn war ein Personenwagen sehr rasch unterwegs, mit ungefähr hundertsechzig Stundenkilometern. Knapp vor der nächsten Raststätte kam das Auto ins Schleudern und überschlug sich. Der Fahrer, ein Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, war sofort tot. Die Polizei fand in seinem Wagen weder persönliche Dokumente noch den Führerschein. Man stellte fest, dass der Wagen als gestohlen gemeldet worden war. Die Identifizierung des Lenkers erwies sich als schwierig.

      In einem Modegeschäft der Innenstadt langweilte sich die junge Mitarbeiterin. Seit einer Stunde war keine Kundin mehr gekommen. Mit spröden Fingern rückte sie Stöße von Pullovern zurecht, drapierte ein teures Kleid, für das sich noch niemand interessiert hatte, über einen mit Seide bezogenen Stuhl. Dann stellte sie sich vor den großen Wandspiegel, um Frisur und Make-up zu korrigieren. Später sah sie zum Fenster der Auslage hinaus auf die Straße. Sie schien auf jemanden zu warten. Nach einer Weile ging sie zurück in den Personalraum des Geschäftes. Sie kochte Kaffee, den sie, noch sehr heiß, mit vorsichtigen, kleinen Schlucken trank.

      Nach fast einer Woche meldete eine Tageszeitung, dass es sich bei jenem Mann, der bei dem Unfall auf der Autobahn mit einem gestohlenen Wagen ums Leben gekommen war, um den fünfzigjährigen Heinz K. gehandelt hatte. Der Diebstahl war vorerst rätselhaft, da Heinz K., ein vermögender Wirtschaftstreibender, selbst ein teures Auto besaß. Heinz K. war geschieden und hinterließ keine Familie. Der rechtmäßige Besitzer des total beschädigten Wagens würde Ansprüche an seine Versicherung stellen, die Polizei weiter ermitteln.

      Die Angestellte des Modegeschäftes nahm eine Woche Urlaub. Da sie nach der abgelaufenen Zeit nicht wieder kam und weder über Festnetz noch Handy erreichbar war, nahm die Besitzerin des Modegeschäftes eine neue Kraft auf.

      Franz

      spricht

      Gut, dass Sie da sind. Wissen Sie, was passiert ist? Sie wissen es natürlich nicht. Also.

      Ich gehe einkaufen. Nicht viel. Brot, Eier, Milch. Und Bitterschokolade, mein einziger Luxus. Kennen Sie diese Bitterschokolade in der roten Hülle, in dieser Hülle mit Goldbuchstaben? Wirklich, der einzige Luxus, den ich mir leiste. Also zwei Tafeln nehme ich mit. Sie kennen diese Bitterschokolade wirklich nicht? Die hat es schon in meiner Jugend, in meiner Kindheit gegeben. Ich gehe also mit meiner Plastiktasche, die nehme ich immer, denn mit einem Korb, nein. Am Sonntag, aber nicht an jedem Sonntag, hat mir meine Mutter ein paar Groschen gegeben. Die habe ich dann gespart, und wenn ich genug für eine Bitterschokolade beisammen hatte, habe ich sie gekauft. Im kleinen Keller unseres Siedlungshauses habe ich mich versteckt und sie dort gegessen. Wäre anders nicht gegangen. Bei den vielen Geschwistern. Einmal habe ich die Schokolade aus lauter Gier schon auf dem Weg nach Hause ausgepackt. Da ist der Peter vorbeigegangen, der mich sonst nie angeschaut hat. Dieses eine Mal hat er hergeschaut zu mir. Die esse ich auch gern, hat er gesagt. Und hat mir die Schokolade, ganz langsam, ganz sanft, aus der Hand genommen. Und ich habe es mir einfach gefallen lassen. Was sagen Sie dazu. Sie finden keine Worte. Kann ich verstehen. Ich habe es dem Paul erzählt, der hat mir eine neue Schokolade gekauft. Das hat mich ein wenig getröstet. Aber heute, auf dem Weg nach Hause, mit der Bitterschokolade in der Plastiktasche, ist mir das wieder eingefallen. Ganz kurz bin ich stehen geblieben, um Atem zu holen. Und ich habe gedacht, wenn jetzt der Peter vorbeikommt, gehe ich zu ihm hin und erzähle ihm die Geschichte. Das würde ich tun. Aber er ist nicht gekommen. Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen? Ja, stimmt, Sie kennen ihn ja nicht.

      »

      Jenes Mädchen, welches nach einer Urlaubswoche nicht mehr im Modegeschäft erschienen war, hieß Dagmar und war eine Freundin des tödlich verunfallten Heinz K.

      Schon seit längerer Zeit hatte sie beobachtet, dass Heinz K. sich verändert hatte. Er war einsilbig, jähzornig und ging nicht mehr auf sie ein. Gerade seine Eigenschaft, sich ihr gegenüber interessiert und voller Anteilnahme zu zeigen, vor allem aber sein nicht nur sexuelles Interesse an ihrer Person, hatten ihr imponiert. Sie fühlte sich durch ihn aufgewertet. Das war, nach einer Reihe von eindeutig auf ihren Körper ausgerichteten Beziehungen, für sie besonders wichtig. Nachdem sie während ihrer Urlaubswoche vergeblich auf ihn gewartet hatte, konnte sie sich kaum aus ihrer Enttäuschung lösen.

      Heinz K. hatte ihr verboten, ihn in seiner Firma oder zu Hause anzurufen. Manchmal hatte er sie vom Geschäft abgeholt. Aber nur, wenn er wusste, dass die Chefin nicht da war. Zu ihren von Mal zu Mal vereinbarten Treffen in Dagmars Wohnung war er stets pünktlich erschienen.

      Erst als die Zeitung von seinem Unfalltod berichtete, wusste Dagmar, was geschehen war. Der gestohlene Wagen ging ihr nicht aus dem Sinn. Dieser Diebstahl lag, wenn sie an Heinz K. dachte, für sie außerhalb jeder Möglichkeit. Als die echte Trauer um seinen Verlust sich endlich etwas gemildert hatte, fasste sie den Entschluss, mehr über diesen seltsamen Tod erfahren zu wollen.

      Wie sie es anstellen sollte, wusste sie nicht.

      Es war ein ruhiger Nachmittag. Im Garten waren die Sommerblumen verblüht, der kommende Herbst zeigte sich im Fallen erster Blätter. Die Luft war klar und angenehm.

      Eva, die Frau aus der Villa, hatte Besuch. Nette, gebildete Leute aus der Hauptstadt, die hier, in diesem Ort, ihr zweites Domizil hatten. Sie kamen meistens am Wochenende und zu den Feiertagen. Im Winter ließen sie ihre Häuser versperrt. Eva war eine perfekte Hausfrau. Wenn sie eine Jause richtete, hatte sie für Frühjahr, Sommer und Herbst jeweils das passende Geschirr. Diesmal deckte sie den Tisch noch auf der Terrasse, mit Steingut, auf dem bunte Blätter und späte Früchte zu sehen waren. Sie war nun allein, ohne Hilfe. Aber stets war alles bei ihr in Ordnung, immer gab es Blumen in den Vasen. Das war der Wunsch ihres ersten Mannes, Paul, gewesen, ihr war es zur Gewohnheit geworden.

      Die Gäste kamen, ein Arzt mit seiner Frau, ein bekannter Musiker, die Besitzerin eines Restaurants, ein Rechtsanwalt mit seiner Freundin. Bei Tee und englischem Kuchen war die Unterhaltung noch förmlich, später, als Eva Wein und Gebäck reichte, wurden die Gespräche gelöster, fast vertraulich. Aus einem fernen Garten hörte man leise Musik.

      Eva ging kurz ins Haus. Wie immer blickte sie im Vorbeigehen rasch in den großen Spiegel, der im Wohnraum hing. Sie wollte es nicht sehen, aber sie sah, dass die Falten um ihren Mund stärker geworden waren, sich tiefer eingegraben hatten. Im Badezimmer nahm sie einen Hauch von Puder und schloss während des Auftragens die Augen. Dabei hörte sie die laute Stimme des Anwalts, der von einem schwierigen Prozess erzählte.

      Einen Augenblick lang glaubte sie, nicht mehr zu ihren Gästen hinausgehen zu können. Dann gab sie sich einen Ruck und ging mit festen Schritten zurück auf die Terrasse.

      Der Anwalt erzählte später, dass er den so seltsam ums Leben gekommenen Heinz K. gut gekannt hatte. Von seinem Tod hörte Eva, die selten Zeitung las, zum ersten Mal.

      Es gibt noch einige Kindheitserinnerungen, die mit Paul zu tun haben. Manches habe ich vielleicht vergessen, aber manches steht klar vor mir. Zum Beispiel. Die Mutter, die mich ihm meistens vorgezogen hat. Eines Tages sollte ich ein Paket von der Post abholen. Eifrig machte ich mich auf den Weg. Auch Paul wäre gern zur Post gelaufen. Die Mutter meinte, ich hätte mich zuerst für diesen Dienst angetragen, sein Angebot komme zu spät. Außerdem sei er ja oft auf der Gasse zu finden. Ich glaubte zu wissen, warum Paul das wollte. Wegen der kleinen Münze, die mir die Mutter dann gab.

      In unserer Mansarde gab es nur einen einzigen Schrank, jeder von uns hatte ein Abteil zum Hängen für die Kleider, jeder eine Lade für die Wäsche. Diese Lade eignete sich gut, um gewisse Dinge zu verstecken, die verboten waren. Ein Messer, eine Schleuder, ein Feuerzeug und Ähnliches. Mich reizte es immer, in Pauls Lade nachzusehen, was es dort gab. Meistens gab es nichts Neues. Als ich mit dem Paket zurückkam und die Münze, wie aufgetragen, in mein Sparschwein geworfen hatte, bemerkte ich Paul, der im Garten herumtrödelte. Ich öffnete seine Lade. Ungeordnet lag seine Wäsche da. Bei mir lag sie, wie die Mutter es wollte, zu kleinen Stößen geschlichtet. Ich wühlte mich durch, um vielleicht ein neues, verbotenes Spielzeug zu finden. Nein, nicht dass ich ihn verraten wollte. Wirklich, nur aus Neugierde. Aber da war nichts. Gar nichts. Nicht einmal die alten