Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl

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Название Dr Crime und die Meister der bösen Träume
Автор произведения Lucas Bahl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783964260161



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Auftraggebers, erfahren hätte, auf die Durchführung der Tat verzichtet hätte. Warum noch arbeiten und trotz präziser Planung die immer vorhandenen unkalkulierbaren Risiken eingehen, wenn der Auftraggeber die vereinbarte zweite Hälfte des Honorars nicht mehr zahlen und die bereits geleistete Anzahlung nicht mehr zurückverlangen kann?

      Ich merke, dass ich inkonsequent bin und jetzt doch angefangen habe zu spekulieren. Dank des Leichtsinns von Mrs. X kam alles anders.

      Abgesehen davon, dass ich diese Art Arbeit schon seit vielen Jahren nur noch in seltenen Ausnahmefällen eigenhändig erledige, würde ich – geschähe mir so etwas heute – zähneknirschend die zweite Hälfte des Honorars abschreiben. Nicht nur das. Ich würde versuchen, mit dem Kollegen Kontakt aufzunehmen. Er hat schließlich den gleichen Verlust erlitten wie ich. Ich würde mich verhalten, wie es selbständige Handwerker auf einer Baustelle tun, die eines Morgens erfahren, dass ihr Auftraggeber Pleite gegangen ist:

      fluchen und zusammen einen trinken gehen.

      Doch damals war ich jünger, dümmer, gieriger und noch längst nicht in der Komfortzone meiner reiferen Jahre angelangt. Das heißt, ich war nicht nur angepisst.

      Ich war stinksauer.

      Eine unbestimmte Zeit verbrachte ich in meinem Mietwagen bei heruntergekurbeltem Seitenfenster mit Atemübungen, um nicht um mich ballernd die halbe Inselbevölkerung zu liquidieren, was ja zutiefst unproduktiv gewesen wäre und nur noch weiteren Ärger provoziert hätte.

      Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, versuchte ich herauszufinden, wer jetzt mit der zweiten Hälfte des eigentlich mir zustehenden Honorars herumlief.

      Ich war schon damals recht technikaffin. Deshalb hatte ich das Autoradio des Mietwagens mit ein paar Handgriffen um zusätzliche Frequenzen erweitert. Ein Eingriff, der sich genau so leicht wieder rückgängig machen ließ. Zudem ist mein Spanisch ganz passabel. Es war also kein Problem, den lebhaften Funkverkehr der Guardia Civil abzuhören. Hier erfuhr ich, dass der eiligst von Gran Canaria eingeflogene Comandante seinen ihm zugeordneten Subteniente nach kurzer Lageschilderung mit einem einzigen Wort seine Theorie des Tathergangs erläuterte: „Anarchisten!“

      „Terroristen?“, so der Subteniente. In der in Frageform gekleideten Antwort des Unteroffiziers war in komprimierter Form die komplette Kulturgeschichte militärischer, respektive quasimilitärischer Verhältnisse zwischen Befehlshabern und den ihnen untergeordneten Rängen enthalten.

      Befehl ist Befehl.

      Was der Chef sagt, ist heiliger als alle heiligen Schriften zusammen, selbst dann, wenn er nicht in der Lage ist, Zucker und Salz am Geschmack zu unterscheiden.

      Trotzdem konnte der Comandante das rektal verabreichte Zäpfchen des Subteniente natürlich nicht unkommentiert lassen, sondern erwiderte: „Anarchisten, Terroristen. Ist das nicht dasselbe?“

      „Jawoll – Comandante.“

      Für den Bruchteil einer Sekunde war ich irritiert.

      Der Unteroffizier sagte „jawoll“ – auf Deutsch – nicht „si!“ oder „comprende“. Den Hauch eines Augenblicks lang dachte ich, sie wüssten, dass ich ihren Funkverkehr abhörte, aber dann wurde mir klar, dass der Subteniente ein noch nicht außer Dienst gestellter Veteran des Bürgerkriegs sein musste, in dem sich Generalissimo Franco von den Deutschen bekanntermaßen nicht nur hatte beraten lassen.

      Die an ein Eifersuchtsdrama gemahnenden Hinweise seien eine perverse, aber leicht zu durchschauende Tarnung der „republikanischen Schweine“, erläuterte der Vorgesetzte gönnerhaft. Das würde letztlich auch die Spurenlage beweisen.

      Ich überlegte kurz, ein Bekennerschreiben einer antiimperialistischen Befreiungsfront für die Autonomie der Kanarischen Inseln zu verfassen, wusste aber nicht, ob es die nicht möglicherweise sogar gab. Da meine Niedertracht nicht so weit ging, zu den ohnehin entstandenen Kollateralschäden ohne Not im Nachgang noch weitere hinzuzufügen, verwarf ich diesen Gedanken wieder. Wer gegen die Diktatur Francos opponierte, hatte es auch ohne böse Scherze schon schwer genug.

      Dann folgte im Funkverkehr der beiden Guardia Civil-Offiziere der entscheidende Hinweis: Der Killer von Teguise hatte seine beiden Opfer mit dem reichlich geflossenen Blut des jungen Weinbauern signiert.

      Mit einem großen roten R.

      Eine elektrisierende Botschaft.

      R wie Roberto.

      Ein R war das für ihn typische Zeichen, was natürlich nur Insider wussten. Für die Ermittler würde es wahlweise rebelión, revolución, resistencia oder rata (Ratte) bedeuten.

      Zwar musste Roberto inzwischen ebenfalls von der unglücklichen Parallelität der Ereignisse erfahren haben, doch er wusste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, nach wem er umgekehrt suchen musste.

      Ich dagegen schon.

      Roberto war trotz seiner jungen Jahre bereits eine Legende. Jeder Regisseur hätte ihm sofort Probeaufnahmen angeboten, um zu sehen, ob er neben seinem strahlenden, alle für sich einnehmenden Aussehen auch noch ein Minimum an schauspielerischen Fähigkeiten vorzuweisen hätte. Und vielen wäre selbst das egal gewesen. Eine Rolle hätte er selbst dann bekommen, wenn seine Stimme wie die von Donald Duck geklungen hätte. („Dann wird der Bursche halt synchronisiert.“)

      Es ist für einen Killer immer schlecht, wenn jeder sein Gesicht nach einem flüchtigen Blick wieder erkennt und vor allem Frauen – ohnehin oft die aufmerksameren Beobachter – sich dieses Antlitz ganz unwillkürlich tief eingeprägt hätten. Aber Roberto war Profi genug und hatte sicherlich alles Notwendige unternommen, um ungesehen in die Pension hinein- und wieder herauszukommen. Er würde sogar dafür gesorgt haben, dass ihn noch nicht einmal ein zufälliger Zeuge in Teguise oder auch nur im Inselinneren gesehen hatte. Als exzellenter, zuverlässiger und vor allem kaltblütiger Auftragsmörder war er ohnehin nur in jenen Kreisen bekannt, in denen die von ihm angebotene Dienstleistung nachgefragt wurde. Wie alle in der Branche wusste auch er, sollte er erst einmal in der Kartei irgendeiner x-beliebigen Polizeibehörde auftauchen und sei es lediglich als zweitklassiger Ladendieb, er wäre seinen Job los – zumindest die lukrativen Aufträge.

      Aber er war wie die meisten von der Natur mit einem umwerfenden Aussehen bevorteilten Menschen extrem eitel. Es musste sehr schwer für ihn sein, wenn man das Plus einer blendenden Erscheinung so gut wie nie ausspielen darf. Wie schon betont, für Killer gilt: Unauffälligkeit ist Trumpf. Je langweiliger und nichtssagender einer wirkt, desto leichter tut er sich mit dieser Arbeit. Filme, die uns brillante Auftragsmörder vom Schlage eines Alain Delon zeigen, gehen deshalb so gut wie immer meilenweit an der Wirklichkeit vorbei.

      Um diesen Widerspruch irgendwie auszugleichen, hatte es sich Roberto, der sich mit Delon die Merkmale dunkler Haare und blau-grauer Augen teilte, angewöhnt, seine Taten wie Kunstwerke anzusehen und sie, wie es die meisten Künstler tun, zu signieren.

      Vermutlich hatte er Lanzarote längst verlassen.

      Für mich wäre das nur im äußersten Notfall infrage gekommen. Es ist nicht nur eine Sache der Ehre, sondern der simplen Vernunft geschuldet, tunlichst lange und möglichst unauffällig in der Nähe zu bleiben. Natürlich nicht dort, wo es von Ermittlern wimmelt, sondern dort, wo man sich, etwa als Urlauber, schon zuvor aufgehalten hat. Nirgendwo sonst erfährt ein Profi mehr über den Stand der Ermittlungen als unter vielen tausend Touristen, deren Erholungsalltag auf einmal durch ein höchst aufregendes Ereignis zusätzliche Farbe bekommen hat. Touristen wie auch Einheimische, jeder dieser Menschen ist ein potenzieller Spion. Selbstverständlich muss man die Spreu vom Weizen trennen, aber es ist nun mal so, nach einer solchen Tat wird darüber geklatscht, was die mitunter magere Faktenlage auch hergeben mag. Da hat eine von der Freundin eines anderen, die jemanden bei der Polizei kennt, was gehört und so können sich mitunter in einem wüsten Meer von falschen Einschätzungen, Theorien und Gerüchten kleine Info-Perlen verbergen, die sich als extrem nützlich erweisen können.

      Dennoch lag die Chance, Roberto noch auf Lanzarote anzutreffen, höchstens bei fünfzig Prozent. Andererseits hatte ich während der restlichen Zeit meines gebuchten Aufenthalts nichts anderes zu tun,