Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl

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Название Dr Crime und die Meister der bösen Träume
Автор произведения Lucas Bahl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783964260161



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selten die Kreise derjenigen verlassen, die genau wissen, wem sie was erzählen dürfen und vor allem wem nicht. Nur selten erreichen diese in Umlauf befindlichen Geschichten die Gegenseite – also Polizei und Justiz. Und noch viel seltener bieten sie handfeste Anhaltspunkte, mit denen jemand wirklich festgenagelt werden könnte. Doch auch hier gibt es Ausnahmen und zwar dann, wenn sich eine Seite übervorteilt fühlt.

      Unvergessen ist in diesem Zusammenhang der angebliche Coup der britischen Justiz gegen Tommy Adams, der seinerzeit in der Presse als bedeutender Schlag gegen das organisierte Verbrechen bejubelt wurde und der den bösen Buben für ein paar Jahre hinter Gitter brachte. Dabei wollten die übrigen Adams-Brüder ihrem unbotmäßigen Tommy nur einen Denkzettel verpassen, damit er sich künftig an die innerfamiliären Abmachungen hält. (Das stand selbstredend nicht in der Zeitung.)

      Derartige Vorkommnisse sind dem Meister und mir nie widerfahren. Abgesehen von der unleugbar schlichten Tatsache, dass dies für den potenziellen Flötenspieler das letzte Konzert gewesen wäre.

      Zum Glück ist die Welt des Verbrechens groß genug. Der Meister und ich sind uns nie ins Gehege gekommen. Das ist gut so. Denn bei zwei ausgewiesen durchsetzungsstarken Charakteren kann sich eine derartige Konfrontation rasch zu einem höchst unproduktiven Kräftemessen auswachsen und Situationen provozieren, die letztlich und unweigerlich zur Schwächung beider Seiten führen, wenn nicht ohnehin eine der involvierten Parteien ein unschönes Ende findet. Wobei noch anzumerken ist, dass selbst in diesem Fall der Überlebende keineswegs der Sieger ist.

      Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.

      Schließlich war auch ich einmal jung, leistungsstark und mit aller Macht darauf erpicht, meinen Ruf auszubauen, zu festigen und an meiner eigenen Legende zu stricken. Ich denke da an jene unschöne Begebenheit mit Roberto 1974 auf Lanzarote.

      Der Auftrag damals war ebenso simpel wie lukrativ.

      Die gelangweilte Gattin – nennen wir sie Mrs. X – eines erfolgreichen Industriellen der britischen Energiebranche – ein gewisser Mr. X – wünschte sich nichts sehnlicher als das baldige Ableben ihres Mannes.

      Sie besaß eigenes Vermögen und war bereit, ein stattliches Sümmchen zu investieren, um ihr Anliegen zu realisieren.

      Im Verlauf ihrer Ehe waren viele Gründe zusammengekommen, von denen jeder einzelne ihrer Ansicht nach ausgereicht hätte, dem ungeliebten Gatten ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Da gab es beispielsweise seine zahlreichen Affären mit kostspieligen Geliebten, die das gemeinsame Vermögen in einer Weise belasteten, die Mrs. X schlicht unerträglich fand.

      „Über irgendwelche billigen Nutten aus Soho hätte ich hinweg gesehen“, sagte sie mir, als wir uns zu einem ersten Gespräch trafen, „aber diese Luxus-

kann ich nicht tolerieren.“ Ich muss wohl, als ich ihr Schimpfwort hörte, eine Augenbraue hochgezogen haben, denn sie fuhr fort: „Entschuldigen Sie meine verbale Entgleisung, aber diese gierigen Schlampen habe keine bessere Bezeichnung verdient, jedenfalls nicht, wenn er sie mit meinem Geld stopft!“

      Doch auch sie hatte sich längst anderweitig umgesehen. Sie hatte sich auf Lanzarote mit einem jungen, feurigen Conejero eingelassen, Sohn einer alteingesessenen Familie von Vulkanweinbauern, die weniger wegen des Weinhandels als vielmehr dank küstennahen Landbesitzes im Verlauf der touristischen Entwicklung der Insel zu einem gewissen Wohlstand gekommen war.

      Außerdem hätte sich Mrs. X gerne dauerhaft auf Lanzarote niedergelassen und damit getan, was so viele ihrer Freundinnen bereits vor ihr getan hatten. Doch Mr. X weigerte sich, seine Frau allein in ihrem gemeinsamen Ferienhaus in Puerto del Carmen zurückzulassen, während er der Geschäfte wegen den größten Teil des Jahres auf anderen Inseln verbringen musste, die ohne Frage auch über landschaftliche Reize verfügen, wenngleich sie klimatisch weniger bevorzugt sind. Gemeint sind natürlich die britischen Inseln.

      Wie bei solchen Geschäften üblich, gab es die Hälfte des vereinbarten Honorars im Voraus, die zweite Hälfte sollte nach erfolgreicher Erledigung des Auftrags ausgezahlt werden.

      Während Mrs. X zur vereinbarten Zeit in Teguise, der früheren Hauptstadt Lanzarotes, die im Inselinnern liegt, zusammen mit ihrer besten Freundin eine kleine Töpferei besuchen sollte, um dort ihrer Leidenschaft, dem Erwerb bunt bemalter Teller und Krüge zu frönen und sich somit ein wasserdichtes Alibi zu verschaffen, erschoss ich Mr. X und als leider unvermeidlichen Kollateralschaden – heute sagt man Beifang dazu – zwei seiner Freunde in einem kleinen Fischrestaurant am Jachthafen von Puerto del Carmen.

      Zur Tarnung trug ich eine Langhaarperücke, eine rot umrandete Sonnenbrille mit handtellergroßen Gläsern, einen breitkrempigen Strohhut sowie einen kessen Minirock. Selbstverständlich hatte ich nicht nur mein Gesicht, sondern auch meine Beine sorgfältig rasiert. Der Push-up-BH unter der Bluse war mit Abstand das unbequemste Kleidungsstück, das ich je getragen hatte. Kajal brauchte ich wegen der dunklen Sonnengläser nicht, aber ein farblich sorgfältig auf Hutband und Brillengestell abgestimmter Lippenstift verwandelte meinen Mund zum zentralen Punkt in einem pure Sinnlichkeit ausstrahlenden Gesicht. Ich gab mir jedenfalls alle Mühe, wie eine echte Frau und nicht wie eine abgewrackte Transe zu wirken. Das kann sich, wer mich heute kennt, kaum jemand vorstellen. Doch damals war mein Körper noch wesentlich anpassungsfähiger.

      Außerdem waren die siebziger Jahre eine Zeit, in der in aller Öffentlichkeit mordende Frauen zum Alltag gehörten.

      Wann immer es mir möglich war, habe ich meinen Opfern zur Erbauung ein paar schöne Zeilen mit auf ihren letzten Weg gegeben. Mr. X flüsterte ich, nachdem ich ihm und seinen Begleitern ins Herz geschossen hatte, zwei Verse des unglücklichen Theodor Däubler ins Ohr, darauf bedacht, dass nur er meine Stimme hören konnte:

       „Und diese wird die Schranken brechen,

       Sie reißt die Klammern jäh entzwei,

       Wenn Flammen den Granit durchstechen,

       Durchdonnert ihn ein Lebensschrei!

       Ein Glutstrom stürzt nach der Verwundung

       Der Rippen aus dem finsteren Ball,

       Denn unterwühlt ward seine Rundung

       Durch seinen inneren Flammenschwall!“

      Wie viel Mr. X von meinem Vortrag noch mitbekommen hat, weiß ich nicht. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass während eines Mordes oftmals die Zeit für einige Augenblicke stehenbleibt. Dieses zeitlupenartige Sich-wie-durch-Sirup-Bewegen ereignete sich auch damals und gab mir so die Gelegenheit, mein Sprüchlein aufzusagen und unbehelligt wieder aus dem Lokal zu verschwinden.

      Nachdem ich mich wenig später wieder in einen gepflegten jungen Mann mit kurzen Haaren und Schnauzbart zurückverwandelt hatte, hörte ich im Autoradio meines Mietwagens die Meldung, das fast auf die Minute zur gleichen Zeit in Teguise eine Mrs. X, die sich mit einem jungen Einheimischen in einer billigen Pension eingemietet hatte, nackt und stranguliert auf dem Bett liegend aufgefunden worden war. Den Conejero fand man bleich, ausgeblutet und ebenso tot wie seine Geliebte im ansonsten leeren Kleiderschrank. Es hieß, dass es noch unklar sei, ob er letztlich am Blutverlust gestorben oder an seinen bis tief in die Luftröhre gestopften Geschlechtsteilen erstickt war.

      Mrs. X hatte sich also nicht an unsere Absprache gehalten. Warum sie derart leichtsinnig gewesen war, darüber konnte sie mir jetzt nichts mehr erzählen und ich nur spekulieren.

      Soweit, so unschön.

      Dennoch möchte ich aus heutiger Sicht dazu anmerken: Sie und auch ihr Liebhaber könnten noch am Leben sein, hätte sie sich – wie verabredet – mit ihrer Freundin getroffen. Der Killer, den offensichtlich ihr Mann umgekehrt auf seine untreue Gattin angesetzt hatte, hätte Mrs. X möglicherweise nicht in einem Töpferladen umgebracht. Schließlich erledigt nicht jeder Auftragsmörder seine Arbeit gerne vor mehr oder weniger großem Publikum. Ich vermute zudem, dass er die Frau zusammen mit ihrem Stecher umbringen sollte, wozu er in der Pension ja auch die passende Gelegenheit