Prothesengötter. Frank Hebben

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Название Prothesengötter
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770820



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So bestimmt es der Codex, der unser ganzes System reguliert ...«

      Die Gebärerin wartet, bis ich sie erneut anschaue. »Der Codex ist unser Gesetz. Und das Gesetz ist heilig; niemand, auch keiner der obersten Klasse, darf jemals auch nur eine Zeile des Programmcodes modifizieren, denn der Codex ist ewig und unabänderlich.«

      »Natürlich«, stoße ich hervor. »Das wissen alle Arbeiter, jeder Knecht ...«

      »Aber wir haben es getan! Und sie haben uns dafür bestraft. Jeden auf seine Weise.«

      Ich verstehe. Das war es also! Deshalb bin ich zur Rechenmaschine geworden, wurde in meinen Container gesperrt. Ein vages Gefühl sagt mir, dass sie die Wahrheit spricht.

      »Aber warum … Mutter?«, frage ich mit belegter Stimme. Hat diese Frau mich geboren? Die Vorstellung schüttelt mich!

      »Weil das System veraltet ist, fehlerhaft, unperfekt! Wie ein Geschwür wuchert es blind, immer weiter, Sektor für Sektor, Maschinenstadt für Maschinenstadt, unaufhörlich, unabänderlich. Wir wollten den Prozess stoppen und ein neues, besseres System aufbauen ...«

      »Wir sind gescheitert.«

      »Noch nicht«, antwortet sie, den Mund schmerzverzerrt. »Nach langer Phase konnte sich dein Parasit endlich unbemerkt im Hauptrechner des Werkes einnisten und die Bienenfabrik starten. Kurz darauf machten sich zwei Schwärme auf die Suche nach unseren Pheromonen und fanden mich, dich. Sie gaben dem Parasiten die Koordinaten und Kennnummern durch, Frachtlibellen brachten uns zum Südsektor D und – «

      »Südsektor C.«

      »Nein, wir sind weiter südlich, direkt am toten Meer.«

      »Ist diese Stadt verlassen?«

      »Ja«, sagt sie und nickt. »Hier stört uns niemand, wenn wir das neue System errichten. Die automatische Versorgung ist bereits instand gesetzt ...«

      Ich will noch etwas erwidern, doch ein Rotorengeheul ist plötzlich zu hören, direkt über uns – eine Frachtlibelle landet!

      Draußen. Im Sonnenlicht erstrahlt die Libelle wie Weißgold, so hell, dass ich die Augen beschirmen muss, um den kubischen Behälter zu sehen, der unter ihr, an Ketten gehalten, knapp über dem Felsen pendelt. Staub, Steine wirbeln auf, als die Libelle den Heckrotor schwenkt, dann die Kanzel nach vorne drückt, die Verankerung löst und brüllend durchstartet, worauf der Metallkasten mit ohrenbetäubendem Krach auf dem Boden aufschlägt. Noch ehe das Echo verklingt, ist die Frachtmaschine schon außer Hörweite – nur noch ein glitzernder Punkt über dem Kessel der Stadt.

      Und fort.

      Mein Rollstuhl wurde von einem Windstoß umgerissen, ich lasse ihn links liegen, während ich müde auf den Kasten zuwanke, dessen Tür sich gerade von selbst öffnet. Dahinter: ein Operationsraum voll klinischer Apparate – Skalpellarme, Sägen, Blutpumpen, gesteuert durch ein Expertenprogramm; ich erkenne die Recheneinheit wieder, ein Glaszylinder gefüllt mit violettem Kühlgel. Hightech.

      Erinnerungsfetzen meiner ersten Transformation schießen mir durch den Kopf; wie mir der Speichertumor eingepflanzt wurde; dass mein Lupenauge nicht zu entfernen war ... Ich bin nervös. Mein Herz klopft und meine Hände schwitzen, als ich zögernd den Kubus betrete.

      Hinter mir schließt sich die Tür, wird abgesperrt ... Eisblaue Lampen springen an. Es riecht nach Latex und Desinfektionsmittel.

      Ein Falle!

      Das ist eine Falle, wird mir schlagartig klar; sie haben die Abweichung entdeckt und leiten die Strafsequenz ein! Oh nein, nein! Mein Blick springt panisch umher: Wo ist der Schalter, wie geht die Tür auf? Raus hier, bloß raus! Raus! »Raus!«

      Ein Zischen, bevor eine Gaswolke in den Operationsraum geblasen wird; sofortiger Schwindel, alles kippt nach –

      Die donnernden Schläge der Hämmer, das Schreien der Kreissägen – tausend Werkshelfer an den Maschinen.

      »Deine Kennung?«, brüllt mir der Vorarbeiter ins halbtaube Ohr. Sein Hydraulikarm trieft vor schwarzem Pressöl.

      »Einheit 3.20.833.02, 1.19, Name: Tákeb«, spule ich ab. Ich lasse mein Schweißgerät sinken.

      »Arbeitsplatzwechsel von Planquadrat 539.33, nach Planquadrat 539.46! Dein Zeitkonto wird auf +445 gesetzt! Dein Eifer gefällt mir, nur weiter so!«

      Nickend, ohne eine neues Wort zu sagen, packe ich meine Ausrüstung ein und verlasse meinen Platz. Die Werkshalle ist gewaltig! Hoch oben prasselt Regen auf eine gläserne Kuppel; bräunliche Schlieren laufen beidseitig ab. Ich gehe an den Reihen von Werkshelfern vorbei, mustere ihre Gliedmaßen aus Metall, die wie bei mir Arme und Beine ersetzen; Ausdauer und Kraft, wir schlafen nie, auch wenn wir noch so müde sind.

      Die Produktion muss laufen!

      Stumm tausche ich den Arbeitsplatz mit einer alten Einheit, die wohl bald vom Hauptwerk ersetzt werden wird ... Ich überprüfe seine Werkbank, die Geräte, den Strom, als ein goldenes Insekt auf meiner Stahlhand landet. Die Replikation einer Biene.

      Einer Königin.

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