Der Weg … zurück zu meinen Ahnen. Artur Weiß

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Название Der Weg … zurück zu meinen Ahnen
Автор произведения Artur Weiß
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783961451968



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       Mit Pferdewagen wird der Mais zum Dreschplatz gebracht

       Scharen von Gänsen bilden die Fleischreserven

      Wenn alle Erntearbeiten kurz vor dem Wintereinbruch beendet sind und die ersten Nachtfröste auftreten, ist Schlachtfestzeit, das heißt, die Fleischversorgung für den langen und harten bessarabischen Winter ist zu sichern. Das sind nicht nur die bekannten Geflügelsorten, sondern auch Schaf, Schwein und Rind. Der Winter ist der Kühl- und Gefrierschrank für die Bauern, weil sie keine andere Kühlmöglichkeit haben. Die Elektrifizierung steckte 1930 in Bessarabien noch in den Kinderschuhen und somit war keine technische Kühlung möglich. Aber es gab ja noch andere Möglichkeiten der Haltbarmachung: Räuchern oder Pökeln. Das waren Arbeiten, die Annas Mutter sonst erledigt hat, in diesem Jahr hat es Anna übernehmen müssen, weil die bettlägerige Mutter es nicht mehr schafft. Viele Tage und Arbeitsgänge waren noch nötig, um die Fleischreserven sicher unterzubringen. Unaufhaltsam näherte sich der Monat Dezember und somit auch der erste Advent, der die Vorweihnachtszeit einläutet. Für die frommen Bessarabier ist es eine Zeit der Besinnung und gleichermaßen eine Vorbereitungszeit für Weihnachten, worauf sich die jüngsten noch im Haus befindlichen Geschwister besonders freuten. Für die Erwachsenen sind die Wintermonate abendlich willkommene Zusammenkünfte der Vereine. Besonders beliebt sind die Bibelstunde und die dazu gehörigen Kirchenlieder. Bei anderen Treffen lassen die Frauen die Spinnräder surren, wo Schafwollen zu Fäden gesponnen werden, aus denen mit Stricknadeln oder Häkelhaken Pullover und Socken entstehen. So nutzt jeder Dorfbewohner auf seine Weise die Zeit, wenn meterhoher Schnee die Dörfer und Städte Bessarabiens eingehüllt hat. Meterhohe Schneeverwehungen waren an der Tagesordnung. Haus und Stallgebäude sind oft über Nacht bis zum Dach durch Schneestürme verweht worden, so dass die Männer am Morgen erst zur Schneeschaufel greifen mussten, um in die Stallungen zu gelangen. Das strenge Winterwetter endete oft erst Ende März, bis die Frühlingssonne alle Schneemassen hat tauen lassen. Darauf hatten die Frühlingsblüher, schon lange gewartet.

       Abendliche Treffen mit Gesang, Spinn-, Strick- und Nadelarbeit

       Haus- und Reparaturarbeit für Frauen und Männer

      DER TOD VON MUTTER MESSINGER

      Wenn ein neues Jahr beginnt, ist es üblich, dass man sich Gesundheit und alles Gute wünscht. Davon machte auch die Familie Messinger Gebrauch. Die Wünsche aller haben Annas Mutter aber nicht geholfen. Sie konnte Anfang März, schon schwerkrank, noch ihren einundsechzigsten Geburtstag feiern, dann verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Anna munterte ihre Mutter mit einem kleinen Strauß Schneeglöckchen auf, was diese mit einem Lächeln quittierte. Sie schaffte es noch, an einem Sonntagmorgen die wärmende Frühlingssonne zu erleben, wobei sie mit sichtlich verändertem Gesichtsausdruck die Worte ihres Mannes entgegennahm: „Marta, ich gehe mit den Kindern in die Kirche.“ „Ja Gottlieb, es ist recht so, aber Anna bleibt bei mir“, sagte sie bestimmt. Während Vater Messinger mit seinen Jüngsten das Haus verließ, setzte sich Anna ans Bett ihrer Mutter. Diese ergriff Annas Hand und drückte sie spürbar fest, dabei rollten dicke Tränen über ihr Gesicht. Mit trüben Augen sah sie ihre Tochter an, mit leiser Stimme gingen die Worte über ihre Lippen: Gott hat mich gerufen, ich gehe heim. Nun konnte auch Anna sich nicht mehr ihrer Tränen erwehren und hörte zu, was die sterbende Mutter sich noch von der Seele sprach. Nach einigen Sekunden Pause begann sie das Vaterunser, in welches sich Anna mit einbrachte. Ihre Stimme reduzierte sich zum Flüsterton, auch der Händedruck ließ nach. Mit einem leisen Seufzer hauchte sie ihr Leben aus Annas Mutter war tot. Minuten später kehrten Vater Messinger mit seinen jüngsten Kindern vom Kirchgang zurück, wo dann ihre Heiterkeit in tief empfundene Trauer umschlug. Sie als Rest der Familie umringten das Lager der Toten und verabschiedeten sich mit einem Gebet von ihr. Unverzüglich unterrichtete der Witwer, Gottlieb Messinger, die Behörden und das Pfarramt.

      Nachdem alle begriffen hatten, was geschehen war, ergriff Vater Messinger die Initiative. An Benjamin gewandt: „Spann die Pferde an, wir fahren zum Tischler einen Sarg holen.“ Mit dem Pferdewagen fuhren sie die Klöstitzer Dorfstraße hinauf ins Oberdorf. In der Werkstatt des Tischlers fanden sie den notwendigen Gegenstand. Schnell waren sich die Männer einig und kehrten nach Hause zurück. Dort bahrten Anna und ihr Vater die Frau des Hauses in einem Nebenraum auf. Dabei halfen traditionell Nachbarn und Freunde des jeweiligen Toten. Etwas später hielt Pfarrer Immanuel Baumann die Totenmesse. Dazu gehörte auch die Festlegung des Termins der Beerdigung. Benjamin, nun schon zwölf Jahre alt, erhielt von seinem Vater den Auftrag, alle seine Geschwister vom Tod ihrer Mutter zu benachrichtigen. Vater und Sohn sattelten ein Reitpferd, mit welchem Benjamin die Wohnorte seiner Geschwister problemlos erreichten wird. Versorgt mit Tagesproviant für sich und sein Pferd sowie mit Anweisungen seines Vaters verließ der Reiter den Hof. Vater Messinger schaute seinem Sohn nach, der Klöstitz in Richtung Borodino verließ. Er war sich sicher, dass Benjamin seinen Auftrag zu seiner Zufriedenheit erledigen wird. Im Haus selbst machte sich Traurigkeit und Niedergeschlagenheit breit, sind doch Anna und ihre Geschwister nun zu Halbwaisen geworden. Das und vieles andre stimmten den Witwer nachdenklich, der sich zu Anna an den Tisch setzte. Er ergriff ihre Hände, sah in ihr trauriges Gesicht und sagte dann: „Wir beide und deine zwei Geschwister sind jetzt allein in diesem Haus, die vor uns liegende Zeit wird uns alles abverlangen.“ Unsere erste gemeinsame Arbeit wird sein, deiner Mutter ein ehrenvolles Begräbnis mit allen Familienmitgliedern und Freunden auszurichten.

      Nach diesen Feststellungen verließ der Familienvater das Haus und begab sich in den Stall zu seinen Tieren. Weil Benjamin noch nicht von seiner Tagesreise zurück war, versorgte er ohne seinen Sohn das Vieh. Es war inzwischen dunkel geworden. Als er seine Arbeit beendet hatte, machte er sich langsam Sorgen um Benjamin. Deswegen ging er zur Straße und hielt Ausschau nach dem Reiter, konnte aber wegen der Dunkelheit nichts sehen und auch nichts hören. In Gedanken versunken suchte er das Haus auf, wo Anna mit ihrer Schwester den Abendbrottisch deckte. Anna sah ihrem Vater an, dass er sich sorgte und schenkte ihm aus dem Krug einen Wein ein.

      Ihr Gespräch über das Tagesgeschehen wurde durch ein Pferdewiehern unterbrochen. Freudig stürzten alle zur Tür und auf den Hof, wo sie den Heimkehrer freudig begrüßten. Gemeinsam nahm die Familie am Abendbrottisch Platz, wo Benjamin kräftig zulangte, war es doch ein anstrengender Tag für Benjamin. Gespannt nahm der Vater den Bericht seines Sohnes entgegen, wie seine Kinder die Nachricht vom Tod ihrer Mutter aufgenommen haben. Es gab herzzerreißende Szenen und die Tränen flossen in Strömen. „Meine beiden Brüder Otto und Julius kommen morgen schon, sie wollen das Grab ihrer Mutter ausheben“, so Benjamin. Vater Messinger erläuterte seinen Kindern, was sich in den nächsten Tagen ereignen wird. Jedem übertrug er eine bestimmte Arbeit. Wenn alle seine Kinder mit ihren Familien anreisen, wird es eng auf dem Hof. Mit vereinten Kräften trafen sie in Familie alle Vorbereitungen, auch für Übernachtungen wurde gesorgt. Weil die Sonne sich neigte, riet Vater Messinger, das Vieh zu versorgen, um dann den arbeitsreichen Tag ausklingen zu lassen. Für den Tagesabschluss jedoch, sorgte Annas Abendbrottisch.

      Ein strahlender Frühlingsmorgen eröffnete den Tag der Beerdigung, der für die gesamte Familie Messinger eine Belastung bedeutete. Etwas Freude kam auf, als die Brüder Otto und Julius auf den Hof geritten kamen. Das Wiedersehen mit Vater und Geschwistern war rührend, aber auch mehr bedrückend. Hatten sie sich doch längere Zeit nicht gesehen, weil die Wohnorte weit voneinander entfernt waren. Es gab in den dreißiger Jahren zwar in den Städten Personen-Verkehrsmittel, aber nicht über Land. Sich gegenseitig zu besuchen, war nur mit dem Pferdewagen, mit dem Pferd oder zu Fuß möglich. Nun drängte der Vater seine Kinder zum gemeinsamen Frühstück, was sie bereitwillig taten. Danach spannen Otto, Julius und Benjamin die Pferde an und beluden den Wagen mit diversen Schachtwerkzeugen. Damit verließen die drei Jungs zügig den Hof, ihr Ziel war der Klöstitzer Friedhof.