Weltreligion versus Sexualität. Gerd Wange

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Название Weltreligion versus Sexualität
Автор произведения Gerd Wange
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783961450435



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Familie verlagert wurde. Die Frau war dafür verantwortlich, dass die kultische Reinheit bewahrt wurde. So musste sie unter anderem das Reinheitsgebot für Nahrung und das Vorbereiten der Feste erlernen. Erstmals nach dem zwölften Geburtstag war es jungen Mädchen erlaubt, die Kerzen für den Sabbat anzuzünden. Dieses Eröffnen der heiligen Feste war ein Ritual, was der Frau ein Leben lang auferlegt war.

      Neben dem Verbot des Lesens der Thora und des Talmuds, gab es auch das Verbot den Tallit (ein Tuch, was beim Gebet über den Kopf gelegt wird) zu tragen. Es war Frauen untersagt, weil der Tallit Männerkleidung ist und Frauen gemäß Deuteronomium 22,5 keine Männerkleidung tragen dürfen. Manche orthodoxe Frauen trugen deshalb meist Kleidungsstücke mit langen Ärmeln und eine Perücke als Kopfbedeckung.

      Seit dem 19. Jahrhundert gibt es allerdings eine breite Emanzipationsbewegung innerhalb des Judentums. Auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung meinen moderne jüdische Glaubensgemeinschaften, dass die Gebote an die Entwicklung der modernen Gesellschaft angepasst werden müssen. Frauen sollen gleichberechtigt mit Männern sein, auch im religiösen Leben. Sie dürfen also aus der Thora lesen, den Talmud studieren, gemeinsam mit den Männern beten und es gibt seit einigen Jahrzehnten, vor allem in den USA, auch Frauen, die das Amt des Rabbiners ausüben.

      Streng orthodoxe jüdische Männer danken auch heute noch Gott im Morgengebet dafür, dass sie nicht als Frau zur Welt gekommen sind. Ihre Ehefrauen sollen sich um die Einhaltung der Gebote im Haus und um die Erziehung der Kinder kümmern. In der Synagoge beten sie nach wie vor getrennt von den Männern und das Lesen aus der Tora ist ihnen immer noch nicht gestattet.

      Anfang des Jahres 2015 hat die Frauenrechts-Kommission der Vereinten Nationen in einem Bericht Israel als einziges Land erwähnt, in dem die Rechte der Frauen verletzt werden sollen. Das Land wird insbesondere für die „harte Situation der palästinensischen Frauen“ verantwortlich gemacht. Leider lässt der UN-Bericht Wesentliches unerwähnt, denn schließlich gibt es gravierende Benachteiligungen von Frauen auch in anderen Ländern. Ein Blick in aktuelle Amnesty-International-Berichte oder -Petitionen genügt, um zu sehen, wie im UN-Bericht nicht erwähnte Länder ihre Frauen behandeln: In China werden Frauen festgenommen, wenn sie gegen sexuelle Belästigung demonstrieren. In Saudi-Arabien besteht für Frauen im gesamten Land ein striktes Autofahrverbot (laut Regierung aus Sicherheitsgründen). Frauen dürfen nach den strengen Regeln des konservativen Königreichs nicht alleine reisen und dürfen nur in Begleitung von Männern ausgehen. In Afghanistan, den palästinensischen Autonomiegebieten sowie zahlreichen anderen arabischen Staaten sind Frauen verpflichtet, die Burka o. ä. zu tragen, werden Opfer von Zwangsheirat, Ehrenmord, Prügelstrafen und anderen Schikanen. Die Auflistung ließe sich noch durch einiges ergänzen. Doch dazu später.

      Das Thema ist bei den Juden konfliktgeladen. Homosexuell sein und jüdisch. Da stellt sich unter Umständen die Frage, was gesteht man wem zuerst? Gläubiger Jude und bekennender Schwuler? Das galt in Israel bislang als unvereinbar. Schließlich verbinden viele Menschen mit Israel streng religiöse Werte und früher gab es nur drei Möglichkeiten, damit umzugehen: aufhören religiös zu sein, im Verborgenen bleiben oder sich umbringen. Heute gibt es eine vierte Möglichkeit: sich zusammenzuschließen und die Veränderung in den jüdischen Gemeinden voranzutreiben. Dadurch hat sich der Umgang mit der Homosexualität bemerkenswert entspannt. Zumindest unter den nicht-orthodoxen Juden, also liberalen Gemeinden, die homosexuellen Menschen positiv gegenüberstehen und mit diesem Thema überhaupt keine Schwierigkeiten haben. Doch nach wie vor gibt es eine enorme Diskrepanz zwischen den streng Religiösen und den Säkularen. Und viele Menschen aus streng religiösen Familien trauen sich nicht, sich zu outen, aus Angst, von ihren Familien geächtet und verstoßen zu werden.

      Weltweit gibt es im Judentum sehr kontroverse Ansichten zum Thema Homosexualität: von Akzeptanz bis hin zu wütender Ablehnung. Im orthodoxen Judentum gilt für alle eine Heiratspflicht. Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr wird deshalb abgelehnt. Somit müssen sich viele zwischen Homosexualität und Religion entscheiden. Wir kennen die Passage in der Tora (3. Buch Moses 18,22), in der es als „Gräuel“ bezeichnet wird, wenn ein Mann mit einem anderen „wie mit einer Frau“ zusammenliegt.

      Ganz in dieser jüdischen Tradition befangen, schreibt der Jude Philo von Alexandria (gestorben ca. 45/50 n. Chr., „dass man den weibischen Mann, der das Gepräge der Natur verfälscht, unbedenklich töten und keinen Tag, ja keine Stunde leben lassen soll”. Auch wiederholen talmudische Autoren die klare Ablehnung der Homosexualität. Liberale Rabbiner sind zwar der Homosexualität gegenüber offener, aber auch sie verheiraten kaum jemals Lesben und Schwule. Nur gerüchteweise ist von gleichgeschlechtlichen Trauungen zu hören. Allerdings gibt es heutzutage auch sehr liberal denkende Orthodoxe. Beispielsweise trauen zahlreiche Rabbiner in den USA Lesben und Schwule – vor allem im Reformjudentum und im sogenannten konservativen Judentum, das eine Mittelposition im Spektrum der jüdischen Richtungen einnimmt. Liberale und konservative Seminare ordinieren Lesben und Schwule zu Rabbinern und Kantoren. Auch feiern manche modern-orthodoxe Gemeinden in den USA Segnungszeremonien für Homosexuelle. In Israel gehen orthodoxe Lesben und Schwule selbstbewusst an die Öffentlichkeit, doch der orthodoxe Mainstream dort akzeptiert Homosexualität weiterhin nicht. Dort gibt es religiöse Telefonhotlines, die auf den angeblich richtigen Pfad der Heterosexualität zurück helfen sollen. Und wie in zahllosen Ländern der Welt muss auch in Israel die Politik ihren Senf dazugeben.

      Ein Abgeordneter der einst mitregierenden ultraorthodoxen Schas-Partei gab zu Protokoll: „Schwule und Lesben treiben die Zerstörung des jüdischen Volks voran“. Er empfahl gegen diese „Epidemie“ Maßnahmen wie gegen die Vogelgrippe. Ein anderer Schas-Parlamentarier machte Schwule ob ihres sündigen Treibens für ein von Gott geschicktes Erdbeben verantwortlich, und Eli Jischai, der frühere Innenminister, nannte sie eine „Minderheit mit Normdefekt“. Noch immer gibt es homophobe Angriffe und Fälle, in denen Familie ihre Kinder aus dem Haus werfen. Selbst in säkularen Kreisen ist das traditionelle Familienleben, also Mutter, Vater und Kinder, richtungweisend.

      Der Rabbiner der US-Gemeinde „Temple Aliyah“ in Needham, Massachusetts, Carl M. Perkins, bringt in seinem Artikel „Kann denn Liebe Sünde sein?“ (veröffentlicht in der „Jüdischen Allgemeine“ im Juni 2011), die Problematik auf den Punkt:

       „Die Bibel, der Chumasch, war im Laufe der Jahrhunderte für viele Menschen eine Quelle der Inspiration. Sie half ihnen in ihrem Streben nach Anstand, Güte und Gerechtigkeit. Sie diente aber auch als Vorwand für Grausamkeit und Gewalt und brachte viel Leid und Verzweiflung. Im Namen dieses Buches haben viele Menschen großartige Dinge vollbracht. Andere vollbrachten schändliche Taten in seinem Namen. Im 1. Buch Moses, in der Parascha Wajera, lernen wir die Stadt Sodom kennen, einen Ort großer Niedertracht und Verdorbenheit. Wir erfahren aus dem Teil der Parascha nicht, worin genau die Verdorbenheit der Stadt bestand, doch wird uns später mitgeteilt, dass die Männer Sodoms nicht nur ungastlich, brutal und grausam waren – sondern auch homosexuell.

       Nun, wir haben es hier mit der Bibel zu tun. Sie verfügt über große Autorität. Und indem sie eine Metropole der Niedertracht und Verdorbenheit, einen Ort, der so schrecklich ist, dass er die absichtsvolle Zerstörung durch Gott verdient, mit Homosexualität in Zusammenhang bringt, macht die Bibel deutlich, was sie über Menschen denkt, die sich eines solchen Verhaltens schuldig machen. Sie sind es nicht wert, zu leben. Es gibt nicht sehr viele Texte in der Bibel, die Homosexualität erwähnen oder darauf Bezug nehmen, doch wie der hier vorliegende scheint jeder einzelne von ihnen sie zu verdammen. So überrascht es nicht, dass jeder, der in einem auf der Bibel beruhenden religiösen Glauben erzogen wurde, egal ob es sich um das Judentum, Christentum oder den Islam handelt, die eindeutige Botschaft hört: Homosexualität ist böse. Nicht nur böse, sondern wirklich böse. Man denke an das Leid und die Verzweiflung, die diese Verdammung über die Jahrhunderte hervorgerufen hat. Männer und Frauen, die sich von Menschen ihres eigenen Geschlechts und nicht von solchen des anderen Geschlechts angezogen fühlten – ansonsten anständige, liebenswürdige und moralische Individuen -, wurden verspottet, verleumdet und verfolgt. Und es geschieht auch noch in unserer heutigen Zeit.

       Vor Kurzem fand ein junger