Название | Weltreligion versus Sexualität |
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Автор произведения | Gerd Wange |
Жанр | Религия: прочее |
Серия | |
Издательство | Религия: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961450435 |
Der jüdische Glaube war die erste Religion, die weit in der Welt verbreitet war. Im Judentum kann man Glauben und Alltag nicht trennen. Juden folgen nicht einem Gott, sondern dem Gott. Zwar akzeptieren auch sie Konvertiten, doch ihre Gesetze und Riten – von der Beschneidung bis hin zu den Speisevorschriften – sind so streng, dass nur wenige zu ihnen übertreten. In die Religion der anderen wird man aufgenommen, ins Judentum hineingeboren. Man kann zwar unter bestimmten Bedingungen auch als Nicht-Jude zur jüdischen Religion übertreten, genauso, wie man das Bekenntnis anderer Religionen annehmen kann. Aber als Jude wird man zunächst einmal geboren. Jude ist, wessen Mutter Jüdin ist. Andere Religionen bilden Gemeinden, die Juden sind ein Volk – ein stolzes, denn ihr Volk ist das von Gott auserwählte. Die Geschichte des Judentums – es ist auch die Geschichte eines rast- und ruhelosen Volkes, eine Geschichte voller Leid und Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung. Eine nachdenkliche, irreal anmutende Geschichte von den Abgründen der Menschheit, von Hass und Angst und Intoleranz. Fast wäre ihr Ende bereits besiegelt gewesen. Doch das Judentum hat überlebt, hat sich beständig gewehrt gegen das Vergessen. Von ihm ging eine entscheidende Beeinflussung des Christentums und des Islams aus. Im Jahr 600 n. Chr. waren jüdische Gemeinden bis nach China, Indien und Afrika verstreut. Es ist nicht eindeutig zu beantworten, wer letztendlich ein Jude ist. Auch im Judentum selbst ist dies eine bis heute sehr umstrittene Frage.
Erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es wieder einen jüdischen Staat, den Staat Israel. Jahrhundertelang hatten die Juden aber kein nationalstaatliches Territorium und gehören daher bis heute unterschiedlichen Nationen an. Judentum kann also mit Vokabeln umschrieben werden wie Religion, Volk, Kultur, Glaubens-, Schicksals- oder Traditionsgemeinschaft. Die jüdische Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide hat auf die Frage „Wer ist Jude?“ folgende Antwort parat: „Jude ist man, wenn man als Jude geboren wird, hineinkonvertiert oder nicht hinauskonvertiert.“
Die orthodoxen Juden glauben, dass die Worte der Thora (Weisung) die Worte Gottes sind, die er vor 3000 Jahren auf dem Berg Sinai an Mose weitergab. Darin steht die frühe Geschichte der jüdischen Religion und des Volkes Israel. Zudem regelt die Thora viele Fragen des jüdischen Alltags. Sie wird stets mit Ehrfurcht behandelt. Eigens dafür ausgebildete Schreiber übertragen ihren Text auf Pergamente, die zu Rollen zusammengeheftet und im Wortgottesdienst in der Synagoge hervorgeholt werden. Die orthodoxen Juden verstehen die Thora als unmittelbar von Gott offenbart. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, wird im Alltag befolgt. Orthodoxe Juden ernähren sich stets koscher und beachten strikt eine große Anzahl ritueller und liturgischer Regeln, zum Beispiel die Einhaltung des Sabbats (Ruhetag). Das konservative Judentum versteht sich als Mittelweg zwischen orthodoxem und progressivem Judentum. Es will einerseits jüdische Tradition bewahren, andererseits aber mit dem jüdischen Religionsgesetz vereinbare Modernisierungen durchsetzen. Liberale Juden hören es nicht gerne, wenn man sie Juden nennt. Man zieht das Wort „mosaisch” vor. Es gibt orthodoxe und ultraorthodoxe Juden, konservative, liberale und progressive.
Auf der Welt leben weit mehr als sieben Milliarden Menschen. Davon sind geschätzte zwei Milliarden Christen und 1,5 Milliarden Muslime. Gegenüber diesen enormen Zahlen ist das Judentum unter den Weltreligionen eine relativ kleine Religionsgemeinschaft. Gegenwärtig gibt es weltweit etwa 13 bis 15 Millionen Juden. Ein Grund für die geringe Expansion ist, dass Juden nicht missionieren, also keine neuen Anhänger ihrer Religion werben.
Woran glauben die Juden? Die Welt des Judentums ist eine Welt der Gesetze. Alles beruht auf der Offenbarung, die Moses von Gott empfangen haben soll. Ganz anders das Christentum, das aus der streng patriarchalischen Tradition der altjüdischen Religion hervorgegangen war: Für Juden ist sie die Thora, das Grundgesetz ihrer Religion. Christen kennen die Geschichte von den zehn Geboten, die Moses aufgeschrieben hat. Juden lesen 613 Vorschriften aus der Tora, 248 Gebote und 365 Verbote. Sie sollen Gott lieben. Sie sollen Gott fürchten. Sie sollen keine Nichtjuden heiraten. Sie sollen Almosen geben. Sie sollen keine Lebewesen essen, die im Wasser leben, außer Fisch. Viele der 613 Vorschriften sind sehr konkret. Wenn einer auch nur einen einzigen Menschen rettet, dann ist das, als hätte er die ganze Welt gerettet, sagt der Talmud (Belehrung, Studium).
Die hebräische Bibel empfiehlt, eine Ehe auf der Grundlage von sinnlicher Begierde aufzubauen – anders als das Neue Testament, das die Rolle der Liebe betont. In jüdischen Schriften dagegen ist Sinnenlust nicht nur eine Empfehlung, sondern ein Gebot. Natürlich geht es dabei nicht um verbotene Lust. Die Bibel bezeichnet die Lust als heilig, und die Lust eines Mannes auf seine Frau ist Gott lieb und teuer. Mit der Forderung der mosaischen Religion, dass alle sexuellen Aktivitäten in die Ehe zu kanalisieren sind, setzte eine fundamentale Veränderung der antiken Welt ein.
Das Verbot von außerehelichem Sex durch die Thora war, schlicht gesprochen, das Initial der westlichen Zivilisation. Gesellschaften, die der Sexualität keine nennenswerten Grenzen setzten, gerieten ins Hintertreffen. Daher ist es legitim, die sich daraus ergebende Vorherrschaft der westlichen Welt zu einem erheblichen Maß der sexuellen Revolution zuzuschreiben, die im Judentum ihren Anfang nimmt und später vom Christentum weitergetragen wurde. Die Revolution bestand darin, den Geist der Sexualität in die Flasche der Ehe zu zwingen. Damit wurde die alles dominierende Rolle von Sexualität in der Gesellschaft zurückgedrängt. Dies war die Voraussetzung dafür, dass die allgemeine Wertschätzung von geschlechtlicher Liebe zwischen Mann und Frau wachsen konnte, (was die Entfaltung von Liebe und Eros in der Ehe als den Maßstab erst möglich machte), und der beschwerliche Prozess, den wir die Verbesserung der Stellung der Frau nennen, seinen Anfang nehmen konnte.
Zahlreiche jüdische Moralvorstellungen wurden vom späteren Christentum übernommen. So lehnten auch die christlichen Kirchen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe, Inzest, Ehebruch, Prostitution, Selbstbefriedigung und Homosexualität ab. Im Unterschied zum Judentum wurden dort auch Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit als Mittel angesehen, um Gott besser dienen zu können. Wie viele angenehme Dinge des Lebens, ist auch die Sexualität im Judentum nichts schlechtes, sondern sogar etwas (sehr) Gutes. Das lassen schon Zitate aus dem Talmud erahnen.
Ähnlich ist es beim Essen. Es wird nicht nur zur bloßen Nahrungsaufnahme herabqualifiziert. Es kann mehr sein als das. Allerdings innerhalb gewisser Leitlinien. Hier haben wir die „Kaschrut“, die die Nahrungsaufnahme regelt und aus einer „natürlichen“ Handlung eine „heilige“ macht. Die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau hat nicht nur den Zweck der Fortpflanzung, aber natürlich auch diesen. Denn „Seid fruchtbar und mehret Euch“ (1.B.Mose 1,28) ist die erste Mitzwah (Gebot im Judentum) in der Thora.
In der Realität gibt es sehr wenige Einschränkungen, was die konkreten Spielarten der Sexualität betrifft. Vorzuziehen ist zwar, dass Mann und Frau sich während der Vereinigung anschauen können. Aber es ist kein Zwang, sondern zwischendurch können Mann und Frau auch vollkommen anders zu Werke gehen und die Stellungen durchaus wechseln. Überhaupt gehört Sexualität im Judentum zum menschlichen Leben und ist kein Tabuthema. Lust ist ein völlig legitimer Bestandteil der Sexualität. Der Schabbat, genauer genommen, der Freitagabend gilt gemeinhin als besonders guter Zeitpunkt für sexuelle Aktivitäten. Man kann sogar sagen, es sei eine Mitzwah, am Freitagabend Sex zu haben. Der eheliche Verkehr gehört damit zur Schabbatfreude. Die ultraorthodoxen Juden, von denen eine überwiegende Mehrheit in Jerusalem lebt, ist immer noch eine befremdlich verschlossene Gesellschaft mit Regeln und Ritualen aus uralten Zeiten. Es ist ein Stück Israel, Lichtjahre entfernt vom lockeren Strandleben am Mittelmeer und einer zum Westen hin orientierten Jugend. Hier begegnet man häufig Männern mit langen, geringelten Schläfenlocken, bekleidet mit einem schwarzen Kaftan. Frauen spielen, wie im Islam, eine untergeordnete Rolle. Sie müssen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch oder eine Perücke tragen und im Bus stets hinten sitzen. Die Einwohner des alten Judenviertels von Jerusalem sind stets von einer dichten Schar Kinder umgeben, die die rituellen Kleidersitten ihrer Eltern bereits eifrig nachahmen. Die verheirateten, jüngeren Frauen sind – falls sie nicht gerade einen Säugling auf dem Arm tragen – ausnahmslos schwanger. Die laizistischen Israeli haben nur Spott übrig für diese streng religiösen Familien, bei denen die Zahl der direkten Nachkommenschaft nicht selten zwischen zehn und fünfzehn schwankt. Da sie kein Fernsehen einschalten dürfen und jeder weltlichen Vergnügung aus dem Weg gehen, bleibt ihnen wohl nur die Freude der Zeugung. Aber