Kopflos in Dresden. Victoria Krebs

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Название Kopflos in Dresden
Автор произведения Victoria Krebs
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783948916008



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– war die Mehrzahl der Kontakte, die sich zunächst als durchaus vielversprechend dargestellt hatten, fast ausnahmslos in einer Enttäuschung gemündet. Der Unterschied zwischen den virtuellen Profilen und der hässlichen Wirklichkeit hatte sich immer wieder als zu groß erwiesen.

      Einige, die ihr vorgegaukelt hatten, auf der Suche nach einer Seelenverwandten zu sein, stellten sich als biedere Familienväter heraus, deren Frau mit dem zweiten oder dritten Kind schwanger war, und die einfach nur auf sexuelle Abenteuer aus waren. Aber noch viel übler waren die Trophäensammler, die wahren Zombies in dieser virtuellen Welt. Die Jäger visierten ihre Opfer an und schossen sie ab. Hatten sie ihr Ziel erreicht und eine Frau rumgekriegt, meldeten sie sich nicht mehr, reagierten nicht auf Mails und legten sie als virtuelle Leiche ab. Das war der weniger erfreuliche Aspekt dieser aufregenden und rasant schnellen Kontaktaufnahme.

      Und doch war Linda noch voller Hoffnung: Vielleicht würde sie hier einen Partner für eine langfristige Beziehung finden. Sie durfte bloß nicht den Kopf verlieren und nicht zu schnell nachgeben, sie musste die Männer ein wenig zappeln lassen. Sonst würden die sofort merken, dass sich langsam so etwas wie Torschlusspanik in ihr breitmachte. Und das, so hatte sie im Laufe der Zeit schmerzlich erfahren müssen, war ein Garant dafür, dass ein Typ ebenso schnell das Weite suchte, wie der Kontakt aufgenommen und ein Treffen vereinbart worden war.

      Diese verflixten Kerle, dachte sie. Die tickten irgendwie auch nicht ganz richtig. War die Beute zu leicht zu haben, verloren sie sehr schnell das Interesse. Offenbar betrachteten sie eine Frau nur so lange als anziehend, solange das Objekt ihrer Begierde nicht nachgab.

      Linda fand es ausgesprochen kompliziert, die richtige Balance zu finden, dieses Spiel zwischen Anziehung und Zurückweisung, Nachgeben und Verweigern auszutarieren. Es war sehr anstrengend, es mitzuspielen und das Interesse der Männer aufrechtzuerhalten. Dabei hatte sie am eigenen Leib erfahren, dass nichts die Männer so sehr anstachelte, wie wenn man sich zwei Wochen lang nicht meldete und seine Mails einfach nicht beantwortete, obwohl das Gegenüber sehen konnte, dass man online war. Das weckte ihren Jagdinstinkt und Ehrgeiz.

      Eine Frau, die einen Mann mit offenen Armen empfing und ihm so signalisierte, jederzeit verfügbar zu sein, stand auf verlorenem Posten. Daher war Linda fest entschlossen, ihre Strategie zu ändern und sich an die Regeln zu halten, die sie an einem Abend vor zwei Wochen mit einem Glas Weißwein in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand aufgestellt hatte.

      Damit sie ihre Gebote in der ersten Euphorie eines »Matches« nicht gleich wieder vergaß und sich nicht selbst betrog, hatte sie fein säuberlich eine Liste geschrieben. Wesentlicher und entscheidender Punkt dieses Regelwerkes war es, nicht gleich beim ersten oder zweiten Date mit einem Mann ins Bett zu gehen, selbst wenn er noch so gut aussah und total sympathisch rüberkam.

      Etwas länger hatte sie für die Formulierung der Regel benötigt, nach dem wievielten Treffen Sex okay wäre. Nach einiger Überlegung hatte sie die Zahl von sechs auf vier vorangehende Verabredungen korrigiert. Sie war schließlich keine alte Jungfer, sondern eine attraktive junge Frau mit einem gesunden sexuellen Appetit. Im Gegenzug hatte sie die Zeitspanne von der Kontaktaufnahme bis zum ersten Treffen auf mindestens einen Monat nach oben geschraubt. Das erschien ihr zwar geradezu absurd lang, aber sie war wild entschlossen, sich auf dieses Spiel und die Hinhaltetaktik einzulassen. Sollten sich diese neuen, selbstauferlegten Regularien als untauglich erweisen, könnte sie immer noch zu ihren alten Gewohnheiten zurückfinden. Nichts leichter als das!

      Endlich war Mittagspause. Aber die blöde Schachtel ihr gegenüber machte keine Anstalten aufzustehen und in die Kantine zu gehen. Vielmehr tat sie so, als wäre sie ganz in ihre Arbeit vertieft. Linda war sich sicher, dass sie sie bloß dabei ertappen wollte, wie sie sich endlich ihr Smartphone schnappte und die neue Nachricht las.

      Blöde Kuh, dachte sie, nahm das Handy aus ihrer Handtasche, verließ das Büro und steuerte die Toilette an. Dort konnte sie in aller Ruhe nachschauen, wer ihr geschrieben hatte. Das bekannte Kribbeln im Bauch erfasste bereits ihren ganzen Körper. Wer würde es diesmal sein? Vielleicht endlich der lang ersehnte Traummann?

      Noch auf dem Weg zum Klo ermahnte sie sich, sich strikt an ihre neuen Regeln zu halten: Zwar Interesse signalisieren, jedoch freundliche, aber bestimmte Zurückhaltung an den Tag legen und den Chat am ersten Tag auf höchstens fünf Minuten begrenzen.

      Eilig schlüpfte sie in die Kabine und verschloss die Tür. Mit der Fußspitze hakte sie hinter den Klodeckel und ließ ihn auf die Brille knallen. Mit zum Schneidersitz verschränkten Beinen aktivierte sie das Display ihres iPhones. Wie gebannt starrte Linda auf ihr Handy: Sie hatte eine Nachricht über New-Love bekommen!

      Kapitel 4

      Zurück im Präsidium, gingen Maria und Gerd direkt in ihr gemeinsames Büro, um sich ohne großen Zeitverlust auszutauschen. Das war ein Ritual, das sie seit Jahren pflegten – eine Art Brainstorming der Gefühle und Impressionen, bewusst jede Plausibilität und Logik ignorierend.

      Unterwegs kamen sie an Nihats Schreibtisch vorbei. Er sah nur kurz auf und bedachte Maria mit einem harten, kühlen Blick aus seinen schmalen Augen. Sogleich vertiefte er sich wieder in seine Unterlagen.

      Nihat war der Sohn einer japanischen Pianistin und eines erfolgreichen türkischen Geschäftsmanns, der mehrere Restaurants in der Innenstadt von Frankfurt am Main besaß. Seit über einem Jahr hatten sie eine leidenschaftliche Beziehung.

      »Hast du Dr. Martin schon erreicht, Nihat?«

      Der Befragte schüttelte den Kopf, ohne den Blick zu heben.

      »Oder irgendetwas herausgefunden, ob sich in letzter Zeit ähnliche Fälle ereignet haben?«

      »Nein, bisher noch nicht. Ich durchforste noch die Datenbanken.«

      »Okay, mach weiter. Sobald du was gefunden hast, kommst du sofort zu mir. Und versuche, den Psychologen noch zu erreichen.«

      »Ja, mach ich.«

      Verunsichert starrte Maria auf seinen schwarzen Scheitel. Was war denn nun schon wieder los? Warum war er auf einmal so abweisend und einsilbig? Aber dafür war jetzt keine Zeit, entschied sie. Wortlos ging sie weiter und schloss die Tür ihres Büros hinter sich und ihrem Kollegen und Stellvertreter Gerd.

      »Was denkst du?«, fragte sie und eröffnete damit die Prozedur ihres Rituals. Gespannt beobachtete sie Gerd, der ihr gegenüber an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.

      »Also, auf jeden Fall sehr viel Symbolik. Der Kopf in der Vase, das Arrangieren des Körpers in dem Baum, die weit geöffneten Arme … Fast schon ein bisschen viel, finde ich.« Er kratzte sich am Kopf. Die kurz geschnittenen grauen Haare hatte er mit Wachs in eine modische Form gebracht. Die tiefen Falten, die sich von seinen Nasenflügeln bis runter zu den Mundwinkeln zogen, verliehen ihm einen sensiblen Ausdruck. Maria war davon überzeugt, dass er ohne diese markanten Falten, die bei den meisten anderen Männern für einen müden und alten Ausdruck im Gesicht gesorgt hätten, längst nicht so interessant wirken würde.

      »An was erinnert dich das? Irgendeine Idee?«

      »Tja«, er kniff die Lippen zusammen. »Also, die Enthauptung … eine politisch motivierte Tat? Aber mein Gefühl sagt nein, ich kann aber nicht sagen, wieso. Vielleicht, weil es sich um ein weibliches Opfer handelt. Und der Körper im Baum passt nicht dazu.«

      »Das ist genau das, was mir auch zuerst in den Sinn gekommen ist. Trotzdem sollten wir YouTube durchsuchen, ob es womöglich ein Video darüber gibt. Falls ja, müssen wir mit einer politisch motivierten Tat rechnen. Das kann Hellwig Dreiblum übernehmen.«

      Maria schrieb eine entsprechende Notiz für den Studenten der Polizeihochschule.

      »O.K., warten wir’s ab«, fuhr sie fort. »Woran musstest du denken, als du den Körper der Frau im Baum gesehen hast? Dein erster Gedanke, Gerd.«

      »An einen riesigen Vogel. An einen Vogel, der gerade fortfliegen will. So sah es aus.«

      »Ja«, meinte Maria nachdenklich. »Ein nackter, großer Vogel ohne Kopf auf einem dicken Ast. Glaubst du, dass das von Bedeutung ist?«

      »Was