Kopflos in Dresden. Victoria Krebs

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Название Kopflos in Dresden
Автор произведения Victoria Krebs
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783948916008



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Ihre Stimme klang rau, ihr Kopf dröhnte. Sie musste unbedingt mit dem Rauchen aufhören.

      »Maria? Hier ist Gerd. Im Großen Garten wurde eine Leiche gefunden. Am Palaisteich.«

      »Ach du Scheiße! Gib mir ’ne halbe Stunde.« Maria legte das Handy wieder auf den Nachtschrank zurück, umarmte Nihat und küsste ihn sanft auf den Mund.

      »Du überraschst mich immer wieder, weißt du das?«

      Er sagte nichts, sondern grinste nur.

      »Wir müssen los. Eine Leiche, Großer Garten.«

      Sie zogen sich hastig an. Für eine Dusche oder einen Kaffee, den Maria nach dem langen gestrigen Abend dringend benötigt hätte, blieb keine Zeit. Sie verließen ihre Wohnung in der Stübelallee und fuhren mit dem Aufzug die acht Stockwerke hinunter ins Erdgeschoss.

      Auf dem Weg nach unten zog Nihat sie an sich und küsste sie. Warum konnte der Lift nicht einfach mal steckenbleiben? Dann könnten wir da weitermachen, wo wir vorhin aufgehört haben, dachte sie sehnsüchtig. Aber das gab es wohl nur im Film. Dieser Aufzug hier funktionierte jedenfalls ausgezeichnet.

      Kurz darauf saßen sie in ihrem Dienstwagen und bogen auf die zweispurige Allee ein. Eine Ampel und wenige Minuten später hielten sie vor dem östlichen Eingang zum Großen Garten. Normalerweise wurde er von mehreren halbhohen Pfosten versperrt, die nun aber entfernt worden waren. Stattdessen blockierten zwei Polizeiwagen die Zufahrt. Die diensthabenden Polizisten tippten mit dem Zeigefinger an den Schirm ihrer Mützen und winkten Hauptkommissarin Maria Wagenried und Kommissar Nihat Celan durch, nachdem sie sie erkannt hatten.

      Schon von Weitem waren der Krankenwagen und das Aufgebot an Streifenwagen mit ihren flackernden Blaulichtern zu sehen. Die unbefestigten Enden der rot-weißen Absperrbänder hingen an diesem windstillen Morgen schlaff herunter. Bereits jetzt konnte man spüren, welch drückende Hitze die Stadt in wenigen Stunden wieder lähmen würde.

      Maria und Nihat stiegen aus. Die Blicke der Kollegen kannte sie schon. Es machte ihr nichts mehr aus, dass diese offensichtlich über ihr Verhältnis mit ihrem vierzehn Jahre jüngeren Mitarbeiter im Bilde waren. Lange Zeit waren sie ausgesprochen vorsichtig gewesen, hatten peinlichst genau darauf geachtet, sich nicht durch eindeutige Gesten oder Blicke zu verraten, und niemals, niemals morgens um halb sieben gemeinsam an einem Tatort aufzukreuzen – so wie heute. Da sie am Anfang ihrer Beziehung nicht gewusst hatte, wie lange diese dauern würde, wollte sie nicht, dass jeder davon erfuhr. Doch nach fast einem Jahr war es sowohl ihr als auch Nihat gleichgültig, was die Kollegen dachten. Sollten sie sich doch die Mäuler zerreißen!

      »Morgen«, brummte sie in die Runde. »Wo ist denn die Leiche?«

      Gerd Wechter wies mit dem Kopf nach oben zur Vase, an der noch immer die Leiter des Gärtners angelehnt stand. Maria runzelte die Stirn. Ohne eine weitere Erklärung abzuwarten, kletterte sie rasch hinauf. Sie prallte im selben Moment zurück, als sie sah, was in der Vase lag.

      Eine grausam verzerrte Fratze starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Vor Todesangst waren sie aus ihren Höhlen getreten, sodass das Weiße um die Pupillen gespenstisch zu leuchten schien. Lange blonde, blutverkrustete Haare schlängelten sich hinab bis zu der Stelle, an der der Kopf vom Hals abgetrennt worden war – ein Kranz aus blutigem, zerfetztem Gewebe und Knorpelteilen. Fliegen hatten sich bereits auf die Wunde gesetzt, um ihr zersetzendes Werk zu verrichten. Ein ganzer Schwarm von summenden, grün-bläulich schimmernden, fetten Insekten schwirrte um den fürchterlich entstellten Kopf des Opfers, das zu Lebzeiten eine schöne Frau gewesen sein musste.

      Auffällig war das seidig-blonde Haar, das in blutverkrusteten Strähnen wirr um ihren Kopf lag. Entsetzt sah Maria, wie eine besonders große Fliege über den linken Augapfel der Toten krabbelte. Drei weitere Insekten krochen aus dem weit geöffneten Mund. Eine andere verschwand im rechten Nasenloch und tauchte nach wenigen Sekunden aus dem linken wieder auf.

      Die Kommissarin musste für einen Moment ihre Augen schließen und sie war froh, dass sie noch nicht gefrühstückt hatte. Sie atmete einmal tief durch, bevor sie die Leiter hinabstieg und wieder festen Boden unter den Füßen spürte.

      Um sich zu sammeln, blieb sie für einen Moment regungslos stehen. Dann fiel ihr Blick auf die konzentriert arbeitenden Kollegen von der Spurensicherung. Kleine Plastiktütchen gingen von Hand zu Hand, Pinzetten und Kontrastpulver kamen zum Einsatz. Das grelle Blitzlicht des Fotografen schmerzte in Marias geröteten Augen, die von zu viel Alkohol und zu wenig Schlaf brannten.

      Wo steckte eigentlich der Arzt? Sie schaute sich um und entdeckte ihn. Er hockte vor seiner Tasche und wühlte darin herum.

      Entschlossen ging sie zu ihm und kam dabei an Nihat vorbei, der ihr einen prüfenden Blick zuwarf und dann ebenfalls auf die Leiter kletterte, um den Kopf zu inspizieren.

      »Guten Morgen, Dr. Stein. Schon irgendwelche Erkenntnisse?« Sie streckte ihm die rechte Hand entgegen. Mühsam rappelte sich der Mediziner auf, der nur noch wenige Jahre bis zum Ruhestand vor sich hatte, und griff sich ächzend ins Kreuz.

      »Verfluchter Rücken. Hab mir schon ’ne neue Matratze gekauft, schweineteuer, sag ich Ihnen! Hat aber bisher auch noch nicht geholfen.«

      Er drückte seinen Rücken durch und verzog dabei schmerzvoll das Gesicht, bevor er mit seinem Bericht anfing.

      »Also, das Opfer ist weiblich, circa dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt. Die Enthauptung wurde äußerst unprofessionell vorgenommen. Der Täter hat mehrfach angesetzt, um den Kopf abzutrennen. Mit einer relativ stumpfen Säge, wie ich stark vermute. Einen Chirurgen oder Schlachter können wir als Täter demnach getrost ausschließen.« Das meinte er völlig ernst. »Die Rechtsmedizin wird alles Weitere klären, so wie immer.«

      »Können Sie schon den Todeszeitpunkt eingrenzen?«

      »Grob geschätzt ist der Tod vor zehn bis fünfzehn Stunden eingetreten. Ganz offensichtlich ist der Fundort nicht der Tatort, sonst wäre hier viel mehr Blut vorhanden. Ob der Fleck da unterhalb der Vase vom Blut der Toten herrührt, muss noch untersucht werden.«

      Wieder ging er in die Hocke und kramte erneut in seiner Tasche herum.

      »Ach so, hätte ich beinahe vergessen«, sagte Dr. Stein und blickte aus seinen grauen Augen hinter den Brillengläsern zu der Kommissarin auf. »Es deutet alles darauf hin, dass der Kopf dem Opfer bei lebendigem Leib abgeschnitten wurde.«

      Abrupt drehte Maria sich um. Sie suchte im emsigen Treiben ihren Kollegen Gerd und fand ihn neben einem Mann in einem grünen Overall, der völlig in sich zusammengesunken auf dem Rasen saß. Sie ging auf die beiden zu und hob fragend die Augenbrauen.

      »Das ist Herr Tessendorf. Er ist Gärtner hier im Park. Er hat den Kopf gefunden.«

      Tessendorf zog zitternd an seiner Zigarette. Er war kreidebleich im Gesicht. Immer wieder fuhr er sich mit der linken Hand durchs Haar und strich es nach hinten.

      »Herr Tessendorf? Geht es Ihnen gut oder soll sich Dr. Stein«, Maria wies mit der Hand auf den in einiger Entfernung stehenden Arzt, »um Sie kümmern?«

      »Nein, nein, es geht schon. Es ist nur so: Ich bin etwas durcheinander. Schließlich sieht man so was ja nicht alle Tage.« Wieder strich er sich die Haare nach hinten und zog so heftig an seiner Zigarette, dass die Spitze glutrot aufleuchtete.

      »Wann und wie haben Sie die Leiche, ich meine den Kopf, entdeckt?«, setzte Maria ihre Befragung fort.

      »Ich wollte heute Morgen den Rasen rund um das Palais mähen, also, um genau zu sein, ich wollte hier mit diesem Stück anfangen.« Er wies mit der Hand auf den bereits gemähten schmalen Rasenstreifen neben dem Weg. »Hab ich auch gemacht, und dann habe ich den dunklen Fleck auf dem Boden gesehen. Und irgendwie, ich weiß auch nicht warum, habe ich nach oben zur Vase geguckt. Und, tja, dann habe ich gesehen, dass da etwas drinnen lag. Zuerst habe ich gedacht, das waren vielleicht Jugendliche, die da wieder irgendwas reingeworfen haben. Also hab ich die Leiter von da hinten geholt …«, er deutete mit der ausgestreckten Hand auf das Kavaliershaus, »… und an die Vase gestellt. Dann bin ich hoch und hab gesehen, was es war.«

      Bei