Kopflos in Dresden. Victoria Krebs

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Название Kopflos in Dresden
Автор произведения Victoria Krebs
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783948916008



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herrschte Maria ihn an. Sie schätzte ihren Kollegen, der wie sie den Rang eines Polizeihauptkommissars innehatte, wegen seiner ruhigen, bedächtigen Art. Aber in letzter Zeit kam er ihr oft unausgeglichen, ja beinahe aggressiv vor, wobei sie nicht genau sagen konnte, wann sich sein Verhalten so verändert hatte.

      »Bisher wurden noch keine Spuren gefunden. Nichts eben«, gab er widerwillig zur Antwort und verschränkte die Arme vor der Brust.

      Auf Maria machte er den Eindruck, als wollte er für den Rest des Tages schweigen. Schließlich gab er sich doch einen Ruck und erklärte:

      »Abgesehen vom Fleck unterhalb der Vase. Das ist Blut. Ob es von der Toten stammt, wird zurzeit im Labor untersucht.«

      »Hm …« Die Kommissarin runzelte die Stirn. »Dr. Stein sagte, dass die Frau an einem anderen Ort als dem Fundort getötet wurde. Also muss der Täter den Kopf irgendwie dorthin transportiert haben. Er wird ihn sich ja schließlich nicht einfach unter den Arm geklemmt und dann in aller Seelenruhe in die Vase gelegt haben. Worin würde man einen Kopf transportieren?«, überlegte sie laut. »Ich würde sagen: in einer Tüte, oder? Und beim Herausnehmen ist das Blut auf den Boden getropft. Aber wie lange blutet so ein Kopf noch, nachdem er dem Opfer bei lebendigem Leib vom Körper abgetrennt wurde? Dr. Stein sprach von einem wahrscheinlichen Todeszeitpunkt zwischen …«, Maria sah auf ihre Armbanduhr, »… sechzehn und einundzwanzig Uhr gestern. Gerd, würdest du diesbezüglich bitte noch einmal bei Dr. Stein nachfragen?«

      Der Angesprochene nickte.

      »Nihat, und du checkst bitte die Datenbank nach ähnlichen Fällen in der Vergangenheit, vor allen Dingen auch im angrenzenden Ausland. Und ruf Dr. Martin, den Psychologen, an. Er soll dir eine kurze Einschätzung über mögliche Hintergründe dieser Art der Verstümmlung geben. Ich habe das Gefühl, dass wir es hier mit einem Psychopathen zu tun haben.«

      Es klopfte und die Tür wurde geöffnet. Maria sah auf. Störungen während einer Sitzung konnte sie auf den Tod nicht leiden. Sie erkannte den Studenten der Polizeihochschule, Hellwig Dreiblum, der gerade sein letztes Praktikum bei ihnen absolvierte. Mit seiner extrem niedrig sitzenden Hüfthose und der grauen Wollmütze sah er aus wie der typische Hipster aus einem Werbespot. Jetzt allerdings betrat er eher schüchtern als hip den Raum. Unsicher huschte sein Blick von dem Stück Papier in seiner Hand zu Maria.

      »Was gibt’s?«, fragte sie ungeduldig.

      »Der Einsatzleiter des Suchtrupps hat angerufen.« Hellwig Dreiblum strich sich durch seinen modischen Vollbart. »Sie haben den restlichen Teil der Leiche im Großen Garten gefunden«, erklärte er und reichte ihr das Blatt.

      Unbewegt starrte die Kommissarin auf die Notizen, sah kurz auf und senkte dann wieder den Blick. Sie war eine Spur blasser geworden.

      »Der Körper der Frau wurde gefunden. In einem Baum.«

      Für einen Moment herrschte Stille, sie legte sich wie Blei über die Sitzungsteilnehmer. Dann stand Maria entschlossen auf.

      »Gerd, du kommst mit mir. Wir fahren zum Fundort. Die anderen erledigen die ihnen zugeteilten Aufgaben.« Sie schaute kurz zu Nihat, der mit versteinerter Miene und schmalen Augen auf den Tisch vor sich sah. Auch Gerd erhob sich. Seine Bockigkeit war wie weggefegt, wie Maria erleichtert feststellte, neue Energie schien seinen Körper zu durchströmen.

      Zusammen verließen sie die Polizeidirektion in der Schießgasse, fuhren in die Pillnitzer Straße und bogen dann in die Güntzstraße ein, die auf den Straßburger Platz mündete. Vor ihnen erhob sich der Turm der gläsernen Automobilmanufaktur Dresden. Die riesigen Glas-Fassaden und die Stahlkonstruktion hatten vor der Errichtung des futuristisch anmutenden Baus Proteste in der Dresdner Bürgerschaft ausgelöst, die stets mit Argusaugen über das barocke Stadtbild wachte.

      Die Ermittler gelangten wieder auf die Stübelallee, die am Großen Garten vorbeiführt, und bogen erneut nach rechts in die Karcherallee ein, an der sich der Osteingang befindet, den sie am Morgen schon einmal passiert hatten. Dort angekommen, rief Gerd den Einsatzleiter an, um sich die genaue Lage des Fundortes beschreiben zu lassen.

      »Es ist das kleine Wäldchen links neben dem Palais.« Er wies Maria mit dem Zeigefinger den Weg. »Wieso hat man den Körper eigentlich nicht schon früher entdeckt? Mittlerweile sind über drei Stunden vergangen …«

      »Sie haben sich auf den Boden und das Gebüsch konzentriert. Die Frau, also den Körper der Frau, haben sie nur durch Zufall entdeckt, weil ein Vogel einem Kollegen auf die Hand geschissen und der deshalb nach oben geschaut hat. Da hat er sie im Baum entdeckt.«

      Als sie ausstiegen, trat der Einsatzleiter aus der Gruppe wartender Polizeibeamter heraus und kam ihnen entgegen. Er gab erst Maria und dann Gerd die Hand.

      »Kein schöner Anblick. Kommen Sie.«

      Der Mörder hatte den nackten Körper der Frau rittlings auf einen dicken Ast gesetzt. Die Arme weit vom Körper abgespreizt, wie ein großer Vogel, der die Schwingen zum Flug ausgebreitet.

      »Wieso ist sie nicht heruntergefallen?« Maria sah den Kollegen fragend an.

      »Ihre Handgelenke wurden mit Draht an den Ästen links und rechts festgebunden«, erklärte er. »Sehen Sie?«

      Nein, das konnte Maria nicht erkennen. Sie hatte ihre Brille beim überstürzten Aufbruch im Besprechungszimmer des Präsidiums vergessen.

      »Ist Dr. Stein schon verständigt worden?«

      Der Einsatzleiter nickte. Maria sah erneut nach oben. Das Bild, das sich ihr bot, kam ihr grotesk vor, wie eine Szene aus einem drittklassigen Horrorfilm. Ihr Blick glitt auf den Boden, dann wieder nach oben bis zu dem Ast, auf dem die Leiche saß. Sie versuchte, die Höhe einzuschätzen. Mindestens drei Meter, schätzte sie.

      »Wie ist sie da hochgekommen?«

      »Tja, geflogen ist sie wohl kaum«, antwortete der Beamte lakonisch.

      Idiot, dachte Maria, erinnerte sich dann aber daran, dass eine laxe Art und Schnoddrigkeit wirkungsvolle Waffen waren, um sich vor den grauenvollen Bildern zu schützen, mit denen die Kollegen immer wieder konfrontiert wurden.

      »Wenn die SPUSI mit ihrer Arbeit fertig ist, holt ihr die Frau bitte runter.« Maria hatte kaum zu Ende gesprochen, da rückte die Spurensicherung auch schon an. Sie schaute auf den Transporter, der der Reihe nach eine Gruppe von Männern ausspuckte, die in ihren weißen Tyvek-Schutzanzügen mit Kapuze wie Astronauten aussahen. Jeder trug einen schweren, silbernen Koffer, in dem sich die Werkzeuge und Utensilien für ihre Untersuchungen befanden.

      Kapitel 3

       Achtzehn Tage vorher

      Ping. Schon wieder eine Nachricht. Nervös schielte Linda Hansmann in ihre Handtasche, in der ihr Handy lag. Nur zu gern hätte sie jetzt nachgeschaut, wer ihr geschrieben hatte. Aber sie musste sich bis zur Mittagspause gedulden.

      Seit kurzem gab es eine neue Dienstanweisung, die die private Nutzung des Handys während der Arbeitszeit strikt untersagte.

      »Na, schon wieder neue Eroberungen im Internet gemacht?«, frotzelte ihre Kollegin Marion Kärcher, die ihre Nase in alles reinstecken musste und der Linda Hansmann sehr wohl zutraute, dass sie sie bei ihrer Vorgesetzten anschwärzte, sollte sie sich nicht an diese Regel halten.

      »Vielleicht«, gab sie schnippisch zurück. Längst bereute sie, dass sie die neugierige Kollegin in ihre ausdauernde Partnersuche im Internet eingeweiht und ihr obendrein auch noch Details über ihre bisherigen Bekanntschaften und amourösen Erfahrungen anvertraut hatte. Zu spät hatte sie bemerkt, dass Marion Kärcher ihr nicht wohlgesinnt war und ihr ihr gutes Aussehen und die vielen Verabredungen neidete. In einigen Jahren wird diese blöde Ziege eine alte, verbitterte Trockenpflaume sein, dachte Linda wütend und blickte auf die Uhr in der Taskleiste des Bildschirms. Noch fünfzehn Minuten bis zur Mittagspause, dann würde sie endlich nachsehen können, ob sich wieder ein »Match« ergeben hatte.

      Sie blies eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und fuhr mit beiden Händen durch ihr langes Haar. Ein wohliger Schauer durchfuhr ihren