Название | Kālī Kaula |
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Автор произведения | Jan Fries |
Жанр | Эзотерика |
Серия | |
Издательство | Эзотерика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944180649 |
Wie Du gesehen hast, ist Hinduismus weder ein spezifischer Begriff noch war er ein Konzept, dessen sich die Menschen jener Zeit bewusst waren. Dass sich etwas Neues entwickelte, entzog sich ihrer Aufmerksamkeit. Die Entwicklung der spirituellen Konzepte fand allmählich und ohne radikale Schnitte statt. Die Lehren der Vergangenheit wurden nie verworfen, sie wurden einfach von neuen Interpretationen und Bräuchen überdeckt. Die heiligen Schriften des Altertums blieben heilig, wie sie bis zum heutigen Tage heilig geblieben sind, auch wenn sie als eine ältere Version der Wahrheit immer wieder uminterpretiert werden mussten.
Die Jahrhunderte, die in diesem Abschnitt behandelt wurden, sahen viele politische Veränderungen auf dem Subkontinent. An dieser Stelle will ich nur den Aufstieg der neuen Großkönigreiche erwähnen, die Einführung der Schrift unter Kaiser Aśoka (selbst ein Buddhist), die sog. Eroberung Indiens durch Alexander den Großen (ein peinliches Ereignis von so geringer Bedeutung, dass indische Geschichtsschreiber sich kaum darum kümmerten, es zu erwähnen) und den Aufstieg der griechisch-indischen Dynastien, die einen so enormen Einfluss auf die Kunst und Bildhauerei hatten. In dieser Epoche wurde Indien zu einem Wunderland, welches die Europäer faszinierte. Griechische und römische Geschichtsschreiber begannen, seltsame Geschichten aus dem Osten aufzuzeichnen, wo Riesenameisen Gold sammelten, Einhörner gediehen und alte Menschen sich selbst verbrannten. Der Handel begann, und bald war Indien mit den ökonomischen Netzwerken des Römischen Imperiums verbunden. Die Reise führte teilweise über Land per Karawane durch Ägypten und Arabien und teilweise übers Meer, sie war lang, gefährlich und entbehrungsreich, aber sie war ausgesprochen einträglich und führte zur Etablierung ägyptischer und europäischer Seefahrergemeinschaften in Nordwestindien. Im Jahre 25 v.u.Z. fuhren allein von Myos-Hormos in Ägypten 120 Schiffe nach Indien. Unter den ersten Cäsaren brachte der Indienhandel enorme Gewinne. Der indische Markt war höchst interessiert an Metallen, an Purpur, Chemikalien und Wein, während die europäischen Märkte so hungrig nach indischen Gewürzen, Räucherwerk, Elfenbein, Edelhölzern und Luxusgütern waren, dass jedes Jahr eine Menge römisches Geld nach Indien ging, wo es blieb. In manchen Distrikten wurde es zur wertvollsten Währung. Schon bald wurden Ideen ausgetauscht, und so war es auch mit der Religion: Siehe nur die Einführung der ägyptischen Göttin Isis, der Schutzherrin der Seefahrer im Römischen Imperium, in Indien, wo sie die einzige verschleierte Göttin des Pantheons wurde (Mogg Morgan bespricht das faszinierende Thema in seinem bisher unveröffentlichten Werk Isis in Indien).
Bild 14
Göttliche Köpfe
Oben: Kopf von Pārvatī oder Umā, Terrakotta in Gupta-Stil, 5. Jahrhundert.
Śiva-Tempel von Ahiccattrā.
Unten Kopf von Śiva, Terrakotta in Gupta-Stil, 5. Jahrhundert.
Śiva-Tempel von Ahiccattrā.
Auf eine ähnliche Art kam Indien zur mesopotamischen Astrologie, wenn auch in einer griechischen Form, und passte sie an die eigenen Bedürfnisse an. Pythagoras reiste, soweit dies rekonstruiert werden kann, durch Mesopotamien, wo er mit anspruchsvoller Mathematik und Musiktheorie vertraut gemacht wurde, die dort vor 1500 Jahren entwickelt wurde, und erfuhr wahrscheinlich in Indien von Wiedergeburt und Vegetarismus. Bei seiner Rückkehr gründete er seine eigene philosophische Schule, die Jahrhunderte später eine echte Konkurrenz zum jungen Christentum darstellte. Ein ähnliches Ausmaß an Handel und kulturellem Austausch fand mit den Ländern östlich von Indien statt, hauptsächlich mit China. Hinduistische Religionen wurden zwischen dem 2. Jahrhundert v.u.Z. und dem 6. Jahrhundert auch in die Länder Südostasiens exportiert. In Indien begannen Autoren nicht nur, über 200 neue Upaniṣaden zu produzieren, sondern auch eine Flut von Gesetzestexten, Poesie und schließlich zwei gewaltige epische Dichtungen, das Mahābhārata in 100.000 Doppelversen und das etwas kürzere Rāmāvaṇa.
Oberflächlich gesehen befassen sich beide Epen mit Heldentum. Ersteres ist ein ausgedehnter Bericht über die Schlachten und Konflikte zweier Zweige einer königlichen Familie, unter deren Mitgliedern viele inkarnierte Gottheiten waren. Das zweite, jüngere und kürzere Stück, legt das Leben des Rāma (‘Dunkler’, ‘Freude’, ‘Lust’ – einer Inkarnation von Viṣṇu) dar, seine Hochzeit mit Sīta (Ackerfurche), ihre Entführung durch einen Dämon und ihre Errettung. Diese Werke entwickelten sich über Jahrhunderte hinweg und erreichten schließlich enzyklopädische Ausmaße. Keine anderen Werke hatten einen so tiefgehenden Einfluss auf das indische Denken. Und das zu Recht – in der ganzen epischen Weltliteratur stehen beide Werke als unerreichbare Spitzenleistungen da. Bis zum heutigen Tag rezitieren Priester und Geschichtenerzähler Episoden aus diesen Epen, und da dies im archaischen Saṁskṛta geschieht, und obwohl meisten der Zuhörer kaum mehr als die Namen und ein paar Worte hier und da verstehen, sind diese Ereignisse nicht nur populär, sondern heilig. Als das Mahābhārata als endlose Serie im Fernsehen gezeigt wurde, dekorierten fromme Hindus ihre Fernseher mit Blumen und verbrannten Räucherwerk. An diesen Geschichten teilzuhaben, bedeutet, Verdienst und Segen zu erringen und Erlösung von vergangenen Sünden zu finden. Ein weiteres solches Feld der literarischen Evolution waren die (ursprünglich) achtzehn Purānas (‘Uraltes’, ‘Mythe’), in denen ein enormes Ausmaß an Mythologie, Ritualen, Hymnen, wissenschaftlichen Diskursen, Geografie, Kosmologie, Genealogien und alles, was ihre Autoren faszinierte, niedergeschrieben ist. Diese Werke können als Enzyklopädien betrachtet werden. Manche waren einzelnen Gottheiten gewidmet; andere versuchten, die Spannungen zwischen den heranwachsenden Kulten von Śiva und Viṣṇu zu verringern, indem sie nett zu allen waren. All diese Literatur ist komplex, stilistisch ausgefeilt und voller Widersprüche. Das hat die Inder nie besonders gestört: Es gab niemals ein einziges Dogma für irgendetwas.
Dharma und das Muster der Gesellschaft
Mit dem Aufkommen des frühen Hinduismus beobachten wir eine zunehmende Bedeutung des Dharma. Der Dharma ist ein Begriff, der ursprünglich zur Bezeichnung der kosmischen Ordnung verwendet wurde. Diese Ordnung spiegelte sich in der Gesellschaft und im Leben jedes Lebewesens wieder. Viele Konzepte flossen in dieses Paket ein. Dharma kann Harmonie, Wahrheit, Richtigkeit bedeuten, es kann die Naturgesetze meinen, und auf das menschliche Verhalten angewandt ist es die Macht, welche Menschen an ihre Position in der Gesellschaft bindet. Indem er den Pflichten seiner Klasse folgt, unterstützt jeder Hindu den Dharma, durch Verletzung der gesellschaftlichen Gesetze wird der Dharma bedroht. Dharma durchdringt den ganzen Korpus der hinduistischen Religion. Er ermöglicht Verbindungen, die in anderen Philosophien nicht existieren. Eine Sünde oder ein Verbrechen kann, weil es den menschlichen Dharma verletzt, Rückwirkungen in der natürlichen Welt haben. Ein sündiger König, ein Herrscher, der die Riten missachtet oder ein religiöses Tabu bricht, verletzt den Dharma, und dies kann zu Unwettern, Seuchen oder dem Einfall von Feinden führen. Korrupte Priester, Könige und Minister können eine Bedrohung der Ordnung auf allen Ebenen darstellen. Die soziale Welt, die natürliche Welt und die göttliche sind nicht getrennt, sie sind ein Dharma, und eine Beschädigung vom Dharma kann sie alle erschüttern. Natürlich war Dharma mehr als nur ein Prinzip, er war auch eine Kraft und wurde auch als eine Gottheit betrachtet. Der wichtigste Aspekt des Dharma im täglichen Leben war die Aufgabe jedes Wesens, seine natürlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Pflanzen folgten dem Dharma, Tiere folgten dem Dharma, Götter folgten dem Dharma, und den Menschen oblag es, dasselbe zu tun. Das alles wäre wunderschön, wenn es nicht die soziale Ordnung so extrem belastet hätte. Betrachte einfach mal das eng verwandte chinesische Konzept des Dao. In vieler Hinsicht sind der Dharma und das Dao identisch. Beide Ideen beschreiben eine Weltordnung, in der Wesen und Dinge ihrem natürlichen Wesen folgen und sich alle Ebenen des Seins gegenseitig beeinflussen. Die Chinesen verzichteten nur darauf, aus dem Dao ein gesellschaftliches, zwanghaftes Regelwerk zu machen, und gerade deshalb ist das Dao so erfrischend lebendig, während der Dharma immer wieder zur einem Mittel der Unterdrückung wurde. Im Laufe dieses Prozesses wurde das Klassensystem immer komplexer. Während sich die späten Veden mit drei oberen Klassen und einer unteren zufrieden gaben (plus einer ganzen Menge klassenloser Bevölkerung), entwickelte