Kālī Kaula. Jan Fries

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Название Kālī Kaula
Автор произведения Jan Fries
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783944180649



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Buddha weit entfernt. Zunächst ist er nicht so negativ und pessimistisch eingestellt. Er begann auch, Meditation, Verinnerlichung, Yoga, Visualisierung, Ritual, Drama, Trance-Praktiken, Besessenheit, Wahrsagung, Musik und in manchen Traditionen rituelle Liebe mit einander zu verbinden. Als die Moslems zwischen dem 8. und 13. Jh. nach und nach Indien eroberten, war der tantrische Buddhismus so mit dem hinduistischen Tantra verwoben, dass sie kaum zu unterscheiden waren. Viele Anhänger fühlten sich in beiden Systemen zu Hause. Die Moslems erlaubten keines davon. Da die Buddhisten von Tempeln, Klöstern und Bibliotheken abhängig waren, war es eine leichte Sache für die Eroberer, den Kult zu zerstören. Er gedieh außerhalb seines Heimatlandes weiter. Wenn Du einen modernen Buddhisten sagen hörst, dass Nirvāṇa identisch mit Saṁsāra ist und dass die wichtigste buddhistische Freiheit die Freude ist, dann bist Du Zeuge einer Erkenntnis, die für die frühen Buddhisten mit ihren eskapistischen Vorlieben kaum denkbar gewesen wäre.

      Der Glaube des Jaina entwickelte sich in derselben Epoche wie der Buddhismus. Sein Gründer wurde Mahāvīra (Großer Held) oder Jina (Sieger) genannt; sein ursprünglicher Name war Vardhamāna. Diese martialischen Titel bedeuten nicht, dass ihr Träger ein gewalttätiger Mann war. Im Jaina ist der wirkliche Kampf der gegen die Dämonen im Inneren, und der Weg zum Sieg ist die totale Askese. Wie der Buddhismus stand Jaina in einem krassen Gegensatz zur vedischen Klassengesellschaft und den Opferexzessen der Brahmanen. Anders als Buddha glaubte Mahāvīra an die Reinkarnation und die Realität der Seele. Nach seinem Glauben werden alle Seelen wiedergeboren, und alle Wesen und Dinge sind mit einer Seele ausgestattet. Deshalb ist das erste Prinzip der Jainas die Kultivierung von Ahiṁsa (Nichtverletzen): Wenn Du auch nur das kleinste Geschöpf verletzt, verletzt Du Dich selbst und das All-Selbst und erleidest eine Menge schlechtes Karma. Die Ahiṁsa wurde zum Hauptgebot des Glaubens. Keine andere Religion der Welt ist so darum besorgt, die Verletzung von Mitgeschöpfen zu vermeiden. Man kann strenggläubige Jainas daran erkennen, dass sie den Boden fegen, um keine Insekten zu zertreten, und ein Tuch vor dem Mund tragen, um sie nicht versehentlich einzuatmen. In ihrer Praxis müssen die Jainas strenge Askese üben. Wünsche werden ignoriert oder negiert und einfachste Annehmlichkeiten abgelehnt. Die Frage, ob Kleidung getragen werden kann, spaltete die Religion in zwei streitende Fraktionen: die eine in weiße Gewänder, die andere bekleidet mit dem Himmel (nackt). Nicht alle Anhänger des Kultes gingen in solche Extreme. Den Laien war erlaubt, ein weltliches Leben zu führen, vorausgesetzt, sie hielten sich an die wichtigsten Regeln.

      Da die Ahiṁsa der Gipfel der Perfektion blieb, waren viele Berufe unattraktiv. Selbst ein Bauer tötet Leben, wenn er den Boden pflügt. Als Ergebnis dessen wurde die Mehrheit der Jainas zu Kaufleuten und erlangte einen bemerkenswerten ökonomischen Einfluss. Viele verdienten mehr Geld, als ihr Glaube ihnen auszugeben erlaubte. Ihr Kult war niemals eine Massenbewegung, weil er zu viel Disziplin und asketischen Idealismus verlangte (sowie die strenge Einhaltung hunderter Regeln), andererseits wurde er aber auch niemals dekadent oder verlor seine frühen Ideale. Das Ideal der Ahiṁsa beeinflusste viele hinduistische Religionen und verschiedene tantrische Bewegungen. Lange Zeit standen Buddhismus und Jainismus in schwerer Konkurrenz miteinander. Doch waren Buddha und Mahāvīra keineswegs die einzigen originellen Philosophen ihrer Zeit. So lange Waldgemeinschaften existierten, weit entfernt vom Einfluss des städtischen Brahmanismus, gab es stets neue Schulen der Erlösung. Dank der buddhistischen Historiker wissen wir von drei anderen Schulen. Wir wissen vom düsteren Gośāla, der einen grimmigen Vorbestimmungsfatalismus vertrat. Nach seiner Lehre sind alle Wesen, wie sie sind, und können sich kein bisschen ändern. Schicksal, Natur und Möglichkeiten sind unerbittlich, freier Wille ist eine Illusion, und Karman funktioniert wie eine blinde Maschine. Seine Anhänger, Ājīvikas genannt, erhielten eine Initiation und verbrachten den größten Teil ihres Lebens mit der Kultivierung einer extremen Askese. Dieser Kult scheint im südlichen Indien bis ins 14. Jh. überlebt zu haben; er beeinflusste die Vaiṣṇavas (Gonda 1960 : 286).

      Eine gleichgültigere Einstellung wurde von Pūraṇa Kāśyapa gelehrt, der glaubte, dass keine Handlung, egal wie gut oder schlecht, das Karman beeinflusste. Die ganze Idee von Sünde und Verdienst ist bedeutungslos in seinem System. Karman ist einfach Schicksal und lässt sich in keinster Weise ändern. Im Gegensatz dazu steht Ajita Keśakambalin, der eine materialistische Interpretation vorstellte: Wesen bestehen aus den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft. Nach dem Tod löst sich der Körper in die Elemente auf. Eine Seele existiert nicht, daher ist der Tod endgültig und absolut. Man könnte seine Lehre als den perfekten Materialismus bezeichnen. Das ist schon ein großer Spaß: was viele unserer heutigen Zeitgenossen für eine moderne, rationale, aufgeklärte Einstellung halten, wurde um das vierte Jahrhundert v.u.Z. in Indien längst durchexerziert und anschließend als unbefriedigend verworfen.

      Diese Lehren hatten allesamt den Anspruch, befreiend zu wirken. Selbst der krasseste Materialismus wollte seine Anhänger von Illusionen erlösen. Daher sind sie auch als spirituelle Lehren zu verstehen und werden von manchen Forschern zum Spektrum der Hindu-Religionen gezählt. Ein großer Vorzug dieser Philosophien war es, dass sie schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Anhänger andere Religionen zwangen, ihre Ansichten genau zu überdenken. Das, was wir heute als Hinduismus oder Tantra bezeichnen, war von seinen Anfängen her genötigt, sich mit logischer Argumentation und starken Zweifeln herumzuschlagen. Man konnte nihilistische, fatalistische oder materialistische Ansichten nicht einfach so verdammen, sondern musste sich mit Logik und Verstand mit ihnen auseinander setzen. Das hat den indischen Religionen ausgesprochen gut getan. Blinde Gläubigkeit, wie sie immer wieder im Christentum verlangt wurde (und wird), ist in den indischen Religionen fehl am Platz. Denn Zweifel haben zu Recht einen Platz im religiösen Leben. Wenn Du interessante Erfahrungen machen willst, dann erforsche solche Philosophien eine Weile. Verbringe einen Tag als starrer Fatalist, oder werde ein kategorischer Materialist. Geh durchs Leben im Wissen, dass es kein Ich gibt, oder akzeptiere das Ich und das Allselbst, und stell Dich Deiner Verantwortung, keinem anderen Wesen Schaden zuzufügen. Finde heraus, wie sich Dein Verhalten ändert, wenn Du die Parameter Deiner Glaubensvorstellungen änderst. Du wirst überrascht sein!

       Der ältere Hinduismus

      Nach diesen Einleitungen wirst Du zweifellos froh darüber sein, zu einem Thema zu kommen, das noch komplizierter ist. Was ist Hinduismus? Die indische Regierung machte sich die Sache leicht und definierte Hinduismus als all jene Religionen, die in Indien entwickelt wurden. Dies beinhaltet Veda, Buddhismus, Jaina, die Anhänger von Śiva, Viṣṇu, Brahmā und Śakti, Stammesreligionen, Dorfkulte und die Sikhs, die vehement gegen diese Einordnung protestieren. Das Wort ‘Hindu’ kommt aus Persien, es bezeichnet einen Eingeborenen des Landes am Indus. Der Begriff begann eine religiöse Bedeutung zu bekommen, als die Moslems im achten Jahrhundert im Industal zu siedeln begannen, und wurde populär, als sie das nördliche Indien im 13. Jahrhundert besetzten. Sie nutzten den Begriff, um damit alle Arten von Nicht-Moslems zu bezeichnen. Hindu war also zu Anfang kein spezifisch religiöser Begriff, sondern eher ein Schimpfwort. Die Engländer formten den modernen Begriff ‘Hinduismus’ in der falschen Annahme, ganz Indien würde einer einzigen Religion anhängen. In ihren Augen gab es eine Hauptreligion, die in zahlreiche Sekten unterteilt war. Wie viele Europäer konnten sie sich nicht vorstellen, dass so viele Religionen in relativer Toleranz miteinander existieren konnten. Die Inder neigen dazu, von ihrer Religion als einem Teil von Dharma zu sprechen, d.h. Ewiges Gesetz, Pflicht, Richtigkeit, Wahrheit, Ordnung, die den Platz und die spirituelle Entwicklung jedes Menschen definiert. Wenn ein besonderes Wort für ‚Religion‘ gebraucht wird, sagen sie gerne Devabhakti (Liebe/Hingabe zu den Göttern) dazu. Wenn wir zum frühen Hinduismus kommen, stoßen wir auf ein so breites Feld von Studien, dass ich nur empfehlen kann, selbst zu recherchieren. Es gab so viele Entwicklungen zwischen, sagen wir, 500 vor und 500 nach der Zeitenwende, dass ein einziges Leben nicht ausreichen würde, sie alle zu untersuchen. Ich beschränke mich deshalb auf eine Kurzzusammenfassung einiger größerer Strömungen und hoffe, dass die Götter des Lernens und der gelehrten Genauigkeit mir die Übervereinfachung vergeben werden.

      Bild 13

      Unbekannte Göttinnen

      Oben: