Kālī Kaula. Jan Fries

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Название Kālī Kaula
Автор произведения Jan Fries
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783944180649



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       Klassen der Gesellschaft

      Das Klassenkonzept ist eine der traurigsten und restriktivsten Erfindungen der späten vedischen Epoche. Du bist wahrscheinlich an das Wort ‘Kasten’ gewöhnt. Das ist kein brauchbarer Begriff. ‘Kaste’ kommt von ‘Casta’, einem Begriff, der von den Portugiesen bei ihrem Versuch, Indien zu kolonisieren, gebraucht wurde, um verschiedene ethnische Gruppen zu bezeichnen. Er wurde später auf die gesellschaftlichen Klassen angewandt. Wie Du Dich erinnern wirst, gibt es grundsätzlich drei obere Klassen, denen ein überlegener spiritueller Status zugeschrieben wird. Jeder Junge dieser Klassen erhält eine spirituelle Ausbildung von einem oder mehreren Gurus und trägt sein Leben lang eine heiligen Schnur, um zu zeigen, dass er zweimal geboren ist. Die unteren Klassen und alle Frauen sind nicht zu dieser Initiation berechtigt; sie erreichen niemals die spirituelle Reife. Dasselbe gilt für die berühmte Gāyatrī, jenen ungeheuer vielschichtigen Mantra (Ṛg Veda, 3, 62,10), welcher von jedem Angehörige der oberen Klassen täglich beim Anblick der Sonne mindestens einmal rezitiert wird. Erst im frühen zwanzigsten Jahrhundert gelang es vereinzelten indischen Reformern durchzusetzen, dass Angehörige der unteren Schichten das Recht erhielten, diesen Mantra zu rezitieren. Von den drei oberen Klassen wird erwartet, dass sie einen Teil ihrer Zeit dem Lernen und Opfern widmen; die unteren Klassen können froh sein, wenn ihnen erlaubt wird, einem Brahmanen zuzuhören.

      Von Anfang an waren die Klassen rigide definiert. Man hielt es für besser, in einem Beruf seiner Klasse zu versagen, als ein Genie in einem Beruf einer anderen zu sein. Wissen war ein Monopol der Brahmanen, die viel dafür taten, dass es so blieb. Nun wurden die Veden offensichtlich von Leuten verfasst, die zur Klasse der Brahmanen gehörten und ein starkes Interesse daran hatten, sich selbst an der Spitze der Gesellschaft zu halten. Brahmanen waren nicht nur Priester, sondern auch inkarnierte Gottheiten oder hielten sich zumindest dafür. Einen Brahmanen zu ernähren, ist ein Opfer an die Götter, daher die Bedeutung der Dakṣiṇā. Die Dakṣiṇā ist ein Teil des Opfers, der nicht den Göttern durch das Feuer dargeboten, sondern den Brahmanen gegeben wird. Wenn die Gabe Speise ist, wird sie von den amtierenden Priestern gegessen, die sie dabei an die Götter weiterleiten. Es gibt eine erstaunliche Menge von Literatur, die die Vorzüge der Dakṣiṇā lobpreist (siehe DBh 9, 45). Viele Priester bestanden darauf, dass die angebotenen Häppchen (ursprünglich war das Minimum eine gesunde Kuh), die sie persönlich erhielten, genau der Teil des Opfers waren, der am glückverheißendsten war und am sichersten zu guten Ergebnissen führte. Während die Brahmanen sicher waren, dass sie der Kopf der Gesellschaft wären, widersprach dem die Klasse der Krieger (Kṣatriya). Die Kṣatriya waren Kämpfer, Krieger und Adlige und dadurch diejenigen, die an der Macht waren. Die meisten Könige kamen aus dieser Klasse, und Könige sind nicht die Art von Leuten, die sich von Priestern gerne herumkommandieren lassen. Infolgedessen gab es reichliche Querelen zwischen den Brahmanen und den Kṣatriya, und man kann vermuten, dass die Rivalität um den Herrschaftsanspruch zwischen diesen Klassen so stark wurde, dass das gesamte vedische Weltbild bedroht war. Vielleicht sind die erstaunlichen Spekulationen der Upaniṣaden in einer gesellschaftlichen Situation begründet, die Zweifel an der traditionellen Theologie und Gesellschaftsordnung aufkommen ließ. Die Feinseligkeiten endeten natürlich nicht. Sie sind auch im modernen Indien noch lebendig.

       Jenseits der Veden

      Die frühe vedische Epoche, die viele Lehren und Rituale beinhaltete, welche größtenteils von den Ārya eingeführt wurden, bereitete den Weg für die spätere vedische Epoche, die viel zur Weiterentwicklung der Rituale und Opferungen unternahm. Hier können wir einen Wechsel von importierten Konzepten zu Glaubensvorstellungen beobachten, die in Indien entwickelt wurden. Vieles von dem, was wir über die praktische Verehrung wissen, stammt aus einer Klasse von Schriften, die Brāhmaṇas genannt werden; die meisten davon wurden zwischen dem zehnten und dem siebenten Jahrhundert v.u.Z. verfasst. Die Brāhmaṇas sind oft Kommentare zu den Veden, weisen aber auch größere Eigenentwicklungen auf. Eine davon war die Klassenstruktur, die im letzten Abschnitt behandelt wurde. Als diese Idee allgemeine Akzeptanz fand, verursachte sie merkliche Spannungen und Schwierigkeiten innerhalb der Gesellschaft. Eine andere ist ein Schatz an Mythologie, von dem vieles auf älteren Glaubensvorstellungen beruht. Jünger sind die Śrautasūtras, die spezifizieren, was bei der Opferung zu tun und zu lassen ist, die Gṛhyasūtras über häusliche Opferungen und schließlich die Āraṇyakas, die Waldbücher, die Material behandeln, das als zu gefährlich für Städte, Siedlungen und Dorfgemeinschaften betrachtet wird. Letztere wurden von jenen Asketen bevorzugt, die die Gesellschaft verlassen hatten. All diese Werke arbeiteten die vedischen Ideen aus und entwickelten sie weiter. Allmählich wandelten sie sie um. Hier ist etwas, das Du beim Studieren des indischen Gedankengutes bedenken solltest. Die meisten Philosophen scheuten vor der Behauptung zurück, etwas Neues erfunden zu haben. Altes ist Gutes in der hinduistischen Philosophie. Wenn also irgendein Seher etwas Neues vorstellen wollte, dann erklärte er höflich, dass dies nur eine Interpretation einer viel älteren (und üblicherweise vedischen) Überlieferung sei. Verschiedene Tantras erklären, dass Śiva die Veden diktierte, dann die Upaniṣaden (als die Menschen reif für ein neues Verständnis waren) und schließlich die Tantras. Natürlich herrscht zwischen diesen Texten große Uneinigkeit. Es ist jedoch nicht besonders höflich, das auszusprechen. Altes Zeug wurde selten angezweifelt. Es wurde einfach als ältere Weisheit beiseite gelegt und ignoriert.

      Mit den frühen Upaniṣaden treten wir in eine neue Epoche des indischen Denkens ein. Im achten und siebenten Jh. v.u.Z. wurden verschiedene neue Philosophien definiert. Diese fanden ihre ersten Manifestationen in den frühen Upaniṣaden namens Aitareya, Kauṣītakī, Chāndogya, Kena, Taittirīya, Īśa, Kaṭha und Bṛhadāraṇyaka. Als nächste folgten wahrscheinlich zwischen dem siebenten und fünften Jh. v.u.Z. Praśna, Muṇḍaka, Māṇḍūkya, Śvetāśvatara, Maitrī, Subāla, Jābāla, Paiṅgala, Kaivalya und Vajrasūcikā. Diese Gruppe wird gerne als die ‚Älteren Upaniṣaden‘ bezeichnet. Neuerdings schrecken die Sprachwissenschaftler allerdings vor dieser Bezeichnung zurück: genaue Textanalysen belegen, dass auch die ältesten Texte ganze Einschübe jüngeren Materials enthalten. Es gibt eine ganze Menge weiterer Upaniṣaden, da sich der Name nicht nur auf eine literarische Klassifikation, sondern auch auf eine Art des Denkens bezieht. Manche Upaniṣaden wurden erst vor wenigen Jahrhunderten verfasst. Diese, die sogenannten ‘kleinen Upaniṣaden’, kann man grob in drei Gruppen einteilen: Śaiva, Vaiṣṇava und Śākta. Solche Konzepte existierten in der Zeit der frühen Upaniṣaden nicht; wir können den Beginn der kleinen Upaniṣaden grob auf das erste Jahrhundert v.u.Z. datieren, worauf sie bis ins 15. Jahrhundert weitergeführt wurden (Sharma 1972).

      Nach außen hin waren die Veden noch immer das Rückgrat der religiösen Aktivität, aber auf einer subtileren Ebene brachten die späteren Kommentare ein blühendes Wachstum innovativer Interpretationen mit sich. Es gab so viele Veränderungen, dass ich mich auf ein paar grundlegende beschränken werde. Etwa vom Jahre 1000 v.u.Z. an begannen die Opferpriester Schöpfungsmythen zu sammeln und auszuarbeiten. Du hast schon einige davon gehört, und es gibt noch weitere im ṚV, aber das Thema war zu jener Zeit nur von geringer Bedeutung. Nun erlangte es eine größere Bedeutung, da immer mehr Denker über die Natur der Welt zu spekulieren begannen. Im Wachstum dieser Spekulationen können wir eine Zunahme verschiedener philosophischer Schulen beobachten. Es hatte schon immer eine große Vielfalt in der religiösen Praxis gegeben, aber nun begann die Vielfalt das gesamte Weltbild zu erschüttern. Mit ihr stoßen wir auf eine Zunahme des Zweifels. Allmählich begannen die Götter an Bedeutung zu verlieren. Die zu extremer Kompliziertheit entwickelten Rituale wurden für so bedeutend gehalten, dass die Götter bei richtig durchgeführten Opferungen verpflichtet waren, ihren Segen zu gewähren.

      Bils 12

      Leben nach Leben

      Dies ist ein fast automatischer Prozess: Richtige