Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 38/39. Wolfram Ette

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Название Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 38/39
Автор произведения Wolfram Ette
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783866746619



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in dem medienethischen Postulat manifestieren, nach dem sich Individuen und Instanzen im Prozess der Produktion und Rezeption von Massenmedien einer »korporative[n] Selbstverpflichtung« unterwerfen sollen – in der sie der puren Marktlogik politische Normativität entgegensetzen sollen, um ihrer demokratischen Verantwortung gerecht zu werden.

      Die Argumentationsstruktur der Medienethik ist also insofern zirkulär, als die Kategorie der Verantwortung auf den Wert der demokratischen Freiheit zurückgeführt wird und demokratische Freiheit nicht nur als Idealgrund, sondern auch als Realgrund der Verantwortung beschrieben wird.

      Heikler als die logische Unstimmigkeit ist die moralische: Mit dem Rekurs auf Verantwortung lässt sich so gut wie jedes Handeln irgendwie rechtfertigen, wenn man nicht präzise auf die Handlungszwecke eingeht und die Mittel bewertet, die dazu eingesetzt werden. »Verantwortung übernehmen« kann in der Politik heißen, dass jemand Wirtschafts- oder Außenminister wird und den Waffenexport fördert; es kann aber auch heißen, dass ein Minister zurücktritt, weil unter seiner Ägide Waffenhandel gefördert wurde.67 Im oben angeführten Beispiel wurde manipulativer Journalismus mit der sozialen Verantwortung der Besitzer der Produktionsmittel für Arbeitsplätze gerechtfertigt, die man ohne hinreichend hohe Zuschauerzahlen und entsprechende Aufträge der Werbewirtschaft gefährden würde. »Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid«68, behauptet der Ethikkodex des Presserats. Doch was hat man sich unter einer »angemessen sensationellen Darstellung« vorzustellen?

      Im Übrigen enthält nicht nur der Begriff der Öffentlichkeit eine innere Ambivalenz, sondern auch der ihm zugehörige Begriff der Mündigkeit. Darauf hat Adorno hingewiesen: Einerseits sei Mündigkeit die Bedingung dafür, dass eine Gesellschaft sich in Freiheit selbst bestimmen könne, ohne dass das Resultat mehrheitsdemokratischer politischer Entscheidungen am Ende die »Unvernunft«69 sei. Andererseits sei es in den bestehenden, naturwüchsigen Gesellschaften dem blinden Zufall und der Ungerechtigkeit unterworfen, ob Menschen zur Mündigkeit fähig würden, das heißt, ob und wie sie sprechen, denken und urteilen lernten. Daher gelte es zu begreifen, »daß schon die Voraussetzung der Mündigkeit, von der eine freie Gesellschaft abhängt, von der Unfreiheit der Gesellschaft determiniert ist«70.

      Der medienethische Verantwortungsbegriff ist zu »weit und unbestimmt gefaßt«71. Ich denke, die ethische Reflexion der Medienpraxis würde Kontur gewinnen, wenn stattdessen das Verbot, Menschen zu instrumentalisieren, zum Begründungsargument würde72. Denn das ist letztlich der normative Kern des Diskursmodells, auf das sich die Medienethik in der hier diskutierten Gestalt bezieht.

      Nach Kant sollte jeder, wenn es moralisch darauf ankommt, so handeln, dass die Maxime, also der Handlungsgrundsatz, »jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte«73. Dann würde er »die Menschheit« in sich selbst und allen anderen »niemals bloß als Mittel«, sondern »jederzeit zugleich als Zweck«74 auffassen. Kant antizipiert ein vernunftbestimmtes Allgemeines; erst als Teil davon wären wir imstande, moralisch zu handeln. Kein vernünftiger Mensch kann leugnen, dass der Endzweck moralischen Handelns die allgemeine Humanität ist. Die Pointe von Kants Moralphilosophie liegt nun, Adorno zufolge, darin, dass sie »eine Gesellschaft« kritisiert, »in der alles zum Mittel wird und in der nichts mehr Zweck ist.«75 Wenn die Menschheit nicht nur als Idee, sondern auch in Wirklichkeit »Zweck an sich selbst« wäre, müssten die besonderen Interessen und das allgemeine Interesse nicht mehr auseinanderfallen. Das ist aber bis heute nicht der Fall. Der wirtschaftsliberalistische Interessenbegriff76 bleibt auf das Eigeninteresse konkurrierender Wirtschaftssubjekte beschränkt.

      Verantwortungsethik soll den Interessenantagonismus in Schach halten, bleibt aber gleichsam zahnlos, weil Verantwortung funktional in eine Vielzahl geschäftlicher Rücksichten und Verbindlichkeiten aufgelöst wird. Als Unterscheidungscode sollte daher statt »verantwortlich oder verantwortungslos« ein anderer angesetzt werden, nämlich: »richtig oder falsch« bzw. »gerecht oder ungerecht«.

      Ich sehe zunächst zwei Möglichkeiten: Statt »Verantwortung« könnte Medienethik entweder auf das Konzept »Verständigung« zurückgreifen oder auf das Konzept »Verweigerung«. Sie hätte also die Wahl zwischen Habermas und Adorno; und vermutlich werden sich auch Perspektiven ergeben, diese Modelle zu einem dritten zu verbinden.

      Verständigung ist der Diskursethik zufolge das implizite Telos jeder Kommunikation. Diskursethik ist gewissermaßen eine »universalistische Minimalmoral aller Vernunftwesen«77. Sie leitet die Differenz zwischen Faktischem und Möglichem aus den Verständigungsmöglichkeiten in der verbalen Kommunikation ab. Weil in der Struktur des Sprechens die Idee konsensueller Verständigung als normative Zielvorstellung eingelassen sei, werde »in der realen Kommunikationsgemeinschaft zugleich deren ideale Gestalt angebahnt«, also eine gerechte Gesellschaft.78

      Im Diskurs über Medien, so könnte man hier anschließen, dürfen nur solche Normen Geltung beanspruchen, denen alle Beteiligten rational zustimmen könnten. Sämtliche Folgen und Nebenfolgen geltender Mediennormen müssen von allen Betroffenen ohne Zwang akzeptiert werden können.79 Alle, die irgendwie beteiligt sind, müssen das Recht und die Möglichkeit haben, am Diskurs über das Mediengeschehen teilzunehmen. Nicht nur als Rezipienten, sondern auch als Produzenten. Wenn die Ballung kulturindustrieller Medienmacht dies verhindert, ist sie moralisch nicht zu rechtfertigen. Der Verweis auf die Verantwortung für Arbeitsplätze und die Fortsetzung der Geschäfte kann als unzureichend zurückgewiesen werden.

      Wer mediale Botschaften in den öffentlichen Raum stellt, muss Vernunft und Menschenwürde der Adressaten achten und bereit sein, über die Grundlagen des gemeinsamen Handelns nachzudenken. In medialen Diskursvorgaben müssen die gerechtfertigten Bedürfnisse aller Teilnehmer angemessen berücksichtigt werden. Um Verständigung zu gewährleisten, darf nie nur strategisch gehandelt werden; alle anderen müssen immer auch als gleichberechtigte Kommunikationspartner anerkannt werden.

      Mediale Kommunikation hat das Potential gleichberechtigter Verständigung. Aber ihre Rahmenbedingungen werden (um es mit Habermas zu sagen) aufgrund der »Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Imperative eines ungesteuerten ökonomischen Wachstums«80 verzerrt. Funiok möchte »unternehmensstrategische« und »gemeinwohlorientierte Zielsetzungen« harmonisiert sehen, doch sie lassen sich kaum versöhnen. Das »Vertrauen« in die Medieninstitutionen ist als Fundament für »Wertprioritäten« auf Sand gebaut. Strategische Ziele blockieren kommunikative Ziele, partikulare Interessen blockieren das vernünftige Allgemeininteresse. Soziale Machtstrukturen und Profitorientierung behindern die Sprache und die intersubjektiven Beziehungen; sie hemmen Erziehung, demokratische Öffentlichkeit und mediale Kultur in ihrer Entfaltung. Dagegen ist Widerstand zu leisten, und damit kommen wir zum Konzept »Verweigerung«.

      Adorno verstand unter Widerstand eine Haltung, die der Idee richtiger Praxis verpflichtet bleibt, solange diese blockiert ist, weil die Vergesellschaftung mit der Macht von Naturverhältnissen ausgestattet erscheint.81 Widerstand wäre heute die Stellvertretung für »ein richtiges Leben«82. Diese wäre nicht zuletzt auch »Widerstand gegen die konkrete Gestalt der Heteronomie«, »also gegen die ungezählten von außen auferlegten Formen der Moralität«, die nicht mehr in Beziehung zum humanen und freiheitlichen Gehalt der Moralphilosophie stehen, sondern als Repressionsinstrumente »den Charakter des Bösen«83 annehmen, wie Adorno es formulierte. Als bloße Beschwichtigungsformel kann auch das legitime Verantwortungsprinzip zur heteronomen Gestalt von Moralität werden – zum »guten Gewissen des Opportunismus«84, um es mit einer Formulierung von Christoph Türcke zu sagen.

      Dies gilt aber auch für das Prinzip der Diskursethik. Zumal, wenn man – wie Matthias Kettner – die Auffassung vertritt, dass Diskursethik »die individuelle wie kollektive Verantwortung […] von Argumentationsgemeinschaften für die vernünftige […] Ausübung diskursiver Macht«85 zur normativen Grundlage mache. Wer so argumentiert, setzt auf die moralisch integre Kraft der »guten Gründe«, an denen man sich im Handeln orientieren kann. Mit einem Wort: auf die Macht der Vernunft, die zeigt, dass es Gründe gibt, die von allen vernunftbegabten Wesen als »gute Gründe« akzeptiert werden.

      Eine affirmative Diskursethik tritt das aporetische Erbe idealistischer Moralphilosophie an. Nur wenn man ihre Ambivalenz nicht übersieht, kommt ihre Bedeutung als Einspruchsinstanz