Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 38/39. Wolfram Ette

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Название Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 38/39
Автор произведения Wolfram Ette
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783866746619



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nachgeht, was einerseits von der Idee des Sozialismus nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, andererseits von Christa Wolfs Literatur nach ihrem Tod bleiben könnte. In dauerndem Rückbezug auf geistesverwandte Theoretiker wie Walter Benjamin erschließt der Autor unterschiedliche Schichten der fragenden Wendung ›was bleibt‹ und verteidigt die Autorin dabei gegen die Angriffe ihrer Kritiker. – Christoph Türcke analysiert die Dynamik des Kapitalismus unter dem Aspekt der Sucht und diagnostiziert, dass wir in einer globalen Suchtkultur leben. Anders als die frühen Ekstasetechniken und der punktuelle, übermäßige Gebrauch von Genussmitteln während der Festzeiten in den alten Kulturen, dienten Suchtmittel der neueren Zeit – wie der Alkohol – den existenziell Entwurzelten als temporärer Halt. Diese Figur, nämlich in der Sucht Halt am falschen Objekt zu suchen, findet Türcke in der Expansionsdynamik des Kapitalismus wieder, die er als eine Suchtdynamik begreift, sowie in vielen aktuellen Alltagserscheinungen wie der Bilder-, der Bildschirm- und der Computersucht.

      Philip Hogh unterscheidet in seinem Literaturbericht zur aktuellen englischsprachigen Rezeption von Adornos Sprachphilosophie drei Haupttendenzen: eine »immanente« Darstellung, eine »verteidigende, die Adorno primär im Kontrast zu Habermas diskutiert«, und »eine aktualisierende, die Adornos Sprachphilosophie ins Verhältnis zu Diskussionen in der Gegenwartsphilosophie setzt«. Im Anschluss zieht der Autor Linien zur neuen analytischen und postanalytischen Sprachphilosophie. Insgesamt belegen die neueren Forschungen die Aktualität von Adornos sprachphilosophischen Reflexionen.

      Am Ende dieser Vorbemerkung möchten wir an Johannes Beck erinnern, der im Dezember 2013 verstarb. Beck war der kritischen Theorie verbunden; bevor er in Bremen auf den Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik berufen wurde, hatte er bei Heinz-Joachim Heydorn sowie bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in Frankfurt studiert. Er war unter anderem Mitbegründer der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation, des Dienstes zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, aus dem später die TAZ hervorging, und Mitherausgeber von sieben Jahrbüchern für Lehrer sowie der Reihen Politische Erziehung und Kulturen und Ideen im Rowohlt Verlag. Dort erschienen auch die meisten seiner eigenen Bücher, darunter Lernen in der Klassenschule (1974) und Der Bildungswahn (1994) – ein Text, der leider bis heute nichts an Aktualität verloren hat.

      ABHANDLUNGEN

      Gerhard Schweppenhäuser

       Zur Kritik der Medienethik*

      Was ist Medienethik? Die Verwendung des Begriffs »Ethik« ist mehrdeutig. Häufig ist von »Medienethik« die Rede, wenn es um die »Moral« der Massenmedien geht: also darum, was dort als üblich, sittlich geboten und erwünscht gilt – oder als illegitim, verachtenswert und empörend. Dies entspricht der Rede von der »Wirtschaftsethik«, verstanden als Arbeitsmoral – als Werte und Handlungsnormen, die man in der ökonomischen Welt für rechtschaffen und erstrebenswert hält. Zugleich bezeichnet der Begriff »Medienethik« aber auch die wissenschaftliche Untersuchung der Moral, die dem Betrieb der Massenmedien inhärent ist. Die äquivoke Verwendung von »Medienethik« entspricht der Unterscheidung zwischen »Moral« und »Ethik«. »Moral« ist ein Sammelbegriff für die Überzeugungen der Einzelnen, was gut oder gerechtfertigt ist, sowie für die Sitten in einer Gemeinschaft.1 Unter »Ethik« wird hingegen die »Reflexionstheorie der Moral«2 verstanden. Allerdings nicht, wie Luhmann meinte, im Sinne einer Theorie, die rein deskriptiv verfährt, ihren Gegenstand bloß wie ein Spiegel reflektiert und keine begründete normativ-kritische Stellung dazu einnehmen kann. Luhmanns Definition ist falsch, weil sie unterstellt, dass sinnvollerweise nur deskriptive Ethiken formuliert werden könnten und weil sie die Möglichkeit normativer Moralphilosophie leugnet. Arbeitet man jedoch mit einem anderen Begriff der Reflexion als Luhmann, nämlich mit einem philosophischen, kann »Reflexionstheorie der Moral« als Synonym für »Moralphilosophie« verwendet werden. Als Terminus ist »Ethik« dann gleichbedeutend mit »Moralphilosophie«.

      Philosophische Ethik fragt, wie Moralprinzipien begründet werden, ob die Begründungen stichhaltig sind und welche moralischen Überzeugungen gerechtfertigt werden können. Wenn es um »Medienethik« im Sinne der Berufs- und Standesethiken geht, wie zum Beispiel im Ethik-Kodex des Deutschen Presserates,3 sollte man deshalb lieber von »Medienmoral« sprechen. Wenn im Folgenden von »Medienethik« die Rede ist, sind moralphilosophische Analysen von Wertorientierungen und Handlungsnormen bei der Produktion, Distribution und Rezeption von Massenmedien gemeint. Dies folgt dem Sprachgebrauch in Philosophie und Medienwissenschaft. Unter Medienethik versteht man dort die »wissenschaftliche Beschäftigung mit der vorhandenen Medienmoral und Kommunikationskultur«4. Einen ausgearbeiteten philosophischen Begriff des Mediums findet man in den Entwürfen der Medienethik in der Regel allerdings nicht. Ein »Medium« ist dort sozusagen die Einzahl von »Medien«, und dieses Wort wiederum wird im Sinne der journalistischen Rede von »den Massenmedien« verwendet (Presse, Radio, Fernsehen und Internet). Als deskriptive Ethik fragt Medienethik, was in der dort gängigen »Medienpraxis« als moralisch gerechtfertigt gilt. Als normative Ethik bewertet sie die Medienpraxis und fragt, welche Werte und Normen hier vernünftigerweise gelten sollten.

      Mir geht es nicht um die Darstellung aller Positionen, die gegenwärtig in der Medienethik vertreten werden, sondern um den Versuch, ihre Grundlagen zu skizzieren. Für diese ist es zunächst von elementarer Bedeutung, ob es ihren Vertretern zu zeigen gelingt, dass es überhaupt einer eigenen, bereichsspezifischen Teil-Ethik für mediale Produktion, Distribution, Konsumtion und Applikation bedarf. Werden die hier relevanten moralischen Kriterien nicht bereits in zureichendem Maße von der allgemeinen Ethik reflektiert? Hier scheiden sich die Geister. Im medienethischen Diskurs wird immer wieder auf die Besonderheiten hingewiesen, welche die neuen Kommunikations- und Kulturtechniken mit sich bringen, und zwar unter dem Aspekt der speziellen Verantwortlichkeit, die es in der Herstellung und im Umgang mit Medienprodukten zu beachten gelte.

      Eike Bohlken hat vor mehr als zehn Jahren argumentiert, dass die Begründung einer Teilethik für den Medienbereich auf der Basis des Verantwortungsbegriffs nur im Hinblick auf die Medienmacher erfolgen könne, und nicht im Hinblick auf die Nutzer.5 Zwei sehr verbreitete, intuitiv einleuchtend wirkende Argumentationsweisen seien gerade nicht dazu tauglich, eine Verantwortungsethik des Mediengebrauchs zu begründen: der Verweis auf die Informationspflicht der Bürger und die moralische Bewertung medialer Inhalte sowie des Umgangs mit ihnen. Denn die Pflicht, sich angesichts von Handlungsentscheidungen, die stets auch andere und häufig das Gemeinwesen betreffen, sachkundig zu machen, um verantwortungsvoll handeln zu können, lasse sich aus allgemeinen ethischen Grundsätzen ableiten. Und ebenso reichten allgemeine Moralprinzipien völlig aus, um beispielsweise den Konsum menschenverachtender Medieninhalte und -formen negativ zu bewerten und mit guten Gründen zurückzuweisen. Nach Bohlken ist einzig und allein im Hinblick auf die Medienproduzenten von einer spezifischen Verantwortung auszugehen, deren Art und Umfang im Rahmen einer Medienethik auszuarbeiten sei. Denn im Verhältnis von Medienproduzenten und Medienrezipienten fehle jene strukturelle Symmetrie, welche für »die basale Anerkennung des anderen als moralisches Subjekt bzw. als Verantwortungsinstanz«6 vorauszusetzen sei. Wenn moralische Verantwortung verpflichtenden Charakter habe, dann deshalb, weil sie aus der wechselseitigen Verwiesenheit von sozialen Akteuren aufeinander erwachse. Diese allgemeinethische Norm müsse aufgrund der »Asymmetrie der zumeist einwegigen massenmedialen Kommunikation«7 durch bereichsspezifische Anwendungsnormen ergänzt werden. Dann lasse sich postulieren, dass Medienmacher dazu verpflichtet sind, Mediennutzer als moralische Subjekte anzuerkennen.

      So weit, so gut – aber muss es nicht auch Begründungen geben, die über den formalen Verweis auf die Unerlässlichkeit wechselseitiger Anerkennung hinausgehen und der Begründung einer Medienethik als Verantwortungsethik inhaltliches Gewicht geben? Im Folgenden werde ich mich, um den entsprechenden Begründungsansatz nachzuzeichnen, hauptsächlich auf den Medienethiker Rüdiger Funiok beziehen. Funiok geht es weniger um ein eigenes medienethisches Argumentationsmodell, als um einen konsensfähigen Extrakt aus der Debatte der letzten zwei Jahrzehnte;8 seine Schriften genießen Anerkennung unter Fachleuten, und seine Arbeit wird auch in der Medienöffentlichkeit wahrgenommen.

      Maßstab ist