Das Lied der Grammophonbäume. Frank Hebben

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Название Das Lied der Grammophonbäume
Автор произведения Frank Hebben
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783957770479



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nur der Kopf! – wie bei einer Spielzeugpuppe, deren Glieder lose waren; die Schultern blieben reglos. Ein eiskalter Schauer fuhr mir durch Mark und Bein, als ich in ihr Gesicht schaute: leichenblasse Haut, ein lidlos starrendes Auge, das zweite fehlte, ebenso der Unterkiefer!

      Ich wusste nicht, ob nach vorn oder zurück; dann fand ich mich, schweißnass und keuchend, in der Eingangshalle des Hauses wieder. Dort stand die Uhr – das riesige, gusseiserne Ungetüm, das vorhin noch verschwunden war, und schlug mir die Stunde, ihren schwarzen, alles verschlingenden Schatten drohend über mich werfend. Ich schrie um mein Leben, während sieben höllische Paukenschläge Wände und Decke erschütterten. Weiter, nur hinaus!

      Halb blind vor Entsetzen stieß ich die Tür des Rauchsalons auf, wollte zum Kamin weiterhetzen, als ich mit einer Geistergestalt zusammenprallte, die in langen wehenden Schleiern im Kreise tanzte. Noch ein Geist am Klavier, er spielte das Requiem– ich taumelte vorwärts, dann seitlich, riss die Gestalt mit zu Boden und sah gerade noch, wie sich beide Lehnsessel umdrehten: mein Onkel als Zwilling, auf linkem und rechtem Polster.

      *

      »Dein ganzes Haus ein Uhrwerk, das sieht dir ähnlich.« Ich prostete meinem Onkel zu. Wir tranken Branntwein, hatten es uns am Kamin gemütlich gemacht. Das Feuer prasselte fröhlich. »Da hast du mich aber schön drangekriegt.«

      »Richtig. Und gleich mehrfach, mein Junge.« Gustav schmunzelte in seinen Bart. »Ich spiele mit dem Gedanken, deine trüben Forscheraugen gegen gläserne austauschen.«

      »Bloß nicht!«, rief ich und lachte. »Besser, du hebst sie für deine Automatenfrau auf. Sie schaut ganz grässlich aus ohne.«

      »Das stimmt wohl«, erwiderte mein Onkel und stand auf, um seinem Doppelgänger erst das Hemd, dann den Brustkorb zu öffnen: Das Blech schwang auf und ich konnte das mechanische Innenleben des Maschinenmenschen betrachten.

      »Wie hast du die Standuhr verschwinden lassen?«

      »Durch eine Holzklappe. Die Hebebühne wird mit Dampfkraft betrieben.«

      »Du kannst sie beliebig herauf- und herunterfahren?«

      »Ganz recht. Bin ich froh, dieses Ungetüm endlich aus den Augen zu haben! Das schreckliche Ding bedrückt mich ... zählt meine Stunden bis zum Tod, lass dir das gesagt sein!«

      »Würde mich nicht verwundern, Onkel. Und wie konnten die anderen Apparate ans Laufen –«

      »Versteckte Bodeninduktoren, die durch Gewicht ausgelöst werden.«

      »Aha, ich verstehe.« Ein Schluck aus meinem Glas. »Ganz schön ausgebufft für einen alten Strolch wie dich.«

      »Werd bloß nicht unverschämt, Junge, sonst setzt es zwei hinter die Löffel!«

      »Und diese Scheibe da? Welche Funktion hat sie?«, fragte ich rasch. »Etwas in der Art habe ich noch nie zuvor gesehen.«

      Onkel Gustav wandte sich um; er nickte. »Das ist eine Wachsplatte, auf welcher ich meine kleine Krankenrede für dich aufgespielt habe. Meine neueste Erfindung. Durch ein verteufelt geniales Räderwerk mit Greifarm und mehrfacher Hemmung kann ich auf einzelne Segmente dieses Stimmenträgers zugreifen. Eigentlich wollte ich über zweihundert einzelne Sätze einprägen, aber es klappte nicht so richtig. Du kennst doch die Automate von Hoffmann oder diesen echten Schachtürken von … wie hieß der Bursche noch? Ich hatte mir jedenfalls in den Kopf gesetzt, so etwas Ähnliches nachzubauen.«

      »Aus welchem Grunde?«

      »Mein Junge, diese Frage kannst du dir mittlerweile doch selbst beantworten: Ich bin ein alter Mann, da fühlt man sich schnell einsam und kommt auf Ideen, seltsame Vorhaben, denen man nachgeht, oder vielleicht sollte ich besser sagen –«

      Ich winkte ab. »Danke, das reicht. Ich habe verstanden.«

      »Du solltest dich wirklich mehr um die Lebenden kümmern. Deine Forschungen machen dich zum Einsiedlerkrebs.«

      »Meine Worte, Gustav. Meine Worte.«

      Gustav lachte aufgeräumt, ehe er seinen Doppelgänger verschloss. »Führ ab und an eine hübsche Dame zum Essen aus. Und denk an deinen vergreisenden Onkel. Mein Bote Heinrich ist nur selten im Haus, das sich, wie ich zugeben muss, in einem beschämenden Zustand befindet.«

      »Gut, ist versprochen, beides.«

      »Dein Wort drauf?«

      »Ich bin ein Ehrenmann, Gustav.«

      »Ein Gauner bist du«, rief mein Onkel und griff nach dem Glas. »Jetzt lass uns speisen!«

      *

      Oben in der Kammer standen die Uhren still, bis auf eine. Sie hatte kein Ziffernblatt, sondern nur dünne, silberne Zeiger, die sich langsam im Kreise drehten – neun und zehn, dann elf, dann zwölf: Die kleine Tür öffnete sich, ein Skelett kam hervor und verbeugte sich grinsend, streckte seine Sense ins Gaslicht. Es schlug Mitternacht.

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