Reiten wir!. Tommy Krappweis

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Название Reiten wir!
Автор произведения Tommy Krappweis
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944180885



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war, als sich neben ihr Hobble-Frank und Tante Droll reckten und aufstanden, als habe der Kaffeegeruch sie geweckt.

      Budge kam hinter einem Hügel herum, begrüßte sie und holte sich auch Kaffee. Dann trat er zu dem verhüllten Objekt. »Der Zug wird in etwa einer Stunde in Reno aufbrechen. Aber er wird nicht weit kommen, zumindest nicht ein gewisser Teil seiner Ladung.« Budge kicherte. »Denn wir haben das hier.« Mit diesen Worten zog er das graue Tuch weg.

      Ellen kannte das Objekt von Bildern, aber hatte so etwas noch nie mit eigenen Augen gesehen.

      Es war ein »Fahrrad«. Ein Objekt, das einem half, mit der eigenen Muskelkraft schneller voran zu kommen.

      Aber da war noch etwas daran, was nicht auf den Bildern gewesen war.

      Vogelflügel.

      Ikstrom rieb die Hände, trat zu dem Fahrrad und klappte die Flügel zur Seite. Stolz schaute er in die Runde. »Dies habe ich aus einem abgelegenen Ort in der Provence mitgebracht. Ein zurückgezogener Forscher namens Louis hat dieses einmalige Objekt hergestellt. Es wird alles revolutionieren – doch im Moment gibt es nur dieses Unikat.«

      Hobble-Frank trat vor und strich über die Federn. »Du willst doch nicht behaupten …?«

      »Es fliegt!«, rief Ikstrom aus.

      Tante Droll lachte auf. »Frank, lass uns verschwinden, Bill Budge ist offenbar verrückt geworden. Mit solchen Leuten sollten wir nicht gesehen werden.«

      »Oh, ihr müsst nicht bleiben. Ich habe alles ohne euch geplant und brauche euch nicht. Aber wollt ihr dieses Schauspiel wirklich verpassen?«

      »Wie soll das funktionieren?«, fragte Ellen.

      »Zugegeben, Lasse muss etwas Anlauf nehmen, und dieser Hügel dort ist perfekt dafür.« Er deutete nach Süden zu einer der Erhöhungen. »Dahinter liegt direkt die Bahnlinie. Wenn der Zug kommt, kann Lasse runterrollen, abheben und direkt über den Zug fliegen.«

      Hobble-Frank kicherte. »Sagen wir mal, das würde funktionieren … was ich nicht glaube, wenn ich mich nicht irre … was geschieht dann?«

      »Ich habe einen meiner Männer bei den Wachposten eingeschleust. Daher weiß ich, dass das Geld nicht etwa in einem Safe oder dergleichen transportiert wird, sondern in zwei einfachen Taschen. Ich habe identische Taschen an Bord geschmuggelt, und während Lasse die Wachen ablenkt und Parsons von weiter die Strecke abwärts für zusätzliche Verwirrung sorgt, wird mein Mann die Taschen in der nächsten Kurve hinauswerfen, und durch die leeren Taschen austauschen. Dann muss ich nur noch das Geld einsammeln.«

      »Das ist kein Plan, das ist eine einzige Dummheit«, sagte Tante Doll.

      »Und deswegen können wir es uns nicht entgehen lassen!«, rief Hobble-Frank aus.

      Ellen schüttelte den Kopf. »Es kann nicht fliegen. Völlig unmöglich.«

      »Oh, ich habe noch nichts von der geheimen Zutat erzählt!«, sagte Ikstrom.

      Sie schaute ihn fragend an, und der blonde Mann griff in die Innentasche seiner Jacke und holte einen Beutel heraus. »Darin befindet sich ein Pulver mit magischen Kräften, das ich aus dem fernsten Orient mitgebracht habe! Ich habe seine Wirkung selbst erlebt, ich habe es erforscht, und nun kann ich ihm meinen Willen aufzwingen.« Er öffnete die Schnur und schüttete einen Teil des Inhalts in seine Handfläche. Es war ein hellblaues Pulver. Dann bestäubte Ikström damit das Gefährt. »Und nun ist es bereit!«

      Ellen schüttelte ungläubig den Kopf. »Feenstaub?«

      Budge rempelte sie mit dem Ellenbogen an. »Warum so ungläubig?« Er schaute in die Runde. »Fliegen wir!«

      Ellen bot sich an, Ikstrom dabei zu helfen, sein seltsames Fluggerät auf den Hügel zu transportieren. Die Sonne begann die Wüste schon wieder aufzuheizen, und obwohl Ellen ausgeschlafen sein sollte, fühlte sie sich schon nach der Hälfte der Strecke erschöpft und ein wenig schwindelig, überließ das Schieben schließlich dem Mann und führte nur noch ihr Pferd hinauf.

      Ein Gedanke rumorte in ihrem Hinterkopf. Etwas war anders, etwas hatte sie übersehen … aber sie wusste einfach nicht, was.

      Oben auf dem Hügel schaute Ellen sich um. Sie konnte Reno in der Ferne erahnen – und glaubte, die Rauchsäule der Dampflokomotive zu sehen, die in ihre Richtung unterwegs war.

      »Das ist der Zug«, bestätigte Ikstrom. »Wir sind genau rechtzeitig.«

      Ellen schaute die Schienenstrecke unter ihr entlang. In den Büschen konnte sie Budge, Hobble-Frank und Tante Droll ausmachen, die auf den Zug warteten, und auf einem der Hügel weiter die Strecke entlang versteckte sich Parsons so gut, dass sie nicht zu erkennen war.

      Eine Bewegung unten am Hügel sprang Ellen ins Auge. Es war kaum zu sehen gewesen – wahrscheinlich nur ein Tier.

      Ikstrom breitete die Flügel aus und schwang ein Bein über das Gefährt, sodass er darauf saß. Bei Tageslicht konnte Ellen es genauer in Augenschein nehmen. Es hatte zwei Pedale und eine Kette, und mit Muskelkraft konnte man nicht nur das Rad antreiben, sondern offenbar auch die beiden Vogelschwingen, die aus echten Federn zu bestehen schienen.

      Der Zug kam näher.

      Ellen konnte immer noch nicht glauben, dass sich Ikstrom tatsächlich auf diesem Ding den Hügel hinabschleudern wollte. Gut möglich, dass er unten bei den Schienen in die Felsen krachte und nicht überlebte.

      Der Zug kam schnaufend um eine Kurve gefahren, und Ellen glaubte, die Vibration des Monsters in ihren Fußsohlen zu spüren.

      »Es geht los«, verkündete Ikstrom und stieß sich mit beiden Füßen ab.

      Mit angehaltenem Atem sah sie Ikstrom hinabrollen, immer schneller werdend, und immer heftiger in die Pedale tretend. Er wirbelte Staub auf, das Gefährt schlingerte hin und her und gleichzeitig bewegten sich die Schwingen auf und ab.

      Schwindel übermannte Ellen, und sie sank auf die Knie. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, aber sie hob schnell wieder den Kopf. Ikstrom war hinter der Kuppe in einer Staubwolke verschwunden, und Ellen rechnete damit, jeden Augenblick ein Krachen zu hören, mit dem er gegen die Felsen prallte.

      Dann erhob sich etwas aus dem Staub und schnellte in den blauen Himmel mit schlagenden, breiten Flügeln.

      Er flog.

      Ellen konnte einige Sekunden lang einfach nur starren.

      Ikstrom beschrieb mit seinem Fluggerät einen weiten Bogen, als gerade der Zug an dem Hügel vorbeikam, dann folgte er ihm.

      Unter sich sah Ellen, wie Budge auf der einen Seite der Schienen losritt und Hobble-Frank und Tante Droll auf der anderen Seite. Sie schwang sich auf ihr Pferd und trieb es an, doch der Abhang war so steil, dass sie nur langsam nach unten vorankamen. Erst als es abflachte, konnte Ellen beschleunigen und musste ihrem Pferd die Sporen geben, um den Zug einzuholen.

      An Bord herrschte nun Aufruhr.

      Natürlich hatten die Wachen das fliegende Ungetüm gesichtet. Einige von ihnen stiegen auf das Dach der Waggons und schossen in den Himmel. Ikstrom flog hin und her, als könnte er so den Schüssen ausweichen, und vor ihr hatten auch Budge, Hobble-Frank und Tante Droll das Feuer eröffnet.

      Erst einer, dann ein weiterer Mann wurden auf dem Dach des Zugs getroffen und taumelten hinab, rollten über den staubigen Boden neben den Schienen und blieben reglos liegen. Ellen sah Dampfwolken von einem Hügel weiter vorne aufsteigen – das musste Parsons sein.

      Budge hatte nicht zu viel versprochen – mehr Ablenkung konnte sein Kumpane, den er in den Zug eingeschleust hatte, kaum haben.

      Was in den nächsten Augenblicken geschah, sollte Ellen immer