Lena Halberg: London '05. Ernest Nyborg

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Название Lena Halberg: London '05
Автор произведения Ernest Nyborg
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783868411317



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      Obwohl sie einander schon lange kannten und sich mit Vornamen ansprachen, gingen sie äußerst förmlich miteinander um. Moshe Ben-Ilan saß auf einer Schaltstelle im israelischen Außenministerium und war der kommende Mann in der Politik des Landes. Er war noch nicht einmal fünfzig, mit seinem hohen Haaransatz und dem kurzen, schon gänzlich grauen Vollbart wirkte er aber deutlich älter. Dazu trugen auch seine kalten Augen unter den buschigen Brauen und der schmallippige Mund bei, die seinem Gesicht einen leicht überheblichen Ausdruck gaben.

      »Danke.« Ben-Ilan öffnete sein teures Wollsakko, strich die dezent gemusterte Weste glatt und setzte sich. Er war zu einem Termin mit dem israelischen Botschafter in der Schweiz, so konnte er sich ohne Aufsehen mit dem Geheimdienstmann treffen, um sich über die neuesten Entwicklungen informieren zu lassen. »Und, Neuigkeiten?«

      »Leider ja«, Gazzarah war die knappe, unfreundlich klingende Sprechweise Ben-Ilans gewohnt und nahm sie nicht persönlich. »Es geht in die erwartete Richtung.«

      »Du hast es aus erster Hand?«

      »Mein Informant, einer der Teilnehmer in der betreffenden Arbeitsgruppe, ist bei allen Sitzungen dabei.«

      »Der Kontakt ist zuverlässig?«

      »Über jeden Zweifel erhaben, dafür verbürge ich mich. Man spricht von weiteren Sanktionen.«

      Ben-Ilan zog unmerklich die Augenbrauen zusammen, sein Mund wurde noch schmaler als sonst.

      »Das wäre eine Katastrophe, Ron«, sagte er nach einer Pause, »schon die bisherigen Maßnahmen der Zollpolitik und die reduzierten Förderungen lassen potente Investoren abwandern. Verschärfte Sanktionen hätten verheerende Folgen für die Wirtschaft unseres Staates.«

      »Ganz zu schweigen vom Imageverlust, wenn wir das hinnehmen würden«, pflichtete Gazzarah bei. »Nimhaaven spricht offen über einen Boykott!«

      »Dieser fette holländische Antisemit!«, rutschte es Ben-Ilan heraus. Er beugte sich weit vor, sprach leise und blickte dabei wie zufällig an Gazzarah vorbei zum Fenster hinaus. »Diese Idee darf niemals als Antrag den Weg in ein Plenum finden.«

      »So weit ist er zum Glück nicht.«

      »Aber solche sturen Fanatiker warten nur auf die passende Gelegenheit, die sie benutzen können, um ihren Scheiß durchzubringen. Wir müssen jederzeit bereit sein zu reagieren.« Er lehnte sich wieder zurück und sagte gedehnt: »Jederzeit, Ron! Haben wir uns in diesem Punkt verstanden?«

      »Zweifellos, aber wie sieht die Rückendeckung aus?«

      »Keine Sorge, unsere Leute stehen voll dahinter, nur es muss an der Regierung vorbeigehen und es darf keinerlei Verdacht auf mich fallen. Wir haben unzählige politische Seilschaften«, Ben-Ilan machte eine wegwerfende Handbewegung, »die zu viele Interessen und nicht die nötige Entschlossenheit haben. Israel wird es uns danken, Ron, wenn erst die richtigen Leute am Ruder sind.«

      Gazzarah nickte mechanisch und leerte sein Glas. Das Eis war mittlerweile zergangen und der Wodka schmeckte schal. Was ist aber, wenn die richtigen Leute nicht ans Ruder kommen?, hätte er sein Gegenüber gerne gefragt, verkniff es sich aber. Ben-Ilan baute mit viel Geschick ein eigenes Netzwerk im Hintergrund auf, um in dem Augenblick, wo sein Einfluss groß genug war, das politische Ruder an sich zu reißen. Gazzarah wusste, dass er sich auf ein äußerst gefährliches Spiel einließ, aber war diese Gruppierung erst am Zug, würde auch er in die absolute Führungsriege im Mossad aufsteigen. Der Nachrichtendienst unterstand nur dem Premier, der zugleich auch Außenminister war. Das bedeutete, im Zentrum der Macht zu sein und genau da wollte Ron Gazzarah hin.

      »Ich kümmere mich darum«, sagte er daher und wischte seine Befürchtungen beiseite. »Der Plan ist …«

      »Erspar mir die Details.« Ben-Ilan winkte ab. Er vermied es, über schmutzige Dinge genau Bescheid zu wissen. Wesentlich war nur, dass sie funktionierten. »In der anderen Aktion läuft alles?«

      »Ja, natürlich! Keinerlei Probleme, es ist alles im Griff«, antwortete Gazzarah schnell, um nicht durch eine Pause seine Unsicherheit zu zeigen, weil er aus Beirut noch keine Nachricht von seinem Team hatte. Aber das brauchte der Politiker nicht zu wissen.

      »Gut, Ron«, sagte Ben-Ilan knapp und erhob sich, »ich muss weg, zu einem Termin in der Botschaft.«

      Damit ging er – nur mit einem Kopfnicken und ohne Gruß.

      »Eitler Arsch«, brummte Gazzarah unhörbar hinter ihm her, sah auf die Uhr und stand ebenfalls auf.

      Er musste zu dem Treffen mit dem verdammten Kanadier in das chinesische Restaurant des Hauses, wo sie zum Essen verabredet waren. Er hatte Hunger und hoffte nur, dass ihm dieser bei der bevorstehenden Unterhaltung nicht vergehen würde. Während er in den Lift stieg, um in die Etage darunter zu fahren, zog er sein Mobiltelefon aus der Tasche und checkte, ob eine Mail aus Beirut eingetroffen war. Aber das Display zeigte: No Messages.

      »Hey! I’m here!«

      Der asiatische Kellner, der die Silberplatte mit den gebackenen Garnelen auf dem Serviertisch abstellte, zuckte zusammen. Dann legte er dem Gast das Essen vor, ohne sich anmerken zu lassen, was er über den großen, grobknochigen Glatzkopf dachte, der sich aus dem Sessel hochschraubte und – quer durch das Lokal – lautstark seinem Besucher winkte.

      Das chinesische Tsé Yang im ersten Stock des Hotels war eines der besten Restaurants in Genf, pflegte eine elegante Atmosphäre und bot perfekt zubereitete Delikatessen. Dementsprechend distinguiert waren auch die Gäste, die in dem Lokal den Gaumenfreuden frönten und ob des Benehmens irritiert innehielten.

      Doug Whise ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und breitete die Hände zur Begrüßung aus.

      »Hello Ronny, ich war früher da und habe deshalb schon bestellt«, polterte er, ohne seine Lautstärke auch nur im Geringsten zu vermindern, und deutete auf die Garnelen, als Gazzarah an den Tisch trat.

      »Kein Problem«, antwortete der betont leise und nahm den Platz gegenüber ein. Für das saloppe Ronny hasste er Doug.

      Der Kellner verbeugte sich und reichte ihm die Speisekarte.

      »Danke, die brauche ich nicht«, sagte Gazzarah, der oft und gerne hier aß, »ich nehme als Vorspeise die Teigtaschen mit frischem Ingwer und dann die Spezialität des Hauses.«

      »Das Szechuan Rindfleisch auf Sellerie und Lauch – ausgezeichnete Wahl«, erwiderte der Kellner nickend. »Zu trinken darf ich Ihnen traditionell Tee anbieten?«

      »Ja, passt gut zum kalten Wetter.«

      Der Kellner entfernte sich mit einer weiteren höflichen Verbeugung und Doug, der grinste, weil Gazzarah Tee bestellt hatte, lehnte sich zurück. Er nahm einen tiefen Zug von seinem Bier und wischte sich dann mit dem Handrücken den Mund ab. Manieren waren nie seine Stärke gewesen. Die brauchte er auch nicht, denn Doug trieb sich fast das ganze Jahr über in zweifelhaften Camps in Südländern herum, wo man das Essen einfach aus Dosen löffelte. Das Auffallende an ihm war sein Gesicht mit der Narbe, die die linke Augenbraue in zwei Teile zerschnitt, und dem herben, verbissen wirkenden Mund mit den großen, viel zu weißen falschen Zähnen.

      Nach seiner eigenen Definition war Doug ein beliebter Militärberater für einige politische Regime. In Wahrheit war er ein abgehalfterter Söldnerführer, der bei jedem Umsturz für die Seite, die am besten bezahlte, seine dreckigen Finger ins Spiel brachte. Doch inzwischen vermieden es viele Militärberater, ihn und seinen bunten Haufen anzuheuern, da er häufig hohe Kollateralschäden verursachte. Folglich hatte er eine eigene Sicherheitsfirma unter dem klingenden Namen Clearance gegründet und keilte die Aufträge selbst, direkt von den Diktatoren oder Putschisten der Dritten Welt. Freiwillige, die sich gegen guten Sold verdingten, irgendwo Köpfe kaputtzuschlagen, gab es genug, so zählte Dougs Privatarmee unterdessen über fünfzig Mann. Damit war er nun auf größere Aufträge angewiesen, da seine Finanziers, die sich von der Investition in die Idee satte Gewinne erwarteten, langsam begannen, den Geldhahn zuzudrehen.

      »Es wäre an der Zeit, über eine breitere Kooperation zu sprechen«, sagte Doug nach