Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

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Название Traumzeit für Millionäre
Автор произведения Roman Sandgruber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990401842



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die heutigen Zeitungen gelesen, ich weiß, was für Wetter wir haben; mir und meiner Familie geht es gut. Ich befasse mich nur mit Geschäften.“91

      Die Bankiers des Fin de Siècle besetzten die oberste Spitze der Einkommenshierarchie. Aber sie besetzten bei weitem nicht die Spitze der sozialen Skala, die weiter sehr viel mehr auf den traditionellen aristokratischen Werten basierte als auf den Werten des Geldes. Robert Musil brachte den geringen sozialen Rang des Bankiers im Mann ohne Eigenschaften auf den Punkt: Der Bankdirektor Léon Fischel beeindruckt den Professor Schwung kaum. Auch Morawitz sah das so: Der Respekt gelte nicht den jüngst erworbenen Reichtümern, sondern den ererbten Vermögen und staatlichen und adeligen Titeln.

      Taussig hatte sich 1894 von dem bekannten Architekten Karl König eine riesige, schlossartige Sommervilla in Hietzing mit allen technischen Raffinessen der Zeit errichten lassen, mit eigener Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Gärtner- und Portiershaus, Kutscher- und Stallgebäude, Manege und Wettersäule. Die künstlerische Ausgestaltung des Speisesaals stammte von Josef Engelhart. Die Villa wurde 1931 abgerissen. Auch Krassny führte einen sehr aufwendigen Lebensstil, Max Feilchenfeld lebte angeblich eher bescheiden, obwohl sein Landsitz in St. Gilgen zu den „großartigsten Anlagen zählt, die nach der Jahrhundertwende im Salzkammergut errichtet wurden“.92 Doch anders als die Privatbankiers sind die Manager durch keine Salons, durch kein großartiges kulturelles Engagement und durch kein die Breite der Gesellschaft überspannendes Netzwerk bekannt geworden.

      Weniger als 10 Prozent der Bankiers auf der Liste waren nichtjüdischer Herkunft: Damit nimmt Wien zweifellos eine Sonderstellung ein. Jüdische Bankiers spielten in vielen Ländern eine substanzielle Rolle, aber nirgendwo so total wie in Wien.93 In London, wo bereits eine Gruppe von Quäker-Bankern existierte, in Amsterdam mit seinem starken Anteil von Mennoniten oder in Hamburg, wo traditionell protestantische Händler stärker im Bankgeschäft engagiert waren, war der Anteil jüdischer Banker viel geringer.94 Auf der obersten Ebene der Bankenhierarchie gab es demnach auch keine Front christlich gegen jüdisch oder katholisch gegen jüdisch, sondern zwischen Juden und Juden, zwischen Sieghart und Rothschild, zwischen Taussig und Blum, zwischen Minkus und Fürstenberg, zwischen Morawitz und Lohnstein.

      Wenn der Katholik Spitzmüller, der 1910 zum Direktor der Credit-Anstalt bestellt wurde, in seiner Autobiographie behauptete, es habe in seinen Kreisen keine rassisch-religiösen Vorurteile gegeben, mag das schon zutreffen. „Daraus, dass meine drei beziehungsweise vier Kollegen Juden waren, ergab sich nicht die geringste Reibungsfläche.“95 Man muss allerdings berücksichtigen, dass diese Passage 1955 geschrieben wurde. Aus seinem Tagebuch zitierte Spitzmüller hingegen eine 1911 verfasste Notiz, die ganz anders klingt: „Die Boden-Credit-Anstalt als Werk Taussigs bildet den Gegenstand einer Götzenanbetung seitens der Juden, auch der besten wie Hammerschlag. Wie soll ich, der einzige Christ, noch dazu geschäftlich ohne Routine, obtenieren?“96 Es seien die Direktoren der anderen Wiener Großbanken, schreibt er im Tagebuch weiter, fast ausschließlich Juden: „So paradox es klingt, so ist es doch eine Tatsache, dass auch unter den eigentlichen sogenannten Erwerbsmenschen ethisch hochqualifizierte Persönlichkeiten zu finden waren.“97 Daraus kann man durchaus antisemitische Ressentiments herauslesen.

      Für die antisemitische Propaganda eigneten sich die großen Banken und ihre alles übergreifende Macht natürlich bestens. Im Tagesgeschäft hingegen war man auf sie und ihre Kompetenz angewiesen. Der Kaiser verlieh den Bankiers Adelstitel, höchste Auszeichnungen und Nominierungen ins Herrenhaus. Im privaten Kreis kritisierte er sie eher abfällig, was zum Beispiel die Beziehungen seines Sohnes, des Kronprinzen Rudolf, zu Moriz Hirsch betraf („Er ist sicher wieder bei seinem Juden“), und er hätte ihnen wohl sicher nie die Hand gegeben. Der Großteil der reicheren Juden war monarchistisch gesinnt. Es gab eine schweigende Koalition zwischen Kaisertum und Judentum, die allerdings auch bei Kaiserhaus und Adel antisemitische Haltungen und Bemerkungen nicht ausschloss. Dieser schweigende, unterschwellige Antisemitismus der Oberschicht war vielmehr Teil des Systems. Auch Lueger schwang antisemitische Hasstiraden und arbeitete gleichzeitig mit Juden auch zusammen, denn diese konnten in der Konkurrenz um die Macht im Staat mit der Keule des Antisemitismus immerzu in Schach gehalten und im geeigneten Augenblick ausgegrenzt werden. Gleichzeitig wurde damit von eigenen Privilegien abgelenkt.

      Nirgendwo machte man sein Vermögen so rasch wie im Handel. Riesige Vermögen wurden innerhalb kurzer Zeit aufgehäuft. 150 der 929 Millionäre oder 16,1 Prozent waren dem Bereich Handel und Verkehr zuzuordnen. Ihr Durchschnittseinkommen lag leicht über dem der Industriellen und der Rentiers, aber deutlich unter dem der Bankiers und der Großgrundbesitzer. Aber ihr Vermögen war sehr häufig sehr rasch errungen, oft innerhalb weniger Jahre. Die Liste der großen Vermögen, die in der österreichischen Geschichte durch Handel geschaffen wurden, ist lang: von den Großhändlern des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts Fries und Sina über die Getreide- und Wollhändler Ephrussi und Figdor und die Kohlenhändler Gutmann und Berl bis zu den Lebensmitteldetaillisten Meinl und Mayer und den Warenhauskönigen Herzmansky, Gerngroß, Esders oder Rothberger oder nach dem Ersten Weltkrieg dem Inflationsgewinnler Siegmund Bosel, der in seiner Handelsgesellschaft „Omnia“ mit buchstäblich allem handelte und in den wenigen Jahren der Kriegs- und Inflationswirtschaft bis 1924 den Aufstieg vom völlig mittellosen Schusterlehrling zum angeblich kurzfristig reichsten Mann Österreichs machen konnte.

       Millionäre im Handel 1910

Kohlenhandel 17 17 100,0 18,034.601 1,060.859 6,9
Holzhandel 16 15 93,8 3,074.480 192.155 1,2
Eisen/​Metallhandel 12 7 58,3 1,976.710 162.226 0,7
Agrar/​Lebesmittel 17 12 70,6 3,001.863 176.580 1,1
Textil/​Warenhäuser 29 25 86,2 5,960.325 205.528 2,3
Handel, sonstiger 59 39 66,1 11,239.603 190.502 4,3
Handel insgesamt 150 115 76,7 43,257.582 288.384 16,4

       Eigene Auszählung

      Zwischen Bankhäusern und Handelshäusern ist schwer eine Grenze zu ziehen. Zahlreiche der berühmten Privatbankiers hatten ihr Vermögen im Handel gemacht. Auch die Grenze zwischen Handel und Industrie ist fließend. Handelshäuser gliederten sich Produktionsbetriebe an. Umgekehrt versuchten Produzenten sich mit eigenen Vertriebsstrukturen aus beengenden Umklammerungen zu lösen. Nirgendwo war auch die Spanne zwischen ganz reich und ganz arm so groß wie im Handel. Ganz unten waren die zahllosen Hausierer, Tandler,