Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

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Название Traumzeit für Millionäre
Автор произведения Roman Sandgruber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990401842



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Kleinbetriebe und hatten insgesamt an die 6.000 Beschäftigte.104

      Dass im Agrarstaat Österreich dem Lebensmittel- und Landesproduktehandel besondere Bedeutung zukam, braucht nicht zu verwundern. Eduard Bondy handelte mit Getreide, die Boschan mit Landesprodukten und Samen, Glatz mit Mehl und Kleie, Klein mit Gerste, die Strasser waren das führende Getreidehandelsunternehmen Ungarns, auch ein Pferdehändler ist unter den Millionären, mehrere Weinhändler, ein Bierhändler, ein Milchhändler, ein Futterwarenhändler. Gabriel Bader handelte mit Spiritus und Melasse, die Familie Bauer mit Leder, die Schütz mit Pelzen. Sie waren allesamt jüdisch. Dennoch ist die Vorstellung, der Getreidehandel befinde „sich ausschließlich in den Händen der Juden“, wie es Karl Lueger im Reichsrat 1890 formulierte, als Klischeebild anzusehen, in dem sich alte Ängste vor Kornwucher und Hunger mit dem Antisemitismus jener Zeit mischten.

      Im Einklang mit der österreichischen Industriestruktur haben sich einheimische, international tätige Rohstoffhändler vor allem auf den Bereich des Metallhandels konzentriert, wenngleich sich die Aktivitäten teilweise auch mit dem Agrar-, Chemikalien-, Baustoff- und Brennstoffhandel überschnitten. Die Bergmann handelten mit Buntmetallen (Zinnoxyd-Comptoir), die Brukner und die Frankl mit Eisen, die Kraus mit Ultramarin. Gustav Benda, Inhaber der Firma Waldek, Wagner & Benda (auch Waldeck, Wagner und Benda geschrieben) vertrieb ein großes Sortiment an Maschinen, Gummiwaren, Armaturen und Fittings, aber auch Chemikalien wie Schwefel und Borax, Farben und Brennstoffe. Willibald Petzolt, Inhaber in dritter Generation einer aus den kleinen Anfängen einer Gemischtwarenhandlung im 7. Bezirk herausgewachsenen Werkzeug- und Metallwarenhandlung, beherrschte 1910 den Metallmarkt der k. u. k. Monarchie. Heute wird das traditionsreiche Unternehmen in sechster Generation von Frau Christine Del Monte-Petzolt geführt. Alte, bis heute bestehende Traditionen repräsentiert auch die Fa. Neuber. Wilhelm Neuber, der als Praktikant in einer Wiener „Material-, Spezerei- und Farbwarenhandlung“ das Drogistengeschäft von Grund auf gelernt hatte, erwarb 1865 eine „Bürgerliche Gemischtwarenhandlung“ und baute aus einer kleinen Farbwarenhandlung einen Handels- und Produktionsbetrieb für Farben und Farbstoffe auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Industriebetrieb als Neuber AG von der Großdrogerie getrennt, die in Familienbesitz verblieb.105

       Verwaltung, Erzeugungsbetriebe und Lagerräume unter einem Dach: das neu erbaute Hauptquartier von Julius Meinl in der Nauseagasse in Ottakring, um 1913.

      Die bekannteste Handelsmarke des alten Österreichs schuf Julius Meinl. Der Name Meinl verkörperte über mehr als ein Jahrhundert das perfekte Beispiel für patriarchalisches Unternehmertum: Der stets gleich bleibende, wie bei Herrschern oder Päpsten nur durch die römische Zahl unterschiedene Vorname „Julius“, von I bis inzwischen V, signalisiert eine Kontinuität, die es im Geschäftsleben nur in Ausnahmefällen gibt. Im Jahr 1862 hatte dieser erste Julius Meinl auf dem Wiener Fleischmarkt ein Geschäft für „täglich frisch gebrannten Kaffee“ eröffnet. Vierzehn Jahre später war er in der Großen Depression bankrott gegangen. Er gab aber nicht auf. 1877 startete er neu. Ende der 1890er Jahre war die Firma in ein neues Haus am Fleischmarkt übersiedelt, das mit seiner Marmorfassade bereits als typisches Meinl-Geschäft erkenntbar war. Zielpublikum war die wohlhabende Gesellschaft. Bei Kriegsausbruch 1914 hatte das Unternehmen 115 Filialen, davon 44 in Wien, zehn in Budapest, fünf in Prag, je drei in Lemberg, Brünn und Graz sowie zwei in Triest. Insgesamt beschäftigte der Konzern mehr als 1.100 Personen. In seinem Geschäftsbereich war Meinl unumstritten die Nummer eins. Als Julius Meinl II. 1913 den Betrieb übernahm, war Meinl nicht mehr nur eine Handelskette für Kaffee und Tee, sondern ein breit gefächerter Lebensmittelkonzern. Mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie war kein Einschnitt verbunden. Zwischen 1919 und 1933 wurden durchschnittlich elf bis zwölf neue Geschäfte pro Jahr eingerichtet. Das Unternehmen wurde um ein Margarinewerk, eine Likörfabrik, eine Ölproduktion und eine Konservenfabrik erweitert, ein Sparverein wurde gegründet und eine Bank übernommen, ebenso die Geschäfte der „Brüder Kunz“, des größten Konkurrenten im Lebensmittelsektor. 1937 war das Unternehmen in acht Staaten tätig, verfügte über 493 Filialen und beschäftigte etwa 3.000 Leute, ca. die Hälfte davon in Österreich. Überall, in Wien, Berlin, Prag, Triest, Budapest, Warschau, Kattowitz und Zagreb warb Meinl mit demselben Schriftzug und dem Meinl-Mohr als Logo, mit einheitlich dekorierten Schaufenstern und einer einheitlichen Fassadengestaltung. Auch die NS-Zeit und der Zweite Weltkrieg konnten die Erfolgsgeschichte des Unternehmens nicht stoppen. Erst Julius Meinl V. beendete die Handelstradition des Hauses und verlegte sich mit durchaus zweifelhaftem Erfolg ganz auf das Bankgeschäft.106

       Beginnt 1890 mit der Sekterzeugung: die Weinkellerei von Johann Kattus in Döbling, der 1898 zum „k. u. k. Hoflieferanten“ ernannt wird.

      Wien war ein guter Platz für Luxuswaren aus aller Welt: Johann Kattus war zwischen 1880 und 1914 der bedeutendste Kaviarhändler der Welt, mit Umsätzen pro Jahr von bis zu 200.000 kg. Er hatte als Reisender für verschiedene Weinhändler begonnen und um 1857 eine Spezereiwarenhandlung für Wein, Kaffee, Tee, Südfrüchte, Spirituosen, Champagner und Kaviar gegründet. In Astrachan am Kaspischen Meer eröffnete er eine Kaviarfaktorei, von der aus die Kaiserhöfe in Wien und Sankt Petersburg, deutsche Fürstenhöfe und amerikanische Hotels beliefert wurden. 1890 wurde die eigene Sekterzeugung aufgenommen. Kattus kreierte die Marke „Hochriegl“, benannt nach seinem besten Weingarten. 1898 wurde er zum k. u. k. Hoflieferanten ernannt. Auch Wilhelm Pollak zählte mit der von seinem Vater gegründeten k. u. k. Hof-Weinhandlung Emanuel Pollak & Sohn und der Fa. Joh. Stifft & Söhne zu den größten Weinhändlern der Habsburgermonarchie. Robert Schlumberger, der Sohn eines schwäbischen Brücken- und Straßenbaudirektors, hatte in Reims die Schaumweinproduktion gelernt und begann in Wien, wohin er wegen seiner Heirat übersiedelt war, mit Versuchen, diese in Österreich zu etablieren. Er mietete dazu den Vöslauer Maitalkeller des Grafen Moritz Fries. Er schaffte es, sein Unternehmen mit seiner Marke „Vöslauer Goldeck“ zum Lieferanten der wichtigsten Höfe Europas zu machen. Im Jahr seines Todes als „Edler von Goldeck“ für seine Verdienste noch mit einem Adelstitel geehrt, hinterließ er seinen drei Söhnen Robert (II.), Otto und Gustav Schlumberger von Goldeck ein florierendes Unternehmen.107

      Franz X. Mayer war der Chef des Großhandlungshauses Fa. Gebrüder Mayer, Präsident des Großhändler-Gremiums und Verwaltungsrat der Kathreiner Malzkaffee Fabriken AG. Auch der k. u. k. Hoflieferant Franz Josef Stiebitz, Chef der Firma Alois Stiebitz et Comp., war eine bekannte Persönlichkeit im Wiener Gourmetbereich. Der aus Mähren stammende Joseph Stiebitz hatte 1818 das „Schwarze Cameel“ übernommen, eine schon seit dem 17. Jahrhundert unter diesem Namen bestehende Gewürzkrämerei. Stiebitz expandierte in den Feinkosthandel und richtete eine Weinstube samt Schwemme ein. 1901 wurde das Haus Bognergasse 5 komplett neu gestaltet und dem Lokal von Portois & Fix sein heutiges Aussehen im Wiener Jugendstil verpasst.108 Stiebitz machte das Schwarze Kameel zu einer Mischung aus Feinkosthandlung, Buffet und Restaurant, gerade recht für die Bedürfnisse seiner noblen Kundschaft.

      Man vermisst unter den Millionären sicher manche der traditionsreichen Hoflieferanten, von den Käsehändlern Gebrüder Wild oder dem Hoffleischhauer Ludwig Weisshappel bis zu den Wiener Schmuck- und Juwelierhäusern Köchert und Rozet & Fischmeister. Sie besetzten zweifellos eine führende Position im Altwiener Bürgertum. Für ein Millioneneinkommen waren sie dennoch zu klein. Der Juwelen- und Edelsteinhändler Bernhard Hirsch durchstieß diese Schranke. Er war um 1876 nach Wien gekommen und etablierte hier das von seinem Vater in Pest gegründete Geschäft Leopold Hirsch & Sohn. Ob Julius Bellak mehr Uhren- und Schmuckhändler oder mehr Bankier war, ist schwer zu sagen. Dasselbe gilt für die Zirner, die als Juweliere begannen, ein Bankhaus führten und in das feine Modehaus Ludwig Zwieback auf der Kärntner Straße einheirateten.

      Für den Buchdruck und den Buchhandel war die Habsburgermonarchie lange Zeit kein guter Boden. Im Vormärz behinderte die Zensur eine freie Entwicklung. Weil die Habsburgermonarchie bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts an den Abkommen gegen Nachdruck nicht teilnahm, gaben erfolgreiche Autoren häufig Verlegern an deutschen Standorten den Vorzug. Im 19. Jahrhundert wurde die Wertschöpfungskette