Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

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Название Traumzeit für Millionäre
Автор произведения Roman Sandgruber
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783990401842



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Die Familie Popper wohnte im Parterre, die Familie Neustadt im ersten Stock, im zweiten Stock und in einer Hälfte des dritten befand sich die Bank, in der anderen Hälfte des dritten wohnte ein Vetter der Familie, nämlich Wilhelm Kux, damals Generaldirektor der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft. Kux zählte zu den schillerndsten Bankiers seiner Zeit. Zusammen mit Dr. Paul Hammerschlag war er 1910 Gründer des Verbands österreichischer Banken und Bankiers. Er war Präsident der Wiener Musikgesellschaft und Förderer junger Talente. Als Freund der Sozialdemokratie war er unter den Bankiers vielleicht gar keine so große Ausnahme. Das gesamte Bankhaus Rosenfeld galt als linksliberal bis links. Sigmund Rosenfelds Sohn Alfred war der Ehemann von Rosa Hochmann, die in erster Ehe mit dem Bankier Felix Stransky verheiratet gewesen war. Sie war eine begnadete Geigerin. Die Quartett-Abende bei Rosenfeld und Kux galten als gesellschaftliche Ereignisse ersten Ranges, zusammen mit dem Buffet aus der Küche von Frau Bertha Popper.40

      Die Thorsch zählten zu den führenden Privatbankiers in Wien. Zu Eduard Thorschs Tod im Juli 1883 schrieb die Neue Freie Presse: „Heute repräsentiert die Firma, zumindest was die Höhe der Umsätze betrifft, das größte Bankhaus Österreich-Ungarns.“41 Allerdings beschränkte sich das Bankgeschäft schließlich mehr und mehr auf die Vermögensverwaltung der eigenen Familie. Der Reichtum der Familie galt als sagenhaft. 300 Millionen Gulden (!) habe das Vermögen des Bankhauses vor Kriegsausbruch betragen, meint Hubertus Czernin in seiner kleinen Geschichte dieser Familie, eine sehr zweifelhafte Angabe, nicht nur, weil es damals gar keine Gulden mehr gab, sondern weil es auch dann viel zu hoch ist, wenn nur Kronen gemeint wären. Um eine Zehnerstelle niedriger wäre es auch noch ein Riesenbesitz.42 Das Bankhaus befand sich in der Hohenstaufengasse 17, die Familie wohnte im Palais in der Metternichgasse, das kurz vor der Jahrhundertwende erbaut worden war, ein Haus mit 60 Zimmern, bewohnt von Alphonse und Marie Thorsch, geborene Spitzer, und den fünf Töchtern Clarisse, Henriette, Gabriele, Eva und Dorothea, dem Portiersehepaar, der Haushälterin, dem Diener, dem Hilfsdiener, der Köchin, dem Küchenmädchen, der Gouvernante, der Kinderschwester, der Kammerfrau, zwei Stubenmädchen, einem Hilfsstubenmädchen, der Wäscherin und dem Gärtner. Die Diener trugen Livrees mit Silberknöpfen und dem eingravierten T für Thorsch.43

      Saly Jakob Schloss war vom vermögenslosen Bankbuchhalter zum Millionär und Mitinhaber der Bankgesellschaft Ellissen & Schloss aufgestiegen. Diese Bank war Nachfolgerin der wenig erfolgreichen Firma „Ludwig Ladenburg“, die einem Onkel von Rudolf Ellissen gehört und in der Saly Schloss als kleiner Buchhalter gearbeitet hatte. 1875 gründete er zusammen mit Rudolf Ellissen eine neue Bankgesellschaft. 1906, bei seinem Tod, hinterließ er ein Vermögen von 3,4 Mio. Kronen, davon 2,9 Mio. in Wertpapieren.44

      Die Liste der Privatbankiers ist lang: Von Auspitz über Bellak, Biedermann, Blitz und Brunner bis zu Julius Schwarz, Schwarz & Strisower und Zirner. Viel Stoff noch für künftige Wirtschaftshistoriker. Es gab kaum nichtjüdische Privatbankiers. Unter den Millionären ist Franz Haunzwickl, Sohn des Baumeisters Ignaz Haunzwickl, einer der wenigen. Nach einer Bankausbildung war er zuerst im Bankhaus Löwenthal, dann im Bankhaus Gerstbauer tätig gewesen. Wie er zu seinem Spitzeneinkommen kam, liest sich wie ein Märchen. Er hatte das Glück, bei türkischen Anleihen, die mit einem Lotteriegewinn verbunden waren, den Haupttreffer zu ziehen. Er kaufte sich in das Bank- und Wechselhaus M. Gerstbauer ein. Michael Gerstbauer überließ ihm nach seinem Tod im Jahr 1903 die Leitung des Bankhauses. Gerstbauers Sohn Karl, offensichtlich schon schwer krank, verstarb 1905 zwei Jahre nach seinem Vater, ohne Kinder zu hinterlassen. 1910 machte Haunzwickl, der Glückliche, einen zweiten Lottohaupttreffer, der sein Einkommen nochmals sprunghaft erhöhte, von 29.000 Kronen im Jahr 1909 auf mehr als 300.000 Kronen im Jahr 1910. Die primäre Geschäftstätigkeit des Bankhauses war die Industriefinanzierung, aber auch die Vermögensverwaltung für das Kaiserhaus. 1919, nach dem Tode Haunzwickls, wurden Frieda Nowotny und ihr Bruder Ernst Haunzwickl Eigentümer der Bank, beratend war auch Dr. Otto Nowotny tätig, zuletzt Leiter der Staatsschulden-Hauptkasse. Nach schweren Verlusten in der Weltwirtschaftskrise musste das Bankhaus liquidiert werden. Der Familie blieben Teile des Beteiligungsvermögens. Auf diese Weise ist der gegenwärtige Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny ein Erbe des Bankhauses Haunzwickl.45

      Nirgends allerdings waren die Vermögen so flüchtig wie in der Bankbranche: Zahlreiche der berühmten Bankhäuser aus dem ersten und zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts waren 1910 nur mehr Geschichte: Arnstein & Eskeles, Stametz & Mayer, Hofmannsthal, Epstein, natürlich Fries und Geymüller, die beide als Vorbilder für Ferdinand Raimunds Verschwender gelten.46 Der Reichtum der Epstein war schon in der Krise von 1873 zerronnen, der von Heinrich Mayer, dem Chef des Bankhauses J. H. Stametz, schon vorher. Auch die Familie Hofmannsthal gehörte 1910 nicht mehr zu den Millionären. Rudolf Friedrich Frh. v. Geymüller war 1910 nur mehr Gutsherr und Rentier. Vom Vermögen der Sina zehrten ihre hochadeligen Schwiegersöhne. Auch Robert Biedermann Freiherr von Turony gab 1910 bei der Steuerbehörde nur mehr Grundbesitz als zentrale Erwerbsgrundlage an. Die 1921 neu gegründete Biedermann-Bank, mit der der berühmte Ökonom Joseph Schumpeter als Generaldirektor sein Geld und das anderer Leute verlor und seinen Ruf als Wirtschaftsfachmann aufs Spiel setzte, hatte mit dem alten Bankhaus der Biedermann nicht mehr viel zu tun. Der traditionelle Name sollte der Bankgründung in der Hyperinflation nur einen soliden Anstrich verleihen.47

      Julius Bachrach, 1910 noch Privatbankier und Millionär, mit einem Jahreseinkommen von 104.579 Kronen und 1909 von 82.307 Kronen, endete 1912 mit Selbstmord. Arthur Schnitzler lässt uns in seinem Tagebuch die Dramatik der letzten Lebenstage miterleben: Am 14. Oktober 1912: „O. kam mit Steffi von Bachrachs. Der Alte hat in diesen zwei Tagen 6 Millionen verloren. Steffi, die reiche Erbin ein armes Mädel! Über sein Wesen. Spielernatur. Geiz. Wenn’s schlecht geht, isst er Käs und Fleisch von demselben Teller. Für versetzte Ohrringe muss seine Frau Jahre Zinsen zahlen, weil er die kleine Summe zum Auslösen nicht gibt … “ Am 25. November notierte Schnitzler die telefonische Mitteilung von Steffi Bachrach: „Nachricht Vater ‚plötzlich gestorben‘, telephonisch mit ihr gesprochen, natürlich Selbstmord.“ Am 2. Dezember meint Schnitzler: „Zu Bachrachs. Die Verhältnisse scheinen desolat, Haltung gut. Sie werden wahrscheinlich von einer Rente leben, die die Banken an sie auszahlen werden, wo der Vater beschäftigt war.“ Am 9. Dezember 1912 erfährt die Familie die volle Tragweite, auch wenn aus der Sicht eines Industriearbeiters oder Stubenmädchens ihre Situation immer noch eine goldene war: „Man hat ihnen (Bankdirektor P.) in verletzender Weise eine Jahresrente von 6000 Kr. zur Verfügung gestellt. ‚Die Mädeln sollen verdienen.‘ Steffi weint bittre Tränen.“ Am 5. Jänner 1913 fasst Schnitzler zusammen: „Nach dem Nachtmahl Steffi. Bilanzen des Vaters. Vor 10 Jahren hatten sie auch 4 Millionen, im Jahr darauf eine (heuer im Sommer ca. 6).“ Und am 13. 2. 1916 reflektiert Schnitzler die Ereignisse noch einmal: „Dass der alte Bachrach, ihr Vater, im Juni 6 Millionen hatte – und sich ein paar Monate später umbringen musste.“48 Die Tochter Steffi Bachrach arbeitete im Krieg als Krankenschwester. Am 15. Mai 1917 beging sie mit einer Überdosis Veronal und Morphium Selbstmord. Schnitzler schreibt: „Erschütterung – und doch nicht. Wir sahn es zu sehr voraus.“49

      An erster Stelle der Einkommensliste von 1910 steht Rothschild. An zweiter Stelle, wenn auch weit abgeschlagen, liegt – durchaus vergleichbar mit heute – mit Theodor Taussig bereits ein Bankmanager. Während die Privatbankiers eine führende Rolle im Wiener Geistes- und Kulturleben einnahmen, auch Zeit und Interesse für Wissenschaft und Kunst fanden, in ihren Palais große Gesellschaften geben konnten und über ihre Frauen eine berühmte Salonkultur pflegten, war die Welt der Manager zwar nicht viel weniger exklusiv, aber viel nüchterner. Die Bankdirektoren besetzten die Spitze der Einkommenshierarchie. Gefürchtet war ihre Macht. Ihr Arm war lang. In ihren Banken waren sie Gott. Sie herrschten als Autokraten. Der Führungsstil glich dem von Privatbankiers. Sie waren voller Pläne, die sie in der Regel im Alleingang durchzogen, ohne Vorstandskollegen zu informieren oder mit ihnen zu beraten. Nahezu die gesamte Wirtschaft war von ihnen abhängig. Sie waren nicht nur Bankleute. Sie saßen in unzähligen Verwaltungsräten der Industrie und regierten die größten Konzerne und Kartelle des Landes, Taussig in der Bodencredit oder Morawitz in der Anglobank. Auch das Kaiserhaus, der hohe Adel und die christlichsozialen, antisemitischen Politiker waren auf ihre Hilfe angewiesen. Das Lob der Bankiers steht in den Nachrufen und Festschriften.