Der Richter in mir. René Münch

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Название Der Richter in mir
Автор произведения René Münch
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957447036



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Rosenthal, Kreis Bunzlau. In der Hand meines Stiefvaters ging der väterliche Hof sehr zurück, sodass ich mich genötigt sah, weil sich kein fremder Käufer für den Hof finden wollte, in Rosenthal zu verkaufen und den Hof in Altenlohm für 18.000 RM (Reichsmark) zu übernehmen. Die Übersiedlung erfolgte im Jahr 1905. Es war für mich ein schwerer Anfang, da an lebendem Inventar nur ein altes Pferd, zwei Kühe und ein Kalb, an totem Inventar nur das notwendigste Ackergerät, aber keinerlei Maschinen vorhanden waren.“

      Sag mal, René, hier wiederholt sich doch einiges.

      Du hast recht, Richter. Geht es um die Geschichte des Hofes, dann ist es normal, wenn so manche Episode in den Lebensläufen auftaucht und vieles ähnlich klingt.

      „Die Gebäude waren sehr verlottert, also galt es zunächst, das Wohnhaus in Ordnung zu bringen. Die Stuben mussten neue Dielung erhalten und Rohrdecken eingezogen werden. Im Flur war noch die alte schwarze Backofenküche vorhanden, welche in eine neuzeitliche Küche umgebaut werden musste. An Schweineställen war nur ein Stall für vier Schweine vorhanden, worauf die am Wohnhaus angebauten Schweineställe errichtet wurden. Der Kuhstall befand sich noch im Wohnhaus und anstelle des heutigen Kuhstalles findet sich ein altes, wackliges Fachwerk-Wirtschaftsgebäude. Dieses wurde 1906 abgebrochen und an seiner Stelle der heutige Kuhstall mit einem Kostenaufwand von 4.000 MK errichtet. Als dann im Jahre 1908 die benachbarte Scholtisei (Amt des Dorfschulzen) parzelliert wurde, kaufte ich den an meinem Grundstück entlang liegenden Acker in Größe von ca. 30 Morgen zum Preis von 12.000 RM. Feldrain um Feldrain wurde beseitigt und so erhielt nun das Grundstück die heutige Breite. Um die Futtergrundlage des Hofes zu verbessern, verkaufte ich die im Zisken gelegene ca. 4 Morgen große Wiese, weil sie zum Teil infolge moorigen Bodens wenig ertragreich war, und kaufte dafür vom Gerichtskretscham Altenlohm die ebenfalls im Zisken gelegene (aber günstigere) ertragreichere, ca. 5 Morgen große Wiese, welche heute noch zum Hof gehört. Da nun infolge der vergrößerten Grundlage die alte Scheune zu klein und auch baufällig geworden war, wurde diese im Jahre 1912 vollständig abgerissen. Die alte Scheune stand so weit im Hof, dass ein Erntewagen in diesem nicht wenden konnte. Die Scheune wurde daher in ihrer heutigen Größe weiter hinaus gerückt und mit einem Kostenaufwand von 12.000 RM erbaut. Das sich heute auf dem Hof befindliche, im Laufe der Jahre angeschaffte sehr umfangreiche Inventar erfordert einen erheblichen Kostenaufwand. Im Jahre 1916 erwarb ich in Polswinkel ein Besitztum. Nach dessen Weiterverkauf behielt ich knapp 8 Morgen zurück und schlug sie dem Hof zu, sodass dieser jetzt eine sehr gute Futtergrundlage hat. Im Verein mit meiner Frau und den drei heranwachsenden Kindern war es möglich, den Hof so zu betreuen, dass er zu seiner heutigen Blüte gelangen konnte und es möglich wurde, ein kleines Vermögen zurückzulegen. Das Erbhofgesetz bringt es mit sich, dass heute viele Kinder den Hof mittellos verlassen müssen. Es wird mir jedoch möglich sein, anständiges Erbteil zu hinterlassen, sodass auch diese nicht leer vom Hof gestoßen werden wie in so vielen anderen Fällen. Im Jahre 1933 habe ich mich mit meiner Ehefrau zur Ruhe gesetzt, das im Jahr 1926 erworbene Hausgrundstück Altenlohm Nr. 21 bezogen und meinem Sohn und Anerben Oskar den Hof zu selbständiger Bewirtschaftung übergeben, ohne jedoch auf die Eigentumsverhältnisse zu verzichten. Meine Söhne Oskar und Arthur hatte ich für die Landwirtschaft bestimmt und erzogen und ihnen eine demensprechende Ausbildung zuteilwerden lassen. Beide haben die Landwirtschaftsschule in Goldberg besucht. Durch das Erbhofgesetz und die Übergabe des Hofes an meinen Sohn Oskar wird nun der Hof für alles Zeiten der Familie erhalten bleiben. Wie die Stammbaumforschung ergeben hat, ist die Familie Karge väterlicherseits und mütterlicherseits eine alte Bauernfamilie und wird es nun auch für alle Zeiten bleiben, so Gott will. Wenn auch immer wieder einzelne Zweige der Familie die Verbindung von Blut und Boden verlieren werden und damit dem Aussterben verfallen, wie die Erfahrung bisher gezeigt hat, so wird doch der Hof ein Glied der Familie festhalten und für alle Zeiten verwurzeln. Ich übergebe nun meinen Kindern die Geschichte des Hofes und der Familie als Vermächtnis. Mögen meine Kinder Arthur und Else die Tradition der Familie stets hochhalten, auch wenn sie nicht mehr bodenständig sind und die Verbundenheit von Blut und Boden verloren haben. Meinem Sohn Oskar aber lege ich ans Herz, diese Aufzeichnungen dem Archiv des Hofes einzuverleiben. Mögen er und seine Nachfahren diese Aufzeichnungen stets ergänzen, damit die Geschichte des Hofes für kommende Geschlechter erhalten bleibt. Füge jeder Hoferbe hinzu, was er für wichtig hält und was er auf dem Hof geleistet hat. Damit die Nachfahren einst wissen, wie ihre Vorfahren auf dem Hofe gewirkt und gelebt haben. Dazu gebe Gott seinen Segen. Geschrieben von Oskar Bruno Hugo Karge, derzeitiger Erbhofbauer.“

      René, das klingt nach Bodenständigkeit deine Familie mütterlicherseits. Die können offenbar richtig malochen, das lese ich hier heraus.

      Mir hätte es auch gut gefallen, Richter, in einer Familie zu leben. Väterlicherseits habe ich diese 2013 endlich gefunden, und nun suche ich noch mütterlicherseits. Und wenn ich das hier lese, erfahre ich, dass auch dieser Teil meiner Familie sehr groß ist.

      „Das Dorf Altenlohm (Abb. 3.3), das für meine Großeltern Karge, meine Eltern und für meine Schwester und mich Heimat war, liegt in Nord-Süd-Richtung auf 15°48‘ östliche Länge und erstreckt sich über etwa 3 Kilometer von 51°20‘ auf 51°74‘ nördlicher Breite. Es hatte 1944 etwa 700 Einwohner und war landwirtschaftlich geprägt. Es war keinerlei Industrie vorhanden, nur das für das tägliche Leben erforderliche Gewerbe (Fleischer, Bäcker, Kolonialwarenladen, Tischler, Schneider, Schuster) und das für die Landwirtschaft notwendige Handwerk (Schmied, Stellmacher und Sattler). 1936 gab es zwei Autos im Dorf, eines gehörte meinem Großvater, das andere dem Schneidermeister. Mein Großvater hatte einen Opel Kapitän gekauft, soweit ich weiß für 6.000 RM (ein Lehrer verdiente zur dieser Zeit etwa 200 RM im Monat). Meine Eltern machten den Führerschein, mein Großvater nicht, Tochter oder Schwiegersohn mussten ihn fahren. Ein Beispiel für das damalige Lebensgefühl ist die Führerscheinprüfung meines Vaters. Zwei Herren kamen per Fahrrad aus der 14 Kilometer entfernten Kreisstadt zur Fahrprüfung meines Vaters nach Altenlohm in die Schule.“

      Das klingt so, als hättest du es selbst erlebt, Rene!

      Du weißt doch, Richter, ich schreibe das hier im Namen von Oskar. Ich habe ja damals noch gar nicht gelebt. Und jetzt Ruhe, es ist noch viel zu schreiben über all das, was geschehen ist, bevor meine Mutter 1955 in den russischen Sektor kam.

      „Mein Vater unterbrach den Unterricht für eine halbe Stunde. Die Schüler beschäftigten sich dann selbst, während er das Auto holte. Die beiden Herren mit meinem Vater am Steuer fuhren über einen Sandweg etwa zwei Kilometer bis zur kommunalen Kiesgrube, dort musste mein Vater das Auto wenden und zurückfahren. Die Herren stellten ihm den Führerschein aus und fuhren auf ihren Fahrrädern wieder zurück in die Stadt. Mein Vater setzte den Unterricht fort. Mein Großvater muss ein außerordentlich tüchtiger Mann gewesen sein. Er hat in fünfunddreißig Berufsjahren einen Hof mit knapp 30 ha aufgebaut (das entspricht der durchschnittlichen Größe der bäuerlichen Betriebe in dieser Region). Alle Wirtschaftsgebäude hat er neu gebaut und das Wohnhaus von Grund auf saniert (Abb. 3.4) sowie den Maschinenpark auf den neusten Stand der damaligen Technik gebracht. In den letzten zwanzig Baujahren muss er so viel verdient haben, dass er das Hausgrundstück (Abb. 3.5) 1926 kaufen und großzügig zu seinem Altenteil und Wohnsitz für die Familie seiner Tochter umbauen konnte (Abb. 3.6). Gleichzeitig war es ihm möglich, ein kleines Vermögen zurückzulegen, wie er in seiner Geschichte des Hofes schreibt. Einen Teil seines Vermögens hatte er in Aktien angelegt, den anderen Teil bei mehreren Banken gewinnbringend deponiert. Er meinte, verschiedene Banken und Geldanlagen seien nötig, damit niemand nachvollziehen könne, wie viel er besitzt.“

      Ich