Der Richter in mir. René Münch

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Название Der Richter in mir
Автор произведения René Münch
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957447036



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wenn wir mit dem Manuskript „Der Richter in mir“ beginnen.

      Ihr Wort mein Segen, doch wenn ich etwas weiß oder etwas mit Ihnen besprechen möchte, dann melde ich mich gern ohne Ankündigung.

      Etwas anderes bin ich doch sowieso nicht von Ihnen gewohnt. Bitte seien Sie nicht sauer, wenn ich Sie jetzt auffordere, für heute Ihre Klappe zu halten. Morgen beginnen wir mit einer kleinen Vorgeschichte zur Einleitung, da brauche ich Sie – nein: dich – dann.

      Okay, René. Eine Frage oder Bemerkung hätte ich da aber noch …

      Nein, für heute ist Schluss. Meine Fenster rufen und die Fliege muss weg. Bis morgen!

       Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik [vom 7. Oktober 1949]

       Von dem Willen erfüllt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu verbürgen, das Gemeinschafts- und Wirtschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu gestalten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen, die Freundschaft mit anderen Völkern zu fördern und den Frieden zu sichern, hat sich das deutsche Volk diese Verfassung gegeben.

       A. Grundlagen der Staatsgewalt

       ARTIKEL 1

       (1) Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf.

       (2) Die Republik entscheidet alle Angelegenheiten, die für den Bestand und die Entwicklung des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit wesentlich sind; alle übrigen Angelegenheiten werden von den Ländern selbständig entschieden.

       (3) Die Entscheidungen der Republik werden grundsätzlich von den Ländern ausgeführt.

       (4) Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit.

       ARTIKEL 10

       (1) Kein Bürger darf einer auswärtigen Macht ausgeliefert werden.

       (2) Fremde Staatsbürger werden weder ausgeliefert noch ausgewiesen, wenn sie wegen ihres Kampfes für die in dieser Verfassung niedergelegten Grundsätze im Ausland verfolgt werden.

       (3) Jeder Bürger ist berechtigt, auszuwandern. Dieses Recht kann nur durch Gesetz der Republik beschränkt werden.

      Gedicht

       Der Staat hatte immer das Recht

       wie er mit dir verfuhr

       er machte dich als Kind zum Knecht

       gab vor die Lebensspur

       der Mutter eben erst entschlüpft

       nahm man dich ihr schon weg

       hat dir ein anderes Ziel geknüpft

       der Staat bestimmt den Zweck.

       Gelitten haben Seelen

       das war dem Staat egal

       wenn Peiniger auch quälen

       sie waren groß an Zahl

       sie wiesen dir die Richtung

       die du zu gehen hast

       des Willens strikte Bändigung

       die hat man dir verpasst.

       Die Seelen all der Kinder

       die sind nun klein und krumm

       doch immer noch vorhanden

       die Peiniger sind stumm.

       Denn in den Akten finden

       die Kinder, wer es war

       man will sie wieder binden

       den Tätern droht Gefahr

       sie sind, so meinen sie,

       noch heute doch im Recht

       die Meinung änderte sich nicht

       IHR Staat war doch nicht schlecht!?

       (Gerda Kocí)

      Akteneinsicht beim BStU Dresden

      Bevor ich mit der Aufarbeitung beginnen konnte, benötige ich noch weit mehr Material als nur meine Kinderheimakte. Mir fehlte noch die Einsicht in meine Stasi-Akte und die meiner Mutter. Mir war bekannt, dass das MfS und das Referat Jugendhilfe wie mit einer Axt durch den Wald durch die Familie von mütterlicher und väterlicher Seite gegangen sind.

      René, nun fang an zu erzählen und halte dich nicht gleich zu Beginn mit ewigen Wortspielereien auf.

      Klappe jetzt, und hör mir zu, sonst nimmt das Kapitel kein Ende. Im Jahr 2010 beantragte ich Akteneinsicht beim BStU, dem Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Außenstelle Dresden, worauf ich zunächst eine Eingangsbestätigung erhielt. Das hörte sich dann so an:

      „Sehr geehrter Herr Münch, mit meinem Schreiben vom 06.05.2010 erhielten Sie die Auskunft, dass Sie in den seinerzeit vorhandenen und erschlossenen Karteien des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit Ihren Personalien auf einer Karteikarte zwar erfasst waren, aber keine Unterlagen ermittelt werden konnten.

       So sieht die Karteikarte aus, wenn man bei VEB Horch und Guck registriert war.

      Aufgrund Ihres erneuten Antrags auf Akteneinsicht wurden nochmals umfangreiche und aufwendige Recherchen in der Zentralstelle Berlin und der Außenstelle Dresden durchgeführt. Diese Recherchen haben keine Hinweise auf Unterlagen ergeben, die über die Ihnen bereits bekannten hinausgehen. Da die Erschließung der Archive inzwischen weit fortgeschritten ist, gehe ich davon aus, dass auch in Zukunft zu Ihrer Person keine weiteren Unterlagen aufzufinden sind.“

      René, die wollen nicht, dass Dinge, die dich betreffen, ans Tageslicht kommen.

      Ach, mach mich jetzt mal nicht verrückt, Richter. Wenn das so ist, muss der BStU Dresden damit klarkommen. Hier geht es um mich, meine Gesundheit und meine Familie. Ich wurde 1962 geboren und nicht 1990, als man das MfS abgewickelt hat. Da ich aufgrund der Kinderheimakte nun auch das genaue Geburtsdatum meiner Mutter und meines Vaters kannte, konnte ich nach Vorlage der Sterbeurkunden die entsprechenden Akten beantragen. Am 18.04.2013 erhielt ich folgende Mitteilung: „Mit oben genanntem Antrag haben Sie Zugang zu betreffenden Informationen in Unterlagen zu anderen Personen beantragt. Dies gilt als Antrag eines Dritten im Sinne des § 6 Abs. 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz.“

      Andere Personen sind doch deine Eltern, René.

      Ich weiß, Richter.

      Am 11.06.2014 kam diese Information: „Sie haben Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR beantragt, die möglicherweise zu Ihrer verstorbenen Mutter vorhanden sind. Sie werden in Kürze über Art und Umfang der zu dem Antrag aufgefundenen Unterlagen informiert. Sobald die eventuell vorhandenen Unterlagen für Sie aufbereitet sind, setze ich mich wieder mit Ihnen in Verbindung. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“ Jetzt kommt der Akt am 09.09.2014, der einen schon mit Flashbacks versorgen kann: „Die Recherchen haben ergeben, dass Informationen zu Ihrer Person als Dritter im Sinne des § 6 Abs. 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz vorliegen. Nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 ff. Stasi-Unterlagen-Gesetz haben Sie nur zu dem Teil der Unterlagen