Harrys geträumtes Leben. Hans H. Lösekann

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Название Harrys geträumtes Leben
Автор произведения Hans H. Lösekann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957442116



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und verkrampften Eindruck machte. Melancholisch wurde es, als sie darauf kamen, dass sie morgen Mittag die Ferienwohnung räumen mussten. Bei Harry baute sich Druck auf. Er wollte so gerne fragen, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Er traute sich aber nicht, da er seine Leiche im Keller verbergen musste. Yamalia nahm ihm etwas von dem Druck, als sie wie nebenbei erklärte, sie wolle morgen gleich weiter nach Algier, um sicherzustellen, dass es mit ihrem Studium, jetzt, nach der „Miss-Story“, weitergeht.

      Als sie im Dunkeln, unter dem glitzernden afrikanischen Diamanten-Himmelsgewölbe, Hand in Hand zur Wohnung zurückgingen, waren ihre Empfindungen sehr ambivalent. Da war die Glückseligkeit der vollendet schönen Liebestage und -nächte, da war aber auch die Melancholie des bevorstehenden Abschieds. Bei Harry kam noch das schlechte Gewissen dazu, dass er gezwungen war, seiner Liebsten etwas Wesentliches verschweigen zu müssen.

      Im Bett kuschelten sie sich aneinander und verwöhnten sich gegenseitig mit sanften Zärtlichkeiten. Yamalias Bewegungen wurden verlangender und ungeduldiger. Harry bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen und stöhnte dann mit gewollt komischer Tragik flüsternd in ihr Ohr: „Es tut mir ja so leid, Liebling, aber du hast mich mit deiner Safari leider völlig kampfunfähig gemacht.“

      Yamalia kicherte leise: „Das werden wir ja sehen, ruh dich nur aus, mein kleiner, gequälter Reiter.“ Sie kniete sich über Harry, der wie ein sterbender Schwan auf dem Rücken lag. Ungeheuer sinnlich und ganz langsam fuhren ihre Lippen, ihre Zunge über Harrys Gesicht, seinen Hals, seine Brust, den Bauch, den ganzen Körper. Als die Verwöhnorgie mit Lippen, Zunge und Zähnen bis zu seinem kleinen Zeh vollendet war, knabberte sie zärtlich an seinem linken Ohr und fragte dann flüsternd: „Geht es dir schon besser, mein kleiner Liebling?“

      „Mhmmh …“ Harry konnte nicht antworten. Er platzte beinahe vor Verlangen, genoss aber das Verwöhnspiel unendlich und wollte es verlängern. Yamalia verlagerte ihre Stellung etwas. Sie begann mit den harten Nippeln ihres vollen Busens wollüstige Wunschträume auf sein Gesicht und seinen Körper zu zeichnen. Sie pflügten Gefühlsalleen auf seine nackte Haut. Ihre Zungenspitze malte zärtliche Muster, die überall auf seinem Körper Brandherde hervorriefen. Harry konnte nicht mehr. Er riss sie an sich. Die Nacht explodierte, als er leidenschaftlich in sie eindrang.

      Später, viel später, fragte sie flüsternd, wie er denn so schnell und so restlos seine Reitverletzungen hatte kurieren können. Harry brummte zufrieden, erst einmal gesättigt, etwas Unverständliches. Er ließ sie nicht los. Er hielt sie umklammert, wollte eins sein, wollte eins mit ihr bleiben. Sie schliefen nicht viel in dieser Nacht. Immer wieder flammte die Leidenschaft auf, und wenn sie an Morgen dachten, wurde es zur verzweifelten Leidenschaft.

      Unwirsch wischte Harry über seine Stirn und versuchte, die Fliege zu verscheuchen, die ihn da kitzelte. Aber sie ließ sich nicht verscheuchen. Also öffnete er die Augen und versuchte, wach zu werden. Die Fliege war Yamalia, die ihn mit einer kleinen Feder kitzelte. Sie war bereits fertig angekleidet.

      „Komm, du Schlafmütze, steh auf, wir wollen frühstücken gehen.“

      Brummend ging Harry unter die Dusche und wurde endlich richtig wach. Er fühlte sich wohlig eingebettet von dem Erlebnis einer vollendet schönen Liebesnacht. Darunter kam eine Schicht großer Traurigkeit vor dem nahen Abschied. Still gingen sie die kleine Strecke zu dem Bäcker mit angeschlossenem Bistro. Auch bei ihrem Milchkaffee und den Frühstücksbrötchen redeten sie nicht viel. Harrys Gedankenkarussell drehte sich immer wieder um diese Frage: Wie kann ich ihr die Wahrheit sagen, ohne sie zu verlieren?

      Yamalia, wunderschön, war ganz still und trotz ihres dunklen Teints etwas blass. Ihre Gedanken kreisten ebenso ergebnislos um eine Frage: Wie kann ich, als führendes Mitglied der Freiheitsbewegung, mit ihm, einem Ausländer, von dessen Gesinnung ich nicht wirklich etwas weiß, zusammenbleiben?

      Still sahen sie sich an. Harry ertrank wieder in ihren wunderschönen Augen. Ihre Hände fanden sich und verschränkten sich ineinander. Harry sagte leise: „Die Liebe ist ein seltsames Tier, es fällt uns Menschen an und macht uns an einem Tag tollwütig vor Glück und vielleicht am nächsten Tag abgrundtief traurig vor Kummer.“

      Yamalia lächelte etwas gequält. „Komm, mein kleiner Poet, lass uns gehen.“

      Voller Wehmut packten sie ihre wenigen Reiseutensilien in die Taschen. Still standen sie sich gegenüber, jeder eine Tasche in der Hand, wortlos, lange wortlos. Dann murmelte Harry: „Ich möchte nicht weg.“

      Yamalia sah ihn an. Ihre traurige Miene wandelte sich. Erst langsam, dann blitzartig von Trauer in pure Leidenschaft. Sie ließ ihre Tasche fallen und sprang Harry regelrecht an. „Ich will auch nicht fort. Ich möchte mit dir für immer hier zusammen sein.“

      Harry schleuderte seine Reisetasche fort und nahm sie in die Arme. Sie verloren sich in einem endlosen Kuss. Sie konnten sich nicht loslassen. Jedes Zeitgefühl verlor sich. Sie klammerten sich aneinander, küssten sich, verbissen sich ineinander und murmelten unverständliche Liebesschwüre. Endlich lösten sie sich.

      „Wir müssen die Wohnung räumen, die nächsten Bewohner kommen bald.“

      Harry war ganz leer. Fahrig nahm er seine Tasche auf. Dabei polterte der Revolver auf die Fliesen und der Urlaubsschein segelte ein Stück weiter auf den Boden. Yamalia sah mit starren Augen auf die Waffe. Dann nahm sie den Urlaubsschein auf und las ihn. Ihr Schrei hatte etwas Unmenschliches.

      „Nein, nein, das kann doch nicht sein! Du bist Legionär! Du gehörst zu den schlimmsten Mördern! Du Schwein! Du Verräter! Du hast mich verraten! Nein, nein, das ist so teuflisch. Nein, nein!“ Ihr Blick wurde ganz starr. Abgrundtiefe Verzweiflung flackerte darin auf und dann so etwas wie Irrsinn. Wie eine Furie stürzte sie sich auf den Revolver und richtete ihn auf Harry. „Ich bringe dich um! Du Schwein! Du Verräter! Wie kannst du mir das antun? Krepieren sollst du!“ Tränen liefen über ihr schönes Gesicht. Aber der mörderische, verzweifelte, irre Blick blieb.

      Harry stand ganz still. „Yamalia, wenn du es tun musst, dann erschieß mich. Aber was sollte ich denn tun? Sofort, als ich dich das erste Mal gesehen habe, war ich voller Verlangen nach dir, voller Begierde und dann voller Liebe. Ich hatte nur einen Gedanken, ich wollte dich. Ich wollte dich ganz. Ganz und gar, mit Haut und Haaren. Alles andere war unwichtig, war gar nicht mehr da. Wenn ich dir die Wahrheit gesagt hätte, hätte ich doch nie eine Chance gehabt. Und ich bin kein Feind. Ich kämpfe nicht gegen Algerien. Ich bin auch kein richtiger Legionär. Ich bin nur Praktikant, nur für neun Monate dabei, und in drei Monaten ist Schluss. Dann gehe ich wirklich nach Valencia an die Universität. Dieses Dreivierteljahr Praktikum war meine Eintrittskarte für das Studium. Das hat mir mein spanischer Gönner, der mir den Studienplatz besorgt, quasi zur Bedingung gemacht. Ich fühle mich unendlich elend, unendlich schlecht, abgrundtief verzweifelt, dass ich dich getäuscht habe. Aber ich konnte nicht anders. Ich begehrte dich, ich liebe dich vom ersten Moment an. Und ich liebe dich auch jetzt und mehr denn je, und das wird sich auch nie ändern. Wenn du es also tun musst, dann erschieß mich. Diese drei Tage waren es wert, zu sterben. Ich konnte nicht anders. Ich kann nicht anders. Ich liebe dich.“

      Yamalia sah ihn weiter mit diesem Blick eines weidwunden Tieres an. Voller Seelenpein, Verzweiflung und Schmerz. Der Revolver war immer noch auf Harry gerichtet. Dann senkte sie den Blick, warf den Revolver auf das Sofa und verbarg das Gesicht hinter ihren Händen. Sie taumelte zum Kissensessel, saß ganz still, sagte kein Wort und die Tränen quollen unter ihren Händen hervor.

      Nach einer endlos langen Zeit der Stille und der Verzweiflung versuchte Harry es noch einmal mit rationalen Argumenten. „Der Krieg ist doch praktisch vorbei. Es laufen schon Friedensverhandlungen in Genf. Es werden schon Truppenteile abgezogen. Die Franzosen werden alle gehen, alle gehen müssen. Algerien wird frei sein. Schon bald! Dann können wir uns auch wiedersehen, in Spanien, in Valencia, oder auch in Algier.“

      Yamalia erhob sich wie eine alte Frau. Mit leeren Augen sah sie Harry an. „Nimm deine Sachen, wir müssen gehen. Und sei still!“

      Die Fahrt verlief schweigend, qualvoll schweigend. Über eine Stunde kein Wort. Bei einem Obststand am Straßenrand bremste sie mit den Worten „Ich habe Durst“ ab. Schweigend stiegen sie aus. Yamalia