Harrys geträumtes Leben. Hans H. Lösekann

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Название Harrys geträumtes Leben
Автор произведения Hans H. Lösekann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783957442116



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      Hans H. Lösekann

      HARRYS

       GETRÄUMTES

       LEBEN

      Engelsdorfer Verlag

      Leipzig

      2014

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

       Deutschen Nationalbibliografie;

       detaillierte bibliografische Daten sind im

       Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

      Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

       www.engelsdorfer-verlag.de

       Inhalt

       Cover

       Titel

       Impressum

       Harry sucht seine Orientierung

       Die Fremdenlegion

       Intermezzo zu Hause

       Studium in Valencia

       Der Anwalt

       Argentinien

       Harry sucht seine Orientierung

      Es war schon merkwürdig. Harry versuchte, sich aufzurichten. Es ging nicht. Nur seine Augen huschten umher. Er sah eine ganze Batterie technischer Geräte, die blinkten, teilweise piepsten oder auch nur bedrohlich dastanden. Überall Kabel und Leitungen. Auch er selbst war verkabelt. „Um Gottes willen, wo bin ich nur? In einer anderen Welt? In einem Raumschiff? In der Zukunft?“ Er wusste, es musste Anfang April im Jahr 1961 sein, aber mehr wusste er nicht. Mit aller Kraft, verwirrt und verzweifelt versuchte Harry erneut, sich aufzurichten. Nichts rührte sich. Ein Gefühl von Panik ergriff ihn. Er schrie nach Hilfe. Er versuchte es jedenfalls, aber er hörte selbst nur ein ersticktes Krächzen, das Schmerzen bereitete. Offensichtlich hatte er einen Schlauch oder eine Leitung in Mund und Rachen und wohl auch etwas in der Nase. Er wollte es ertasten, aber seine Hände rührten sich nicht. Angst und Panik nahmen überhand. Verzweifelt versuchte er, sich zu erinnern, wie er in diese Hölle geraten war. In diese technische oder futuristische Hölle. Die traditionelle Hölle, aus den Erzählungen der Kindheit, aus den Märchen oder aus dem Religionsunterricht, konnte es nicht sein. Es gab kein Fegefeuer, keinen Teufel. Aber das war kein Trost. Doch er fand keine Erinnerung.

      In seiner Panik schossen ihm die Gedanken an die echte, an die traditionelle Hölle durch den Kopf, die er ja bei dem Horroraufenthalt in der Gluthitze von Akaba erlebt hatte. An das grauenhafte Anstehen in der Warteschlange vor dem Oberteufel zur Urteilsverkündigung inmitten eines Hagels glühender Kohlebrocken und Schwefelgestank. Dort hatte er eine ähnliche Panik und Angst verspürt. Nachdem er zu 99 Jahren Fegefeuer verurteilt und von den entsetzlich stinkenden Hilfsteufeln fortgezerrt worden war, wachte er allerdings mit einem Schrei des Entsetzens auf. Es war nur ein Albtraum gewesen.

      Aber jetzt war er doch wach. Oder träumte er das auch nur, sogar das Wachsein? Der Schweiß brach ihm aus. Ihm wurde übel, vor Angst, vor Verzweiflung, er würgte, er wollte sich die Leitungen oder Schläuche, oder was zum Teufel es war, aus dem Mund und aus dem Rachen reißen, aber er konnte sich nicht rühren. Unfassbare Angst riss ihn in einen panischen Strudel. Das gibt es doch nicht. Also wach auf! Aber er wachte nicht auf. Es war kein Traum, es war einfach nur grauenhaft. Da, ein neues Geräusch. Es klang, als wenn eine Tür vorsichtig geschlossen wurde, und ja, da waren leise Schritte. Aber er sah nichts, die Geräusche waren in seinem Rücken und er konnte sich nicht bewegen Dann schwebte ein Engel in sein Blickfeld. Der Engel sprach mit ihm.

      „Na, wie schön, unser Patient ist wieder in der Gegenwart angekommen.“

      Es war verwirrend, aber nicht mehr grauenhaft. Harry merkte allmählich, dass der Engel gar keiner war. Es war eine freundliche Krankenschwester in schneeweißer Tracht.

      „Wo bin ich? Was ist passiert?“, wollte er sagen, aber es kam nur ein würgendes Krächzen.

      „Bitte nicht sprechen, bleiben Sie ganz ruhig“, sagte der Engel, der keiner war. „Ich werde Sie erst einmal losbinden, denn jetzt besteht wohl kein Gefahr mehr, dass Sie sich selbst und andere verletzen.“

      Mit ungeheurer Erleichterung bemerkte Harry, dass er sich bewegen konnte. Er konnte den rechten Arm heben, allerdings recht mühsam und auch etwas schmerzhaft. Eine Kanüle steckte in seinem Arm. Die Kanüle war mit einem Tropf verbunden, der schräg hinter ihm stand. Ah, welche Wohltat, jetzt konnte er auch den linken Arm heben. Das ging leichter, keine Kanüle, kein Tropf. Er konnte sich mit dem linken Arm abstützen und den Oberkörper etwas heben. Endlich konnte er an sich selbst heruntersehen. Er trug ein weißes Krankenhaushemd. Der Brustkorb war mit mehreren Saugnäpfen versehen, von denen Kabel zu einer der beängstigenden Maschinen führten. Der Engel, der keiner war, machte sich gerade an seinen Fußgelenken zu schaffen. Gebannt sah Harry zu, wie die breiten Lederriemen, mit denen er festgeschnallt war, gelöst wurden. Fantastisch, auch die Beine konnte er wieder bewegen. Gurgelnd zeigte er auf die Schläuche, die Mund, Rachen, Speiseröhre, Luftröhre und wer weiß, was noch alles, ausfüllten.

      „Da müssen Sie noch etwas warten. Der Arzt wird gleich zu Ihnen kommen, und Sie sicher davon befreien. Erst einmal heiße ich Sie recht herzlich willkommen unter den Lebenden. Das war in den letzten Tagen nicht so ganz sicher. Aber der Doktor wird Ihnen alles erklären. Ich bin Schwester Lore und Sie sind hier auf der Intensivstation des Großen Krankenhauses.“ Schwester Lore, eine sympathische, freundliche Frau, lächelte ihn beruhigend an, dann strich sie ihm sanft die Haare von der Stirn. „Ich sage jetzt dem Doktor Bescheid, er wird gleich bei Ihnen sein.“

      Harry war wieder alleine. Nicht mehr bewegungsunfähig, nicht mehr festgeschnallt, aber immer noch unfähig, sich zu artikulieren. Immer noch angeschlossen an verschiedene Geräte und immer noch ohne Erinnerung. „Wie bin ich bloß hierhergekommen, was ist passiert?“ Da war gar nichts, kein Anhaltspunkt, keine Erinnerung. Wie ein großer dunkler Schatten drückte die Amnesie, oder was es war, auf ihn, drohte, ihn trotz der wiedergewonnenen kleinen Bewegungsfreiheit zu erdrücken. Das war so eine Situation, die ihm Angst machte. Er hatte schon einige ihm Angst machende Situationen in seinem jungen Leben erfahren, aber diese erschien ihm als die absolut bedrohlichste und erdrückendste. Ungewissheit und Hilflosigkeit auszuhalten, das war Harry nicht gegeben, damit konnte er nicht umgehen. Schwester Lore hatte von einigen Tagen gesprochen, in denen es unsicher war, ob er zu den Lebenden zurückkehren würde. Was konnte das bedeuten, was konnte denn bloß mit ihm geschehen sein und warum wusste er so absolut gar nichts? Die dunkle Wand der Ungewissheit und Hilflosigkeit wuchs von Minute zu Minute und wurde immer bedrohlicher. Sie erzeugte Ungeduld und langsam auch Wut. „Verdammt noch mal, wo bleibt denn der Arzt?“, wollte er schreien, aber es kamen wieder nur ein gurgelndes Krächzen und ein stechender Schmerz in seiner Kehle. Also dachte er es nur, immer wieder und immer verbissener. Lore war doch bestimmt