Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr. Albrecht Gralle

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Название Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr
Автор произведения Albrecht Gralle
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783961400850



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Automodelle fuhr, es gab den langsamen, vorsichtigen Maulwurf, und es gab den Dachs. Das war der Chef von allen. Er wohnte im wilden Wald, und wenn es zu wild wurde, weil die Wiesel zu viel herumwuselten, sagte Herr Dachs zu der Ratte und dem Maulwurf: „Ich werde mal wieder eine Botschaft aussenden, damit im Wald Ruhe einkehrt.“

      Gegen den Dachs kam niemand an. Er war es auch, der den Kröterich zur Besinnung brachte, aber nur für kurze Zeit. Die Angeberei konnte man ihm nicht austreiben.

      Jedenfalls, ich fand es plötzlich großartig, dass ein Dachs bei uns wohnen sollte. Ich wollte ihn unbedingt sehen.

      „Und … und was passiert, wenn der Dachs in die Mausefalle tritt?“, fragte ich.

      „Der Dachs?“ Mein Bruder wischte meine Sorgen mit einer Handbewegung weg. „Der Dachs lacht nur über Mausefallen. Wenn er aus Versehen in eine hineintappt, beißt er mit seinen Zähnen das Ding durch.“

      Ich war beruhigt und hätte es mir auch nicht anders vorstellen können.

      „Ich weiß schon, René, warum du den Dachs magst“, sagte meine Mutter. „Du denkst an die Geschichten von der Ratte, dem Maulwurf und dem Kröterich, stimmt’s?“

      Ich nickte, weil ich den Mund voll hatte.

      „Trotzdem fände ich es nicht schön, wenn ein Dachs hier wäre. So ein Tier gehört doch in den Wald.“

      Sven stand auf. „Das sollten wir ihm mal sagen. Aber vielleicht sind es ja Mäuse. Oder wir schaffen uns eine Katze an.“

      „Nein! Keine Haustiere“, sagte meine Mutter. „Mir reichen drei Kinder und ein alter Mann.“

      Diesmal war Opa nicht zum Frühstück erschienen. Und ich musste zur ersten Stunde, oder als vollständiger Satz: Ich musste zur ersten Stunde gehen.

      Komisch. Obwohl Opa erst zwei Tage da war, hatte ich das Gefühl, dass immer etwas Aufregendes passierte, wenn er auftauchte.

      „Oh nein!“, rief meine Mutter plötzlich.

      „Was ist denn?“

      Sie raschelte mit der Zeitung. „Sonst dauert es manchmal Wochen, bevor sie eine Nachricht in die Zeitung setzen, aber der Leserbrief von Opa ist schon drin.“

      „Was schreibt er denn so?“

      Sie antwortete nicht, sondern las: „Als eifriger Zeitungsleser, der erst vor kurzem hierhergezogen ist, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass in dem Artikel über das neue Straßencafé das Wort sitzen falsch gebraucht wurde. Es heißt nicht: Herr X ist auf seinem Stammplatz gesessen, sondern Herr X hat auf seinem Stammplatz gesessen. Ist gesessen wird zwar im süddeutschen Raum ab und zu gebraucht, ist aber falsch, genauso wie die bescheuerte Manie, das Genitiv-S im Deutschen mit einem Apostroph abzutrennen. Wir sind schließlich nicht in England! Werden Zeitungsartikel heutzutage überhaupt noch korrigiert? Falls Sie jemanden brauchen, der das gegen ein geringfügiges Taschengeld für Sie erledigt, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.“

      „Das klingt, als ob Opa früher mal Lehrer gewesen wäre“, meinte ich.

      „Ich glaube, er wäre gerne Lehrer geworden“, sagte meine Mutter, blickte auf die Uhr und rief in den Flur: „Anna! Wo steckst du denn? Frühstück!“

       5

      Wir waren alle überrascht, als Opa sagte, er würde am Sonntag mit uns zum Gottesdienst gehen. Meine Mutter schien hin- und hergerissen zu sein. Einerseits freute sie sich, andererseits fürchtete sie sich davor, dass Opa sich total danebenbenehmen würde.

      „Wie kommt es denn, dass du mit uns zum Gottesdienst gehen willst?“, fragte sie vorsichtig beim Frühstück. „Du bist doch sonst bei den frommen Sachen eher zurückhaltend …“

      „Ich bin eben noch nicht völlig verkalkt und durchaus bereit, Neues aufzunehmen. Außerdem kenne ich die Baptisten bisher nur aus dem Fernsehen und wollte mir mal ein eigenes Bild machen.“

      „Ich wusste gar nicht, dass die Baptisten sooft im Fernsehen vorkommen.“

      „Doch, doch. Zum Beispiel kam mal so eine Zeichentrickserie im Fernsehen, bei der die Figuren alle gelbe Gesichter haben und die Mutter mit so einer blauen Turmfrisur durch die Gegend läuft, die machten mit ihrer Kirche einen Ausflug ins Grüne. Ziemlich witzig.“

      „Die Simpsons“, rief ich.

      „Kann sein. Und George Clooney spielte mal einen ausgebrochenen Häftling. Auf seiner Flucht kamen er und seine Freunde an einem Fluss vorbei, wo Baptisten eine Taufe abgehalten haben. Der Film war sehr schräg.“

      „Oh brother, where art thou“, sagte Sven. „Ein Kultfilm von den Coenbrüdern. Der Film ist echt der Hammer. Aber ganz so schräg geht es in unserer Kirche nicht zu. Übrigens gibt es auch eine abgefahrene Kirchenszene bei den Bluesbrothers …“

      „Jedenfalls“, unterbrach ihn Opa, „wollte ich mir den Laden mal anschauen.“

      „Willkommen, Papa!“, sagte Mama. „Aber ich bitte dich, dass du dich zusammenreißt und nicht irgendwelchen Blödsinn machst. Sei zurückhaltend und … und schau dir alles an.“

      „Na, na, Annika“, meinte Opa. „Keine Panik. Ich werde euch schon nicht blamieren. Man sollte aber auch seine Gesinnung nicht verleugnen. Übrigens schmeckt der Kaffee diesmal verdammt gut, nur die Brötchen sind etwas hart.“

      Um zwanzig vor zehn saßen wir alle in Opas Auto und fuhren los.

      „Fährst du immer fast in der Mitte der Straße?“, fragte Sven.

      „Ja, wenn es leer ist“, brummte Opa. „So kann ich sicher sein, dass ich nicht den Bordstein streife.“

      „Hm“, meinte Mama. „Ich glaube, wir müssen mit dir mal zum Augenarzt.“

      Darauf sagte Opa nichts und fuhr ein paar Zentimeter weiter nach rechts.

      Unsere Kirche sieht eigentlich nicht so richtig wie eine Kirche aus mit Kirchenschiff und einem hohen Glockenturm. Klar, am Giebel ist ein kleines Steinkreuz befestigt, das schon, aber sonst ist sie eher modern gebaut, und die bunten Glasfenster gehen nach hinten raus auf den Parkplatz, weil es da Osten ist und die Sonne dann durch die Fenster scheint.

      Anfangs fanden das alle gut, aber jetzt, mit der ganzen Technik und dem Beamer, der die Liedtexte an die Wand wirft, mussten wir Rollos befestigen, damit es nicht zu hell wurde.

      Bei uns gibt es keine Kirchenbänke, sondern Polsterstühle. Es steht ein Altartisch vorne, der meistens mit Blumen geschmückt ist, und daneben die Kanzel auf der einen und das Klavier auf der anderen Seite.

      Ich war mal mit einem Freund in einer richtigen alten Kirche und war erstaunt, dass die Leute vor dem Gottesdienst alle total ruhig waren und besinnlich vor sich hin geschaut haben. Das ist bei uns anders. Es ist eher wie in einem Bienenstock, wo es summt und brummt, und erst, wenn dann das Klavier zu einem Vorspiel einsetzt, beruhigen sich die Leute allmählich. Einmal musste der Pastor aufstehen und sagen, dass die Gespräche aufhören sollten, weil man von der Musik kaum etwas hörte.

      Das könnte aber auch an Karin gelegen haben, die noch nicht so gut Klavier spielen kann.

      Ich konnte mit den Gottesdiensten bei uns nicht viel anfangen und fand sie meistens langweilig, obwohl sich alle immer viel Mühe gaben. Gut, manche Lieder sang ich gerne mit, und bei der Predigt gefielen mir besonders die Geschichten, die darin vorkamen. Hinterher traf ich mich oft mit ein paar Freunden, und wir spielten Tischfußball im Keller.

      Als wir kamen, wurden wir natürlich gleich am Eingang begrüßt, und Opa sagte mehrmals, dass er der Vater von Annika sei, und der Typ am Eingang fand es total spannend, den Vater meiner Mutter kennenzulernen, und er meinte auch, eine gewisse Ähnlichkeit im Gesicht zwischen den beiden zu erkennen.

      Meine Mutter verteilte das erzwungene Lächeln Nummer zwei und steuerte auf Sitzplätze im ersten Drittel zu.

      „Wo