Название | Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr |
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Автор произведения | Albrecht Gralle |
Жанр | Религия: прочее |
Серия | |
Издательство | Религия: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961400850 |
Wir aßen schweigend, bis Großvater sich herabließ und das Essen kommentierte: „Die Kartoffeln sind zu mehlig.“
Beim Nachtisch, einem Apfelkompott, befasste er sich eingehender mit uns Kindern.
„Also, Sven. Was macht die Uni?“
„Hm“, überlegte er, „ich bin noch mit den Sprachen beschäftigt, Hebräisch und Griechisch, und mach was in Kirchengeschichte. Außerdem höre ich eine Einleitung zu den biblischen Fächern. Dann gibt es noch ein Seminar über Philosophie …“
„Sven ist stinkfaul“, sagte Anna, „aber schlau. Der kriegt ohne Lernen gute Noten. Das find ich gemein.“
„Stimmt“, nickte Sven. „Warum soll ich lernen, wenn man die Sachen von Anfang an kapiert?“
„Und du bist also das fleißige Lieschen?“, fragte Elias Anna.
„Nein, ich heiße Anna. Ich kapier die Sachen jedenfalls nicht gleich und muss das üben. Aber die meisten Wörter kann ich fast schon lesen …“
„Ja“, sagte ich. „Aaaaalllleeee meeeiiiine Eeeentchchchcheeen.“
„Blödmann! Wir lernen gleich ganze Wörter und nicht so doofe Buchstaben. Haustür kann ich schon auf einen Schlag lesen.“
„Und deine Lieblingsfächer?“
„Erdkunde. Und später will ich unbedingt Französisch lernen. Englisch kriegen wir dann sowieso.“
„Französisch kann ich auch noch“, meinte unser Großvater.
„Wirklich?“
„Ja, ich war im Krieg in Frankreich. Da lernt man das zwangsläufig. J‘espère que nous allons vivre bien ensemble.“
„Ich hoffe, dass wir … ähm …“, fing Sven an.
„… gut zusammenleben werden“, fuhr Opa fort.
Dann fragte Sven mit seiner freundlichsten Stimme: „Stimmt es, dass du bei der Lufthansa warst, Opa?“
„Ja.“
„Könntest du uns nicht einen Flug besorgen und …“
„Sven!“ Der strafende Blick meiner Mutter.
Opa richtete sich auf: „Ach so! Jetzt kapier ich’s, Annika! Hab mich schon gewundert, wie du die Kinder überredet hast, mich aufzunehmen. Du hast sie mit möglichen Flügen geködert, damit sie den Alten ertragen.“ Er stieß mit seinem Stock, der an der Wand gelehnt hatte, kurz auf, dass wir zusammenzuckten.
„Aber da habt ihr euch geschnitten. Aus Billigflügen wird nichts.“
Meine Mutter kniff ihren Mund zusammen und sagte: „Also Papa! Ich hab die Kinder mit nichts geködert. Das mit den Flügen war einfach eine Idee von Sven. Jungs sind nun mal so, dass sie alles Technische …“
Elias fuhr mit seiner Hand durch die Luft. „Erledigt, ich weiß Bescheid!“
Dann richtete sich sein Blick auf mich.
„Und du, René?“
Ich blickte auf. „Ich?“
„Ja, du. Du bist doch ziemlich patent und hast es bestimmt faustdick hinter den Ohren.“
Patent kannte ich nicht, ein seltsames Wort. Es hörte sich an, als ob man es in eine Schachtel legen konnte. Und was sollte Faustdick hinter den Ohren bedeuten?
„Ja“, sagte Sven, „er wäscht sich nicht gerne hinter den Ohren.“
Großvater Elias beachtete die Zwischenbemerkung nicht und fuhr fort: „Und wie läuft die Schule?“
Ich zuckte die Schultern. „Na ja, es geht.“
„René ist seit einem Jahr im Gymnasium“, sagte meine Mutter. „Im Uhland-Gymnasium.“
„Hoffentlich bleibt er dabei“, sagte Sven.
„Warum? Ist er nicht so intelligent wie du?“
„Das ist das Problem“, nickte Sven.
„Aber ich hab in Religion und in Musik eine Eins“, verteidigte ich mich.
„Das sind ja zentrale Fächer!“ Großvater hustete. Oder lachte er? Ich merkte, dass er vorher geraucht hatte, weil ich neben ihm saß.
„Und ich kann schon kleine Geschichten schreiben“, sagte ich schnell, „und ich habe ein Gedächtnis wie ein Tesafilm.“
„Aha“, brummte Großvater. „Kannst mir ja die eine oder andere Geschichte mal vorlesen. Kennst du Hermann Hesse?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Und ihr?“ Großvater blickte in die Runde.
Sven hatte den Kopf gesenkt, aber ich wusste, dass er mit seinem neuen Handy im Internet war und den Namen eingegeben hatte.
Plötzlich blickte er auf und sagte: „Hermann Hesse war ja ein deutscher Schriftsteller, 1877 in Calw geboren, Literaturnobelpreis 1946.“
„Donnerwetter!“, rief Opa Elias. „Schlaues Bürschchen …“
„Na ja“, meinte Sven, „man tut, was man kann.“
Großvater schwieg und griff in seine Westentasche. Wir schauten uns an und überlegten, was jetzt wohl kam.
„Schlaues Bürschchen“, wiederholte Anna kichernd.
Schließlich förderte er einen zerknitterten Zeitungsausschnitt zutage und sagte: „Übrigens, ich sammle schon seit Jahren merkwürdige Nachrichten.“
„Ja, ich weiß, Papa.“ Meine Mutter klang so, als habe sie das befürchtet.
Opas Stimme wurde lebhafter, als er weiterredete: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was alles auf der Welt passiert. Die absurdesten Sachen. Ich gebe euch mal eine Kostprobe.“
Er strich das Papier glatt, zog seine Lesebrille aus seiner Brusttasche, setzte sie sich umständlich auf und las, während es irgendwo leise klapperte. Meine Mutter sagte mir später, das sei sein Gebiss, das nicht richtig festsaß.
„Friedrichshafen, zweiundzwanzigster März. Überschrift: Klassenarbeiten im Abfalleimer. Wie der Redaktion zugetragen wurde, befanden sich die korrigierten Arbeiten der Klasse 7 C des Hindenburggymnasiums nicht in der Schule, sondern in einer Mülltonne. Folgendes war geschehen: Einer der Lehrer, der auf dem Weg zum Unterricht war, hatte von seiner Frau den Müllbeutel in die Hand gedrückt bekommen, um ihn an der Straße zu entsorgen. Noch ganz in Gedanken, entsorgte er aber stattdessen die Aktentasche in der Mülltonne und kam mit dem Abfallbeutel in der Schule an. Durch das beherzte Eingreifen einiger Schüler der Klasse 7 C wurde die Tasche in der Mülltonne entdeckt und dem rechtmäßigen Besitzer ausgehändigt. Der Fall war das Tagesgespräch der Schule. Der Direktor versicherte unserer Zeitung, dass es ein einmaliger Fall von Verwechslung war und der Kollege ansonsten korrekt seine Arbeit ausführe.
Na? Was haltet ihr davon?“
Wir hatten schon während des Artikels gegluckst und gelacht.
„Hast du noch mehr Artikel von der Art?“
„Oh ja. Er hat mindestens vier oder fünf Leitzordner voll“, sagte meine Mutter.
„Sechs“, verbesserte Opa. „Jetzt bin ich aber müde und muss mich etwas hinlegen. Tut mir leid, dass ich in der Küche nicht helfen kann.“
„Tut es dir wirklich leid?“, fragte Sven.
„Ein bisschen.“ Er stand auf. „Jedenfalls, das sehe ich schon, werden wir interessante Gespräche führen. Und wundert euch nicht, wenn ich gelegentlich auf meiner Schreibmaschine tippe.“
Er wartete nicht ab, was wir dazu meinten, und humpelte davon.