Führung - Bildung - Gesundheit. Robin J. Malloy

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Название Führung - Bildung - Gesundheit
Автор произведения Robin J. Malloy
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783942064088



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2003). Hier kann eine Auseinandersetzung mit neuen Deutungsmustern, beispielsweise in einem Beratungsgespräch oder einem Lehr-/​Lernkontext hilfreich sein. Durch das Angebot neuer, adäquaterer Deutungsmuster kann eine biografische Kontinuität wiedergewonnen werden.

      Die Veränderung von Deutungsmustern kann durch eine krisenhafte Situation, in der die eigenen Deutungsmuster hinterfragt oder konfrontiert werden, erfolgen. Ein schädigendes Ereignis, hervorgerufen durch ein disfunktionales Deutungsmuster – wie z. B. ein Unglück oder ein Überfall – könnte zu solch einer Veränderung/​Transformation der Deutungsmuster führen. Eine weniger dramatische Möglichkeit der Deutungsmustertransformation ist die der kommunikativen Vermittlung von Deutungsmustern. Nach Arnold (2003) geht es bei der Kommunikation von neuen Deutungsmustern – beispielsweise in einem Beratungsgespräch oder in einem Lehr-/​Lernkontext – niemals darum, diese Deutungsmuster im Sinne von normativen Lebensentwürfen „überzustülpen“, sondern die selbstwirksamen Kräfte zu mobilisieren (vgl. auch Vester 1988), um die eigenen Deutungsmuster zu reflektieren und sich ggf. neue Deutungsmuster anzueignen, die die jeweilige Situation plausibel machen und neue Perspektiven anbieten.

      Wenn wir an dieser Stelle auf das Belastungs-Beanspruchungs-Modell zurückgreifen, würde dies bedeuten, dass psychische und körperliche Beeinträchtigungen und Erkrankungen auf dysfunktionale Deutungsmuster zurückgeführt werden können. Die kognitive Bewertung einer Situation oder seiner selbst beruht auf den Deutungsmustern. Ist es nicht möglich, aufgrund der vorhandenen Deutungsmuster eine psychische Belastung zu bewältigen, kann dies zu einer psychischen Beeinträchtigung wie z. B. Stress oder Ermüdung führen. Besonders belastende Ereignisse wie Krisen oder andere können jedoch auch die Chance beinhalten, die sich als dysfunktional erwiesenen Deutungsmuster zu transformieren.

       Vom Deutungsmusteransatz zum Konzept des Deutungslernens von Schüßler

      Noch einmal zurückgreifend auf die Erläuterungen Oevermanns stehen Deutungsmuster immer in einem engen Zusammenhang mit zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation:

      „Soziale Deutungsmuster sind intersubjektiv kommunizierbare und verbindliche Antworten auf objektive Probleme des Handelns“ (Oevermann 1973, S. 12).

      Auch nach Arnold und Schüßler sind Deutungsmuster ein Produkt lebenslanger, zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation, sie werden durch die Sozialisation in sozialen Gruppen „tradiert“ und im Verlauf des Lebens in Interaktionen auf „Viabilität“ geprüft:

      „In Interaktionen werden diese Interpretationen hinsichtlich ihrer inneren Stimmigkeit und Funktionalität überprüft und zu Deutungsmustern generiert, die durch ihren kollektiven Sinngehalt Verständigung ermöglichen“ (Schüßler 1998, S. 90).

      Die Interaktion wird somit zu einer Interpretation des Selbst, des Gegenübers, der Umwelt sowie einer Reflexion dieser Interpretation. Schüßler bezeichnet die Interaktion als einen „interpretativen Prozess“ (ebenda, S. 90), in dem die Interagierenden wechselseitig die Handlungen und Aussagen interpretieren und diese Interpretationen den jeweils nächsten Handlungsschritt bestimmen. Diese Interaktions- und Interpretationsleistung auf der Grundlage der Deutungsmuster konstituiert erst die soziale Wirklichkeit. Dieser interpretative Prozess vollzieht sich nach Schüßler jedoch grundsätzlich in jeder Alltagssituation und wird gerade hierin selten bewusst erlebt, sondern vollzieht sich automatisch. Diese automatische und unbewusste Interpretation führt dann dazu, dass die Wirklichkeit als gegeben und unveränderbar und nicht etwa als Konstrukt wahrgenommen wird.

      Dieser interpretative Prozess nach Schüßler – oder anders: dieses interpretative Paradigma (Interaktions- und Interpretationsleistungen konstituieren die soziale Wirklichkeit und sind in veränderten Handlungskontexten selbst einer Überarbeitung unterworfen) – basiert auf den drei Prämissen des symbolischen Interaktionismus von Blumer (1973), welche hier frei wiedergegeben werden sollen:

      1 Menschen handeln gegenüber Dingen auf der Grundlage der Bedeutungen, welche sie für diese Dinge haben.

      2 Die Bedeutung solcher Dinge entsteht aus der sozialen Interaktion mit Mitmenschen oder wird von ihr abgeleitet.

      3 Bedeutungen werden in einem interpretativen Prozess (in der Auseinandersetzung mit der Umwelt) benutzt, gehandhabt und geändert (vgl. Blumer 1973, S. 81).

      Hieran wird erkennbar, dass diese als Deutungsmuster, Deutung oder Bedeutung bezeichneten präexistenten Strukturen immer durch Interaktion entstehen und durch Interaktion weiterentwickelt werden. Gerade hier setzt das Konzept des Deutungslernens an. Bei einem Lehr/​Lernkontext handelt es sich um eine Interaktion, also wird auch ein Lehr-/​Lernkontext von den Deutungen bestimmt, die alle Beteiligten an der Interaktion besitzen. D. h. auch in einem Lehr-/​Lernkontext wird sowohl der Lehrende als auch der Lernende das Gegenüber, den Lehrinhalt sowie den Lernkontext interpretieren und somit die „Lehr-/​Lernwirklichkeit“ mitkonstruieren. Schüßler (1998, S. 91) fasst diesen Interpretationsprozess im Lehr-/​Lernkontext wie folgt zusammen:

      „Für den Lernprozess heißt das, dass der Lehrende und die Lernenden erst durch zirkuläre Kommunikations- und Interaktionsprozesse die Wirklichkeit im Lehr-/​Lern-Prozess entwerfen und mithin – wenn auch unbewusst – das beeinflussen, was gelernt wird.“

       Abbildung 3:

      Deutungen im Interaktionsprozess

      Abbildung 3 verdeutlicht diesen Interaktionsprozess: Die Pfeile stellen die jeweilige Interpretation/​Deutung dar. Der Lernende interpretiert den Lehrinhalt, den Lehrenden sowie den Lernkontext auf der Grundlage seiner vorhandenen Deutungsmuster. Gleiches gilt für den Lehrenden. Somit wird der Lehr-/​Lernprozess zu einem zirkulären Interaktions- und Interpretationsprozess, zu einer sozialen Konstruktion der Wirklichkeit.

      Schüßler (1998, S. 91) schlüsselt diesen Lehr-/​Lernkontext in drei Dimensionen auf, in denen dieser Deutungsprozess gerade im Kontext der Erwachsenenbildung eine große Rolle spielt:

      1. Dimension: Didaktische Planung

       Der Lehrende entwirft auf der Grundlage seiner Deutungsmuster ein Bild der zukünftigen Teilnehmer.

       Im Erstkontakt wird das Handeln nach diesem Bild ausgerichtet.

       Das Erlebte im Seminar wird nach Stimmigkeit und Plausibilität mit den Deutungsmustern abgeglichen und findet Bestätigung.

       Diese Deutungen bestimmen die weitere didaktische Planung und schaffen soziale Sachverhalte, welche wiederum Grundlage weiterer Interpretations- und Handlungsentscheidungen sind.

       Die auf den Deutungsmustern des Lehrenden basierenden Plausibilitätskriterien entscheiden darüber, welche Inhalte angeboten und in welcher Form präsentiert werden.

      In Bezug auf die Dimension „Didaktische Planung“ stellt das Konzept des Deutungslernens die Prämisse auf, dass das Lernen davon abhängt, „inwieweit in der didaktischen Planung dem interpretativen Charakter von Lehr-Lernvorgängen Rechnung getragen wird“ (Schüßler 1998, S. 93).

      2. Dimension: Prozessgeschehen

       Teilnehmer bringen bestimmte lebensgeschichtliche Wertvorstellungen, Handlungsorientierungen und Interpretationsmuster (Deutungsmuster) in den Lehr-/​Lernprozess mit ein. Diese Deutungsmuster werden bei der Verarbeitung des Seminars aktiviert.

       Auch der Lehrende verfügt sowohl über biografisch als auch professionell erworbene Deutungsmuster, welche sein pädagogisches Handeln prägen und Interventionen bestimmen. Da eine spontane Reflexion des Prozessgeschehens nicht