Der Hüter der Sphären. Chris Vandoni

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Название Der Hüter der Sphären
Автор произведения Chris Vandoni
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783939043737



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keine Ruhe mehr. Die Hinweise auf diese geheimnisvollen Prozessoren, die angeblich alles in den Schatten stellten, was der Mensch bisher je produziert hatte, und vor allem die Nanopartikel, aus denen diese Prozessoren hergestellt wurden, hatten ihre Neugier geweckt und ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Diese Partikel zu studieren und deren Funktionsweise zu ergründen wäre für sie das Bedeutungsvollste, was sie in ihrer beruflichen Laufbahn je getan hätte. Doch bisher hatte sie den Mut nicht aufgebracht, weitere codierte Dateinamen zu knacken und nach den entsprechenden Dokumenten zu suchen, obwohl sie davon überzeugt war, dass noch mehr Beschreibungen über diese Partikel existierten mussten.

      Nach einigen Tagen übermannte sie die Neugier. Sie entschloss sich, in der Datenbank nach weiteren Dokumenten zu suchen. Doch sie wollte das Risiko einer Entdeckung so klein wie möglich halten. Zudem musste sie aufpassen, dass Jerry nicht versehentlich etwas bemerkte. Sie wollte ihn bei einer eventuellen Entdeckung nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.

      Zurzeit herrschte in der Öffentlichkeit große Unsicherheit wegen der geheimnisvollen Kugeln, die vor ein paar Tagen am Himmel erschienen waren. Einige Mitarbeiter ihrer Firma kamen aus Angst nicht mehr zur Arbeit, sodass auch der Geschäftsbetrieb davon betroffen war. Dieser Umstand konnte das Risiko einer Entdeckung verringern.

      Anfänglich hatte Kim für diese Kugeln kein großes Interesse gezeigt. Sie hatte nicht verstehen können, dass die Leute darüber ein so großes Aufsehen machten und manche sogar Angst davor hatten. Sie hatte geglaubt, es handle sich nur um Propaganda der Irdischen Weltraumbehörde. Doch mittlerweile war die Anzahl ins unermessliche gestiegen, sodass auch sie sich fragte, was sich da oben abspielte.

      Als sie an diesem Morgen das Büro betrat, musste sie sich beherrschen, sich von ihrer Nervosität nichts anmerken zu lassen. Sie besorgte sich den üblichen schwarzen Kaffee und schlenderte gemächlich zu ihrem Arbeitsplatz.

      »Gut geschlafen?« Die Stimme, die aus dem Nichts hinter ihr erklungen war, versetzte ihr einen derartigen Schrecken, dass sie heftig zusammenfuhr und den Kaffee auf ihre Bluse verschüttete.

      »Himmel noch mal!«, rief sie verärgert. »Schleich dich nicht so von hinten an mich heran.«

      Obwohl sie versuchte, ihrer Stimme einen resoluten Unterton zu verleihen, hätte sie sich beinahe verschluckt.

      »Entschuldige bitte«, erwiderte Jerry unbeholfen und schuldbewusst. »Das wollte ich nicht.«

      Sie stellte den nur noch halbvollen Kunststoffbecher auf den erstbesten Tisch, schaute an sich herunter und schüttelte die warme Flüssigkeit von ihrer Hand. »Sieh dir nur meine Bluse an.«

      »Tut mir leid. Kann ich dir helfen?«

      »Wobei denn? Ich verschwinde kurz in der Toilette und versuche zu retten, was noch zu retten ist.«

      »Sag einfach, wenn ich etwas für dich tun kann.«

      Sie drehte sich wortlos um und verschwand in Richtung Ausgang. Sie war sich im Klaren darüber, dass sich Jerry nun ein schlechtes Gewissen machte und ihr den ganzen Tag auf die Pelle rücken würde, um irgendetwas zu tun, was sein Gewissen beruhigte. Dies passte ihr überhaupt nicht in den Kram. Bei dem, was sie vorhatte, musste sie ungestört sein. Sie musste sich etwas einfallen lassen, ihn auf Distanz zu halten, ohne ihn zu vergraulen oder argwöhnisch zu machen. Aber es fiel ihr nichts ein. Sie würde in den entsprechenden Situationen improvisieren müssen.

      Als sie zehn Minuten später zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehrte, saß Jerry vor seinem Terminal und schien zu arbeiten. Sie setzte sich an ihren Tisch und bemerkte den vollen, dampfenden Becher mit frischem Kaffee, der genau in der Mitte vor ihr auf dem Glasdisplay stand, daneben ein kleines Stück Schokolade.

      »Danke, Jerry.«

      »Nichts zu danken, war das Mindeste, was ich für dich tun konnte.«

      Kim holte ihre Pendenzenliste in ein Displayfenster und tat, als würde sie die Aufgaben studieren. Doch sie war unfähig, sich darauf zu konzentrieren. Eigentlich musste sie an der Codierung eines Standardmoduls arbeiten. Aber sie war in ihrem Zeitplan derart weit voraus, dass sie es sich erlauben konnte, zwischendurch andere Dinge zu erledigen. Trotzdem wartete Kim mit ihrem Vorhaben, da sie damit rechnete, dass Jerry versuchen würde, ihr einen weiteren Gefallen zu tun, und dabei unverhofft bei ihr aufkreuzen könnte.

      Sein Arbeitsplatz befand sich von ihr aus gesehen etwa fünf Meter entfernt auf der rechten Seite. Zudem wandte er ihr bei seiner Arbeit am Terminal den Rücken zu. Dadurch konnte sie praktisch unbeobachtet arbeiten. Doch wenn er den Büroraum verlassen oder betreten wollte, musste er zwangsläufig an ihrem Tisch vorbei und hatte dabei freie Sicht auf ihr gesamtes Display. Sie musste also vorsichtig sein.

      Der Vormittag verstrich ereignislos. Jerry ließ sie mehr oder weniger in Ruhe. Wenn er sie etwas fragte, gab sie sich große Mühe, möglichst nett, um es jedoch nicht verdächtig aussehen zu lassen, nicht zu übertrieben freundlich zu antworten, um seine Schuldgefühle schnell abzubauen. Das gelang ihr ziemlich gut.

      Nachdem sich Jerry in die Mittagspause verabschiedet hatte, kramte Kim ihren Lunch aus der Tasche und legte ihn auf die Glasplatte. Sie verbrachte die Mittagspausen meistens am Arbeitsplatz. Jerry hatte es längst aufgegeben, sie dazu zu überreden, ihn zum Essen zu begleiten.

      Kaum war sie alleine, startete sie auf ihrem Kommunikator ihr eigenes Dechiffrierprogramm, tippte manuell einen weiteren verschlüsselten Code ein und startete das Programm. Dann öffnete sie den Kunststoffbehälter, entnahm ihm ihren Lunch und begann zu essen.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr Programm das gewünschte Resultat geliefert hatte. Während dieser Zeit achtete sie besonders aufmerksam darauf, ob jemand den Büroraum betrat. Es war auch schon vorgekommen, dass Jerry früher als erwartet aus der Mittagspause zurückgekehrt war.

      Sie speicherte das Ergebnis auf ihrem Kommunikator und tippte den nächsten Code ein. Das Warten begann von neuem. Bei jedem Dokument hatte sie den Eindruck, es würde noch länger dauern. Innerlich aufgewühlt schielte sie immer wieder zum Eingang des Büroraumes.

      Eine halbe Stunde später tippte sie den letzten Code ein und startete das Programm erneut.

      Dann war der letzte Code geknackt. Nun konnte sie mit den entschlüsselten Dateinamen in der Datenbank nach den Dokumenten suchen. Wie schon beim ersten Mal tippte sie den entschlüsselten Text manuell in das entsprechende Feld auf ihrem Display ein und startete die Suche.

      Es dauerte nicht lange, bis das Ergebnis erschien. Sie kopierte das Dokument in eine persönliche Ablage, stellte anschließend eine kabellose Verbindung zu ihrem Kommunikator her und leitete es auf ihr Gerät. Sofort unterbrach sie die Verbindung wieder und wiederholte die Prozedur mit den folgenden Dokumenten.

      »Hallo, Kim«, erklang Jerrys Stimme aus heiterem Himmel.

      Sie erschrak derart, dass sie zusammenzuckte, zu ihm aufblickte und sich mit dem Stuhl zu ihm drehte.

      »Oh, entschuldige«, sagte er und hob seine Hände. »Anscheinend habe ich dich schon wieder erschreckt. Du scheinst heute ziemlich schreckhaft zu sein.«

      »Du schleichst dich aber auch jedes Mal an«, erwiderte sie gereizt. Doch dann bemerkte sie, dass er erstaunt und zugleich verlegen in ihren Ausschnitt starrte. Da fiel ihr ein, dass sie vormittags, als sie in der Toilette ihre Bluse vom verschütteten Kaffee gereinigt hatte, den zweitobersten Knopf nicht geschlossen hatte, damit das Kleidungsstück besser trocknen konnte. Da er unmittelbar neben ihr stand, bot ihm ihre Sitzposition den besten Einblick. Zusätzlich hatte sie festgestellt, dass er bisher noch keinen Blick auf ihr Tischdisplay geworfen hatte. Also lächelte sie ihm zu und lehnte sich noch ein bisschen mehr nach vorn.

      »Du bist schon zurück?«

      »Was heißt schon?«, antwortete er. »Die Zeit ist um.«

      Ein kurzer Seitenblick auf ihren Kommunikator zeigte ihr, dass bereits eine Stunde vergangen war, seit sie mit der Entschlüsselung begonnen hatte.

      »Ach, tatsächlich. Wie die Zeit vergeht.«

      »Kann ich etwas für dich tun?«

      Kim