Verschollen in Ostfriesland. Ulrich Hefner

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Название Verschollen in Ostfriesland
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839270066



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Ruder frei?«

      Lentje hob ihr Handy in die Höhe und fotografierte die Blutlache, die sich an Deck unmittelbar neben dem Mast befand.

      »Wir haben schon Bilder gemacht«, sagte Krog.

      Lentje nickte.

      »Das ist mindestens ein halber Liter Blut«, bemerkte Krog.

      Lentje hielt sich an der Reling fest und stellte den Fuß auf den oberen Rand des Kabinendachs. »Er könnte hier gestanden haben, als der Baum umschlug. Er stürzt auf die Planken …«

      »… und bleibt am Relingdurchstieg liegen. Das Boot ist führerlos und neigt sich, weil es quer zum Wind kommt, dann rutscht er ins Wasser – und aus die Maus.«

      Lentje fuhr sich über das Kinn. »So könnte es gewesen sein.«

      »Ja, so könnte es gewesen sein«, bestätigte Krog. »Mich wundert nur, dass wir am Baum keine Spuren finden. Außerdem hatte er kaum Sprit für den Motor im Tank, und Vorräte sind auch keine an Bord. Wenn er tatsächlich vor drei Tagen gestartet ist, dann hätte man das Boot früher aufbringen müssen, denn dort draußen ist die Fahrrinne, und da fahren jeden Tag 30 bis 40 Schiffe lang.«

      »Er muss vor drei Tagen gestartet sein«, stellte Lentje klar. »Die Jacht lag am Sonntag noch am Pier, und am Montag war sie weg, sagt der Hafenmeister von Neßmersiel. Niemand hat ihn gesehen, als er auslief, aber er hatte einen Schlüssel zum Jachthafen und hätte auch mitten in der Nacht aufbrechen können.«

      Krog schüttelte den Kopf. »Frühestens um 4 Uhr mit der Flut, zuvor hätte er das Boot durchs Watt tragen müssen.«

      »Um 4 Uhr, da ist es ja noch stockdunkel«, entgegnete Lentje.

      »Die Fischer mit ihren Kuttern stört das nicht.«

      »Er war kein Fischer. Er war Hobbysegler.«

      Krog tauchte den Pinsel in das Fläschchen mit Spurensicherungsmittel.

      Lentje wiegte den Kopf hin und her. »Sonst noch was?«

      »Ja, jede Menge Fingerabdrücke. Teils überlagert. Hier an Bord wurde nur selten gewischt.«

      Lentje atmete tief ein. »Dann fasse ich mal zusammen: Für einen großen Törn war das Boot nicht ausgestattet, und es könnte auch jemand mit an Bord gewesen sein. Er hat sich möglicherweise den Kopf aufgeschlagen und eine ganze Menge Blut verloren, ein Unfall vielleicht oder jemand hat ihm eine verpasst und ihn über Bord geworfen, bevor er das Boot verließ.«

      »Klamotten oder Koffer gibt es keine an Bord«, fuhr Krog fort. »Trevisan fragte danach.«

      »Dann haben wir also gar nichts, das wird dem Boss überhaupt nicht gefallen.«

      Sanfte Wellen liefen auf der Bootsrampe aus, das Wasser gluckste und plätscherte.

      »Das glaube ich auch, so wie ich ihn kenne«, bestätigte Krog.

      Einer der großen und starken Scheinwerfer, die das Schiff in helles Licht tauchten, begann zu flackern.

      Lentjes Handy piepste. Sie fischte es aus ihrer Hosentasche und warf einen Blick auf das Display.

      »Trevisan erwartet uns morgen früh um 9 Uhr«, sagte sie.

      »Okay, machen wir Schluss«, seufzte Krog und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir wissen mehr, wenn wir einen DNA-Abgleich haben.«

      Lentje nickte. »Dann bis morgen«, sagte sie, bevor sie sich umwandte und über die Planken die Jacht verließ.

      5

      Basdorf, Accumer Weg

      Sie hatten sich wie vereinbart pünktlich um 9 Uhr auf der Dienststelle getroffen und ausgetauscht. Nach der kurzen Besprechung waren sie nach Basdorf gefahren, um das Haus des Bürgermeisters zu durchsuchen. Drei Kollegen der Spurensicherung widmeten sich unterdessen dem Büro im Rathaus von Deichhagen.

      Janson von der Vermisstenstelle in Aurich war vor Tagen bereits dort gewesen, doch seine Nachschau war oberflächlich und hatte dem Bürgermeister selbst gegolten. Seit dessen Boot führerlos vor Baltrum aufgetaucht war, musste Trevisan von anderen Voraussetzungen ausgehen. Von einem geplanten Verschwinden, einem Unfall oder gar Mord an Enno Ollmert, alles war möglich. Trevisan und seine Crew mussten gründlich vorgehen und nach Hinweisen suchen, die eine der Thesen untermauerte oder zumindest dazu führte, eine Möglichkeit sicher auszuschließen.

      Janson hatte damals das Türschloss aufbrechen müssen und es anschließend durch ein anderes ersetzt. Die dazugehörigen Schlüssel hatte er an Trevisan übergeben.

      Das Haus lag am Ende des Dorfes in einem Neubaugebiet unmittelbar vor den weitläufigen Wiesen und Feldern. Es war ein modernes Dreigiebelhaus mit üppigen Glasfronten und sah neu aus. Die weiß getünchte Fassade war durch blaue Umrahmungen der Fenster aufgelockert und das Grundstück um das Haus mit Rasen und jungen Büschen und Sträuchern bepflanzt. Eine Mauer oder einen Zaun gab es nicht. Schmale, graue Rabatten grenzten das Grundstück zur Straße und zur Nachbarschaft ab.

      Die Innenjalousien waren herabgelassen, so wie es auch in Jansons Akte beschrieben war, was dafür sprach, dass Ollmert das Haus vor seinem Verlassen entsprechend gesichert hatte. Ein kontrollierter und geplanter Aufbruch, dachte Trevisan, als er vor der blauen Eingangstür mit den beiden Dreiecksfenstern stand und das Schloss öffnete. Im Haus selbst war alles ordentlich und sauber hinterlassen worden. Trevisan blickte sich um. So ähnlich sieht es aus, wenn jemand für ein paar Tage wegfährt. Allerdings hatte er erwartet, dass ein Bürgermeister innerhalb einer Woche mehr Post erhielt, doch auch so etwas ließ sich heutzutage steuern.

      Monika, Lentje und Lisa sowie Krog und drei seiner Spurensicherungsexperten folgten ihm ins Haus. Eike war auf der Dienststelle geblieben, um weitere Details über Enno Ollmert herauszufinden und noch einmal mit dem Provider von Ollmerts Handy zu sprechen. Aber auch, um die Liste der Namen zu überprüfen, die Monika und Trevisan von der Chefsekretärin erhalten hatten. Möglicherweise ergab sich daraus ein konkreter Ermittlungsansatz.

      Trevisan ging über den Flur, der mit grauen Marmorplatten ausgelegt war, und betrat das Wohnzimmer. Ollmert bevorzugte eindeutig die nüchterne Moderne. Abstrakte Gemälde verzierten die weißen Wände, und eine Designer-Sitzkombination, in schwarzem Leder gehalten, stand inmitten des Raumes, davor ein niedriger Glastisch. An einer Wand stand eine Vitrine, an der Stirnseite prangte ein riesiger Fernseher an der Wand. Darunter stand ein Lowboard in weißem Lack gehalten. Ein Highboard in der Ecke vervollständigte das Mobiliar im geräumigen, mit hellem Parkett ausgelegten Wohnzimmer. Die Stereoanlage von Bang und Olufson nebst den teuren Lautsprechern, die in den Ecken standen, waren sicherlich nicht billig gewesen. Auch das Mobiliar erschien hochwertig und teuer.

      »Was verdient so ein Bürgermeister?«, fragte Lisa, als sie neben Trevisan stehen blieb und das Fernsehgerät bewunderte.

      »Der ist in der Gehaltsklasse B eingestuft, soweit ich weiß«, antwortete Trevisan. »Also mehr als ein Polizeidirektor.«

      Lisa nickte überrascht und verschwand im Flur. Trevisan schaute sich die Fotos auf dem Highboard genauer an. Drei Bilder gab es dort zu sehen: Ollmert neben seinem Porsche, Ollmert am Ruder seines Bootes und Ollmert vor dem Eiffelturm. Weitere Fotos gab es nicht, offenbar hielt sich der Kreis seiner Freunde und Bekannten in Grenzen.

      Trevisan öffnete die Schränke. Dort fand er vorwiegend Bedienungsanleitungen für die technischen Geräte, außerdem ein hochwertiges »Bresser«-Fernglas und in einem Fach im Highboard mehrere Armbanduhren und Herrenschmuck.

      »Ausgeraubt hat ihn niemand«, murmelte Trevisan.

      »Was hast du gesagt?«, fragte Monika, die das Zimmer betreten hatte, ohne dass es Trevisan bemerkt hatte.

      »Ach nichts. Habt ihr was gefunden?«

      Monika schüttelte den Kopf. »Krog ist in seinem Arbeitszimmer, da gibt es einige persönliche Unterlagen. Post liegt auf dem Schreibtisch. Ich habe seinen Pass im Schlafzimmer gefunden, ansonsten nur ein paar Tabletten und Medikamente. Einige Schrankfächer