Tatort Alpen. Michael Gerwien

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Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



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Handy klingelte jetzt, ausgerechnet.

      »Das Schlimme ist«, sagte der Chef, »dass man auch hier noch Empfang hat, du denkst, du hast die Stadt hinter dir mit ihren Abgasen und ihrem Dreck, doch die Strahlen sind immer noch unter uns.«

      Birnes Anrufer legte auf.

      Der Chef holte seinen Geldbeutel heraus und legte vor Alexa 100 Euro hin. »Die bekommen Sie, wenn Sie hier vor meinen Augen Ihr Handy zerstören.«

      Alexas blickte auf das Geld.

      »Was ist?«, drängte sie der Chef. »Und was ist mit Ihnen?« Er schaute zu Birne.

      Auch der schwieg.

      »Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn Sie’s gemacht hätten«, sagte er und steckte sein Geld ein. »Es wäre besser, wenn Sie es trotzdem machen. Es geht um Ihre Gesundheit.« Er stand auf. »Und überlegen Sie sich gut, ob Sie Ihre Beziehung intensivieren. Im gleichen Geschäft ist das immer problematisch. Ich will damit nur sagen, dass Sie bisher einen guten Eindruck machen, Alexa, und wir uns durchaus vorstellen können, Ihnen einen Platz in unserem Haus einzuräumen. Spielen Sie nicht mit Ihrer Zukunft. Auf Wiedersehen.«

      Er verschwand dort, wo sie beide hergekommen waren.

      »Ist der eifersüchtig?«, fragte Birne.

      »Ich will wissen, warum.«

      »Was war denn auf eurem gemeinsamen Betriebsausflug?«

      »Nichts. Er sucht schon immer Nähe, er hat mich auch dauernd eingeladen, aber mehr war da nicht.«

      Birne schaute auf die Pappteller, auf denen eben noch ihre Würste gelegen hatten und aus denen ihnen nun traurige Senfreste entgegenstarrten.

      »Was war mit deinem Freund eben?«

      »Nichts, ich hab nicht Schluss gemacht. Ich war zu schwach. Das war zu viel gerade. Und wer hat dich angerufen?«

      Birne schaute nach. Simone.

      »Simone.«

      »Dann haben wir den ganzen Beziehungshaufen jetzt vor uns liegen.« Sie schaute auf den Gipfel.

      »Ich will da jetzt hoch«, sagte Birne.

      »Und wenn es wieder regnet?«

      »Dann riskieren wir jetzt was.«

      *

      »Tina? Tina, bist du dran? Ich muss mit dir reden.«

      Bruno saß wieder auf seinem Sofa und wollte Klarheit. Wenigsten in einem Punkt. Damit der Tag nicht ganz verschissen war. Schlafen konnte er nicht, das hatte er schon versucht.

      »Was heißt, du hast mir nichts versprochen. Wir sind zwei erwachsene Menschen, wir verstehen die Signale, die wir einander geben.«

      Mit Oliver hatte es noch einen bösen Streit gegeben, der war undankbar und verkommen, der war eine Schwachstelle in seinem Leben. Jetzt hing er wieder am Computer und verschwendete seine Jugend. Der sollte ausziehen, sobald er seine Schule hinter sich hatte, den würde er nicht füttern, bis er 30 war.

      »Tina, im Ernst. Ich habe schwer was für dich übrig, wir sollten unsere Zeit nicht vergeuden mit einem ewigen Hin und Her. Ich krieg dich sowieso.«

      Er stellte sich Tina vor, wie sie denselben Sonntagnachmittag wie er verbrachte, auf dem Sofa mit wenig an und gelangweilt.

      »Ich würde dir das auch sagen, wenn ich vor dir stünde.«

      Dann kam der Hammer.

      »Welcher Freund? Wieso weiß ich von dem nichts. Der taugt doch nichts, den will ich sehen, gerade vor dem will ich es dir sagen und besorgen.«

      *

      Natürlich fing es an zu regnen, aber das war nicht das Problem: Sie waren ein Stück weit die Wand hochgekommen, da spürte Birne ein eigenartiges Gefühl an seinen Füßen, als ob sie ihm einschlafen wollten. Sie schliefen aber nicht ein. Mit seinen Füßen, seinem Körper insgesamt war alles in Ordnung. Er sagte »Scheiße« und »So ein Arschloch, so ein saublödes.«

      Die Sohlen seiner neu gekauften Superschuhe lösten sich von vorne her ab, hingen nur noch zur Hälfte am Rest vom Schuh und klappten jedes Mal, wenn er seine Füße hob, ein.

      »Wir müssen umkehren. Das ist lebensgefährlich«, wusste Alexa.

      Endlich etwas Lebensgefährliches, dachte Birne. Wenn er dem Umkehren zustimmte, dann nur, weil jeder Schritt von hier weg nervig war. Jedes Mal den Fuß zwei Mal heben, um die Sohle wieder an ihren Platz zu bringen. So macht die schönste Lebensgefahr keinen Spaß.

      Wenn sie weiter raufgingen, mussten sie auch weiter wieder runter.

      Sie kehrten gleich um.

      Es ging schon, wenn man kleine Schritte machte.

      Sie bot ihm an, ihn zu stützen und er bereute es in dem Moment, in dem er es ablehnte.

      Langsam, gegen Frühabend, kamen sie an dem Parkplatz an, für den sie am Vormittag bezahlt hatten. Birne meinte, Alexa sei genervt, aber sie sagte als Erstes: »Es war eine schöne Tour.« Und Birne ergänzte: »Ein schöner Tag.«

      In einem Café bezahlte Birne noch ein Belohnungsweizen, dann fuhren sie zurück. Erschöpft und irgendwie auch glücklich.

      Vor seiner Haustür stellte sie den Motor ab.

      »So.«

      »Vielen Dank.«

      »Nichts zu danken.«

      »Willst du noch Geld fürs Benzin?«

      »Nein«, sagte sie, legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel und schaute ihm tief in die Augen.

      Birne hätte sie jetzt küssen müssen. Er wartete zu lange. Sie beugte sich zu ihm hinüber, doch er dreht sich weg, sagte noch mal »Danke« und stieg aus. Im Kofferraum lagen seine Sachen, die holte er raus.

      Wieso ließ er sie nicht zu sich rein?

      Er trat zur Beifahrertür und öffnete sie. »Danke für alles. Wenn alles gut geht, dann fahren wir nächste Woche nach München.«

      »Schon okay.« Weg war sie.

      Birne auf dem Weg nach oben. Jetzt hatte er zwei Frauen, die anderen Männern gehörten. Er zögerte. Er hatte ein Recht zu zögern. Er musste sich emotional erst wieder herrichten, damit er bereit war.

      Simone gehörte sein Herz. Keine Frage. Aber damit gehörte ihr nicht viel.

      Drinnen bei sich holte er das Geld raus und sortierte sauber die Bündel vor sich auf dem Küchentisch. Er legte das Telefon daneben, betrachtete das Stillleben und bedauerte, dass kein flämischer Meister zum Malen da war. Er nahm das tragbare Telefon und wählte bewusst und glücklich jede Ziffer seiner Schicksalsnummer. Es tutete dreimal, bevor die Mailbox ranging. Birne hörte eine unpersönliche, nicht unfreundliche Ansagerinnenstimme und dann sie – ihren Namen sagen. Das klang gut. Er hinterließ keine Nachricht, er legte auf und starrte sieben Minuten verträumt in die Luft. Dann probierte er es noch einmal und hatte nicht mehr Erfolg als beim ersten Mal. Und das nächste Mal und das übernächste und auch das zwölfte und letzte Mal an diesem Abend nicht. Birne war jetzt schlecht drauf. Wo war sie? War sie in den Armen Bernds? Dachte sie an ihn oder dachte sie nicht an ihn? Würde sie sich melden? Würde sie an der Anzahl seiner Anrufe seine Verzweiflung spüren? Hatte er sich zu früh gefreut?

      Ein quälender Abend war das, den Birne durchzustehen hatte. Er beschloss, es nun nicht mehr zu versuchen und versuchte es nur 20 Minuten später noch einmal. Wieder nichts. Birne hatte nichts zum Saufen im Haus und auch keine Lust mehr zu saufen. Er schaltete seinen Computer ein und suchte eine Videoseite auf, beinahe mechanisch; die Zeit verging hier so rasend, wie er es in seiner Stimmung brauchte. Ihm fiel ein, dass er gestern gefilmt worden war, während er vermöbelt wurde. Das wäre ein schöner Beweis, wenn er sich da finden konnte. Er probierte die Suchbegriffe »Kempten«, »Schlägerei«, dann Abwegiges wie »Kanake«, er blieb erfolglos. Wieder mal.