Der Krieg. Ilja Steffelbauer

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Название Der Krieg
Автор произведения Ilja Steffelbauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783710601385



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nicht zu bekämpfen. Immerhin, so Diomedes, gibt es für beide genug andere Griechen und Trojaner, die man umbringen kann. Zum Abschied tauschen sie noch ihre Rüstungen – ganz wie Fußballer heutzutage mit ihren Trikots verfahren – und ziehen von dannen, jemand anderen zu töten.

      Oder nehmen wir den 11. Gesang (ab Vers 670), wo sich der greise Nestor, ältester und erfahrenster der griechischen Heerführer, seiner jugendlichen Heldentaten erinnert. Die erwähnenswerteste davon: Der „Rinderraub von Pylos“, als Nestor, noch jung und voller Tatendrang, mit einigen Kumpanen loszog, um des Königs von Elis schönste Rindviecher bei Nacht und Nebel über die Grenze auf pylische Weiden zu treiben. Die Beute verteilt man anschließend zuhause unter jenen Pyliern, denen vorher von den nördlichen Nachbarn Vieh gestohlen worden war. Nestors Jugenderinnerung gewährt Einblick in eine Abfolge ständiger räuberischer Übergriffe, in denen sich die jungen Krieger zu beweisen suchen, und die blutigen Fehden, die aus ihnen resultieren: Zwölf Söhne hatte Neleus, Nestors Vater. Nestor allein überlebte ins Mannesalter.

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      Helden tauschen ihre schimmernde Wehr: zeitloses Ritual kriegerischer Männlichkeit.

      Hier vorgeführt von Florian Klein vom VfB Stuttgart (links) und David Alaba vom FC Bayern München bei einem Bundesligaspiel in der Allianz Arena München 2015.

      Eine eigentümliche, archaische Welt lebt in diesen Details: autonom, ruhmsüchtig, kleinteilig, raubgierig, sippenstolz und bodenständig eng mit ihren agrarischen Grundlagen verbunden. Eine Welt, in der Odysseus der König – basileus, „König“ eben, nennt der Dichter seine Heerführer – selbst hinter dem Pflug über die Fluren Ithakas schreitet, mit eigenen Händen das Ehebett aus dem lebenden Olivenstamm schnitzt und oft am Tisch seines Schweinehirten Eumaios – selbst aus königlichem Geschlecht, aber von phönizischen Händlern als Kind geraubt und nach Ithaka in die Sklaverei verkauft – Platz nimmt, ehe er in den langen Krieg gegen Troja zieht, von dem der „vielgeplagte Mann“ nur nach mühsamer Irrfahrt wieder zurückfinden wird.

      Warum gibt das Epos diesen Dingen so viel Raum? Doch nur, weil sie bedeutsam, das eigentlich Wichtige an dem Text sind, vor allem, wenn man bedenkt, wie viel mehr Gewicht jeder einzelnen Verszeile in Anbetracht der Tatsache zukommt, dass das Epos vor der schriftlichen Aufzeichnung über Generationen mündlich überliefert werden musste. Die dichterische Form selbst ist ursprünglich Werkzeug des Vortrages – mit Musikbegleitung, sei angemerkt – und der Mnemotechnik. Das zeitgenössische Publikum vermisste im Unterschied zum modernen Leser und Herausgeber weder den Anfang noch das Ende des Krieges um Troja. Die Rahmenhandlung war ohnehin bekannt. Die eigentliche Leistung des Dichters lag in der Ausgestaltung des Segments der großen Erzählung, das er sich als Thema erwählt hatte, und in der geschickten Anreicherung der Handlung mit Features, die sein Publikum zu schätzen wusste: Genealogien zum Beispiel, Beschreibungen wertvoller Geschenke und Beutestücke – schöner Frauen inklusive. Und wie es scheint: Viehdiebstahl …

       Die vielen Gesichter des Helden

      Geschichte sei die Suche nach „meaningful patterns“ („Mustern“, so müsste man im Deutschen wohl ungelenk übersetzen, „die auf etwas Bedeutendes hinweisen“) schreibt Arnold Toynbee, der große und wahrscheinlich letzte Universalhistoriker. Ein solches Muster wird sichtbar, wenn man sich die frühesten literarischen Werke der verschiedensten Völker ansieht:

       Wann – und wo – auch immer Kulturen beginnen, sich eine Literatur zu schaffen, weil der Gebrauch von Schriftlichkeit weit genug verbreitet ist, dass es eine Leserschaft gibt, schreiben sie Bücher über den Krieg, über Helden und Heldentaten.

      All diese Bücher sind voll mit Befremdlichkeit, wie den oben beschriebenen. Es ist der Nachglanz einer Welt, die gerade eben untergegangen war, als diese Völker anfingen, schriftbrauchende „Hochkulturen“ zu werden, einer Welt, die untergehen musste, damit aus Homers heroischen Achäern Herodots historische Hellenen werden konnten. Die wilden Könige mussten der wohlgeordneten Polis weichen, damit sie als epische Helden die Zeiten überdauern konnten.

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      Buchhalter als Kulturstifter: Der Anfang der Schrift liegt in der Lagerhaltung, wie hier auf diesem Linear-B-Täfelchen aus Nestors Palast in Pylos, Peloponnes.

      Schriftlichkeit ist ein Kind des Staates; die schöne Literatur – les belles lettres – ein Bastard der Bürokratie mit den Erzählkünsten wandernder Sänger. Die ersten geschriebenen Texte sind Listen: Lagerbestände, -eingänge, -ausgänge; die banalen Aufzeichnungen einer ebenso fleißigen wie fantasielosen Verwaltung, Leitfossilien des Staates in seiner reinsten Form. Die Erzählkunst ist zu dieser Zeit noch eine allein mündliche, ihre Träger sind die Aöden, die an den Höfen der Fürsten und auf den Marktplätzen der entstehenden Städte ihre Dichtungen vortragen. Um die Gunst der Herrschenden zu gewinnen, reichern sie ihre Erzählungen, die aus einem überlieferten Repertoire bekannter Sagenkreise, wie eben den Krieg um Troja, schöpfen, mit Details an, von denen sie erwarten, dass sie ihrem anvisierten Gönner schmeicheln werden: Heldentaten seiner Vorfahren, Genealogien, welche den örtlichen Potentaten in eine Linie stellen mit den großen Gestalten des Epos, saftige Räubergeschichten, welche aus dem Leben der kleinen, lokalen Räuberbarone gegriffen sind. Denn eben das sind sie, Homers „Könige“: Herrscher von allem, was sie von ihrem Burgberg überblicken und mit der Kraft ihres Armes verteidigen können. Es ist diese Welt der „Dunklen Jahrhunderte“, der frühen Eisenzeit, des „Mittelalters“ der alten Griechen im 12. bis 8. Jahrhundert vor Christus, die uns in den Epen entgegentritt. Zur Zeit von deren Endredaktion (nach gängiger Meinung zwischen 750 und 700 v. Chr.) wird sie gerade eben verdrängt von der aufkeimenden Ordnung des frühen Staates, war aber noch erinnerlich, wenige Generationen zurückliegend, eine kriegerische, romantische Welt: das „Heroische Zeitalter“, wie Hesiod es in seinen Werken und Tagen nennt.

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      Räuberhäuptlinge streiten um die Beute: Die griechischen Helden vor Troja zanken sich um die wertvolle Rüstung eines Gefallenen. Rotfigurige Vasenmalerei um 490 v. Chr.

      „Mit der Einführung des Eisens erleben alle Völker ihr Heldenzeitalter,“ bemerkt Friedrich Engels im „Ursprung von Privateigentum und Familie“, seinem Basistext zur Prähistorie der Menschheit. Das „Heldenzeitalter“ ist hierbei das Chiffre für eine Phase kleiner, kriegerischer, agrarischer, vorstaatlicher und vorstädtischer – Troja war vor allem Feste und Handelsplatz, nicht Stadt – Gesellschaften, die die Völkerkundler „Chiefdoms“ nennen: „Häuptlingtümer“. „Basileus“ versteht man also vielleicht besser als „Häuptling“. In ihnen basieren Wirtschaft, Politik und gesellschaftlicher Zusammenhalt noch auf dem alten Clansystem. Aus den charismatischen Anführern früherer Epochen haben sich räuberische „Warlords“ entwickelt, die, gestützt auf ihre Gefolgschaften aus Kriegern und vermittels ihrer Fähigkeit, Tribute zu erpressen, Beute zu machen und diese als Gaben an ihre Getreuen zu verteilen, zunehmend den politischen Ton angeben. Die Erblichkeit von Macht und Herrschaft ist indes noch nicht gesichert. Darauf weisen die zahlreichen, turbulenten Familiengeschichten voll Bruderzwist, Erbstreit, Vertreibung und Wiedererlangung des verlorenen Erbes hin, welche die heroischen Genealogien durchziehen. Im indischen Epos des Mahabharata, das ab 400 vor Chr. niedergeschrieben wurde, ist der Erbstreit zwischen den verfeindeten Cousins – den fünf Pandavas und den einhundert Kauravas – der Auslöser einer langen Erzählung, die in einer Schlacht von wahrhaft epischen Ausmaßen mündet: Auf beiden Seiten stehen einander in Summe 3,94 Millionen Krieger gegenüber!

      In den Hallen dieser „Kriegsherren“ treten also die oben erwähnten Sänger epischer Gedichte auf. Der Archetyp des kriegerischen Helden wird dort in ihren Liedern geboren: Hektor, Achill, Beowulf, Sigurd/Siegfried, Dietrich von Bern, Arjuna, Cú Chulainn, Ilja Muromez, Rustam, die vorhöfischen Erzählkerne, die hinter ritterlichen Helden wie Artus und Roland stecken, aber auch die streitbaren Frauen, die in der