Der Krieg. Ilja Steffelbauer

Читать онлайн.
Название Der Krieg
Автор произведения Ilja Steffelbauer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783710601385



Скачать книгу

mit dem Kanu übers Meer erfordern, entwickelt, bei dem jeweils das eine Dorf das andere in einem großen Fest bewirtet und mit Geschenken überschüttet. So verteilt sich das Gesamtprodukt des Archipels mehr oder weniger gleichmäßig, unabhängig davon, ob das eine Dorf ein gutes oder ein schlechtes Jahr hatte. Die Erfindung des Krieges, also von koordinierter Gewalt zwischen Gruppen, kann aber, wenn sie einmal gemacht ist, nicht mehr so ohne Weiteres in Pandoras Büchse zurückgestopft werden. In Extremsituationen brechen auch wohlausgeklügelte Umverteilungssysteme zusammen und die nächste Krise kommt bestimmt: dafür sorgt Malthus. Darüber hinaus bieten die so entstehenden Netzwerke nun die Möglichkeit, eine größere Zahl an Kriegern zu mobilisieren. Statt dass ein Dorf über das andere herfällt, verbünden sich die durch rituelle Tauschbeziehungen verbundenen Dörfer gegen die Leute auf der nächsten Insel oder im anderen Tal. Plötzlich gibt es ein „wir“ und ein „die“ und aus einzelnen Siedlungen werden „Stämme“. Ganz nebenbei haben Sesshaftigkeit, malthusianische Krisen und die Versuche, Konflikte untereinander zu minimieren, zur Bildung größerer – nach den Maßstäben der kleinen Sammler-und-Jäger-Welt nachgerade riesiger – politischer Einheiten geführt. Stämme können viele Dutzend, ja hunderte Krieger mobilisieren. Aus Prügeleien werden Scharmützel. Je größer die Zahl der Teilnehmer, umso mehr wird eine gewisse Leitung notwendig. Zu den bisher bekannten Arten von Anführern gesellt sich eine neue hinzu: Kriegshäuptlinge. Wer gut darin ist, den nächsten Raubzug zu führen, der genießt Ansehen und – Besitz spielt ja nun eine Rolle – hat Reichtümer, die er an seine Familie, Freunde und Gefolgsleute weitergeben kann. Krieg und Raub führen zur Entstehung sozialer Ungleichheit innerhalb der Stämme.

       Tatsächlich erweist sich bald, dass kein Geschäft so einträglich ist wie das Kriegshandwerk, weswegen in so gut wie allen Gesellschaften die Krieger bald auch die Besitzenden sind und die Besitzenden notwendigerweise Krieger sein müssen, um ihren Besitzstand zu wahren.

      Unter dem Druck der ständig wachsenden Bevölkerung, die irgendwann immer die Grenzen des Siedlungsraums erreicht, und der ganz zufälligen Krisen wird Krieg zum Dauerzustand, was schon Platon aufgefallen war. Daraus folgt aber auch, dass Krieger sein, die Kriegskunst zu beherrschen und sich dem Schrecken der Schlacht zu stellen, zu einem Merkmal wird, das von Vorteil ist und das man der nächsten Generation beibringt. Der Werkzeug gebrauchende Affe erfindet, wie in allen anderen Anwendungsbereichen, bald eigene Gerätschaften, um seine Artgenossen zu verletzen und zu töten, bzw. sich vor Verletzung zu schützen, nachdem man bisher im Wesentlichen auf das zurückgegriffen hatte, was sich auch als nützlich erwies: Tiere umzubringen. Mit der Existenz von Kriegswaffen wird die Beherrschung derselben zu einer notwendigen Kompetenz für den ganzen Mann. Knaben müssen von nun an zu Kriegern erzogen werden und Töchter zu Müttern von Kriegern. Es anders zu machen verbieten die Gesetze der Demographie. Am Ende dieser Entwicklung, die sich bei den meisten Ackerbauerngesellschaften vollzieht, stehen große Stämme, die von einer Elite von Kriegern beherrscht werden. Der technische Fortschritt bringt die Entdeckung der Metallverarbeitung mit sich und die Menschheit tritt in ihr Heldenzeitalter ein. Gardners Kamera und Chagnons kritischer Blick fingen Menschen ein, deren spezifische Umwelt es ihnen ermöglicht hatte, diese weitere Entwicklung über das Niveau sich gelegentlich bekämpfender Dörfern hinaus nicht mitmachen zu müssen. In diesem Sinn waren sie tatsächlich lebende Fossilien, ähnlich wie der berühmte Quastenflosser, nicht weil bei ihnen die Zeit stehengeblieben war, sondern weil ihr sozio-ökonomisches System über einen langen Zeitraum mit ihrer Umwelt im Gleichgewicht geblieben war. Die Tatsache, dass auch die moderne, technisierte Welt sie erst zu diesem Zeitpunkt entdeckte, mag erklären warum. Wer weniger entlegen wohnte, musste die nächsten Jahrtausende immer damit rechnen, dass eine Kriegerhorde am Horizont erschien. Darauf vorbereitet zu sein, ist das gemeinsame Kennzeichen aller historischen Gesellschaften. Diejenigen, die es nicht waren, wurden in den Staub der Geschichte getreten.

image

      Aus Jagdwaffen werden Kriegswaffen, aus Jägern Krieger. Das männliche Monopol auf das Kriegshandwerk ergibt sich so ganz von selbst.

      Felsritzungen von Tanum in Schweden, Bronzezeit

       Nachlese

      Die maßgeblichen Erkenntnisse über die soziale Evolution der Menschheit verdanken wir den Archäologen und vor allem den Sozialanthropologen. Unbedingt lesenswert ist Marvin Harris „Kannibalen und Könige. Die Wachstumsgrenzen der Hochkulturen.“ dtv, München 1995 und „Menschen. Wie wir wurden, was wir sind.“ ebenfalls dtv, München 1996. Jarred Diamond stellt in „Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften.“ Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999, diese Überlegungen in einen größeren Kontext und Ian Morris hat in „Krieg. Wozu er gut ist.“ bei Campus, Frankfurt 2013, noch ein provokantes Schäufelchen nachgelegt.

image image

       DER HELD

       Achilleus, Sohn des Peleus

      (Legendär, 13. Jahrhundert vor Christus)

      „Wenn du nach Troja gehst, wirst du Ruhm ernten. Viele tausend Jahre lang wird man Geschichten über deine Siege schreiben … Aber wenn du nach Troja gehst, kehrst du nie wieder heim. Denn deine ruhmreichen Taten gehen Hand in Hand mit deinem Untergang.“ Dies prophezeit die Meernymphe Thetis in Wolfgang Petersens Film „Troja“ von 2004 dem jungen Achilleus. Drei Millennien später hält die Verfilmung immer noch Platz 8 in der Liste der kommerziell erfolgreichsten Filme aus der modernen Mythenwerkstatt. Die Alternative, welche die überprotektive Mutter-Göttin dem Sohn anbietet, ist ein langes glückliches Leben, zahlreiche liebende Nachkommen und das Vergessen. Doch Achill zieht nach Troja und wird damit zum unsterblichen Helden des ersten großen Werkes der abendländischen Literatur.

      Der eigentliche Inhalt der Ilias ist der Streit zwischen ihm und dem Anführer der Griechen, Agamemnon, um die schöne Gefangene Briseis. Zwei Krieger streiten um Beute, menschliche, weibliche zwar, doch spielt Liebe dabei im Original keine Rolle. Das ist der Zuckerguss, mit dem Hollywood den Stoff überziehen muss, um ihn für ein modernes Publikum schmackhaft zu machen. Feldzug, Schlachten und Belagerung, „the face that launch‘d a thousand ships“ und die „unbezwingbaren Mauern von Ilion“ bilden nur die Rahmenhandlung für ein Drama, in dem es um gekränkte Kriegerehre geht. Weder die bekannte Vorgeschichte mit dem Urteil des Paris und der Entführung der Helena noch das hölzerne Pferd kommen in der Ilias selbst vor. Auch der tragische Tod des Achilleus durch die Fersenwunde findet sozusagen im Abspann statt. Trotzdem ist der Sohn des Peleus die Achse, um die sich der Epos dreht und die Schlüsselfigur zum Verständnis der homerischen Helden und damit einer ganzen Epoche.

      Die Herausgeber diverser „Griechischer Sagen“ für den Schulgebrauch wie den bildungsbürgerlichen Bücherschrank haben traditionell zu dem lässlichen Schwindel gegriffen, ihren Käufern unter dem Titel der Ilias ein literarisches Flickwerk unterzujubeln. Der narrativen Geschlossenheit des Stoffes war dieses Vorgehen zweifellos dienlich, es verstellt aber den Blick auf das, was dem Dichter – Homer nennen wir ihn gewohnheitsgemäß – wichtig war, dem späteren Leser aber eher als mühsamer Ballast erscheint, der die Handlung unnötig verzögert: ausführliche Genealogien, langatmige Reden, Reminiszenzen an vergangene Heldentaten der Beteiligten und ihrer Ahnen, an Gastmähler, Wettspiele, Raubzüge und den Austausch von Geschenken.

      Mitten im Gemetzel (im 6. Gesang, ab Vers 119) hält so zum Beispiel auf Seiten der Griechen der Held Diomedes inne und fragt den Feind, der sich ihm entgegenstellt, nach seinem Namen und seiner Abstammung. Ausführlich schildert der Lykier Glaukos – sein so angesprochenes Gegenüber – seine Ahnenreihe, die über Belerophon, den Reiter des geflügelten Pferdes Pegasus, zum tragischen König Sisyphos führt. Freudig stößt nun Diomedes seine Lanze in die Erde und eröffnet dem Feind, dass ihre beiden Großväter