Название | Der Krieg |
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Автор произведения | Ilja Steffelbauer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783710601385 |
Hier wird aus der militärischen Innovation eine gesellschaftsverändernde Kraft: Um eine möglichst große Phalanx ins Feld führen zu können, sind die adeligen Herren der griechischen Stadtstaaten daran interessiert, möglichst viele Mitbürger zu haben, die es sich leisten können, als Hopliten in den Krieg zu ziehen. Dies erfordert, so legt es etwa die athenische Verfassung des Solon fest, ein substantielles Bauerngut oder äquivalentes Einkommen. Statt also, wie es der natürlichen Tendenz von Eliten entspricht, möglichst viel Kapital – sprich Grundbesitz – in den eigenen Händen zu konzentrieren, sind die griechischen Aristokraten daran interessiert, eine große Zahl an mittelgroßen, bäuerlichen Grundbesitzern als Nachbarn zu haben. Eine breite Mittelschicht entsteht. Die Adeligen können infolgedessen nicht viel reicher sein als der Durchschnitt. Das Gut eines Adeligen in Athen ist vielleicht zehn bis dreizehn Mal so groß wie der durchschnittliche Bauernhof. So entsteht eine Vermögens- und Einkommensverteilung, die heutige Verhältnisse geradezu grotesk erscheinen lässt. Sie ist der Ursprung des Gleichheitsideals, das die ganze athenische Klassik des fünften Jahrhunderts atmen wird, bis zu dem Punkt, dass auch alle Statuen dieselben – idealen – klassischen Gesichtszüge tragen. Die Adeligen berauben sich auf diese Weise auch der Möglichkeit, ihre Güter durch landlose Pächter oder gar Leibeigene bebauen zu lassen, was die Herausbildung feudaler Untertänigkeit verhindert oder gar wieder rückgängig macht. In Randregionen – wie Thessalien, wo die Reiterei wegen der weiten Ebenen weiterhin eine dominante Rolle spielt – gibt es diese später nachweislich, in der eigentlichen Poliswelt von der Nordküste des Golfes von Korinth über die Peloponnes, Attika und die Inseln nach Kleinasien dagegen nicht. Spartas eigenwilliges System der von unterworfenen Heloten bewirtschafteten Landgüter ist ein einzigartiger Kompromiss zwischen beiden Optionen: Er macht alle Spartiaten zu Hopliten und gleichzeitig zu Aristokraten, die sich allein auf das Kriegshandwerk konzentrieren können. Kein Wunder, dass sie als die besten Krieger Griechenlands galten. Überall, wo sich die Phalanxtaktik durchsetzte, sorgt sie dafür, dass diejenigen, die in der Phalanx kämpften, früher oder später politische Mitbestimmung erhalten. Die Logik ist einfach: Wer im Krieg kämpft, will mitentscheiden, ob Krieg geführt wird. Dies schloss umgekehrt alle von der politischen Beteiligung aus, die nicht wehrfähig waren: Frauen, Kinder, Sklaven und Arme, doch für Letztere bestand immer noch die Chance, durch wirtschaftlichen Erfolg in die Klasse der vollberechtigten Bürger aufsteigen zu können. Die attische Demokratie ist die maximale Ausdehnung dieses Grundgedankens auf die Schicht der Besitzlosen, deren Dienst als Ruderer durch die Seemacht Athen mit derselben politischen Mitsprache belohnt wurde, die anderswo auf die Hoplitenklasse beschränkt war. Das griechische System bringt damit ein ungewöhnlich hohes Maß an ökonomischer Gleichheit, sozialer Freiheit und politischer Beteiligung für eine relativ breite Schicht mit sich und schränkt gleichzeitig die Macht des Adels ein; ein ungewöhnlicher Weg von den Häuptlingtümern zur Staatlichkeit, der eben deswegen die erhöhte Aufmerksamkeit durchaus verdient, der ihm seitdem durch die politischen Denker entgegengebracht wurde.
Perser
Xenophons Arbeitgeber ist Kyros, Kūruš auf Persisch, Sohn von Dareios II. und der Parysatis. Er ist sehr zu seinem eigenen Verdruss und dem seiner Mutter, die ihn stets bevorzugte, aber der jüngere. Großkönig ist seit dem Tod des Vaters 404 v. Chr. sein älterer Bruder, Arsakes, unter dem Thronnamen Artaxerxes II. Den zeitgenössischen Quellen nach sollen die Brüder recht unterschiedlichen Charakters gewesen sein: Kyros ehrgeizig und aufbrausend, Arsakes sanftmütig und großzügig. Psychologen mögen sich Gedanken darüber machen, inwiefern die Bevorzugung und entsprechende Verhätschelung des Jüngeren durch die Mutter zu dessen Charakterbildung beigetragen haben mag. Xenophon, der den Prinzen anscheinend schätzen lernte, überliefert ein positiveres Bild seiner Persönlichkeit.
Das königliche Haus der Achämeniden, aus dem die beiden Prinzen stammen, herrscht über das größte Reich, das die Welt bis zu diesem Zeitpunkt je gesehen hatte. Sein Zentrum liegt im westlichen Iran, wo sich nicht nur die Urheimat der Dynastie in der Persis befindet, sondern auch das Herz des Vorgängerimperiums der Meder, dessen Thron der zweite Kyros, den die Geschichtsschreiber „den Großen“ nennen, um 560 v. Chr. in einem spektakulären Staatsstreich an sich gebracht hatte. Danach erweitert er in einem beispiellosen Siegeszug seine Herrschaft über Kleinasien, Mesopotamien und den Osten des Iran bis an die Grenzen Indiens und die Steppen Zentralasiens. Seine Nachfolger werden dem Reich noch Ägypten hinzufügen. Der gesamte Alte Orient – Keimzelle und Kernraum der westlichen Kultur – war damit unter einer herrschenden Dynastie vereinigt.
Der Nahe Osten blickt in jener Zeit auf eine weitaus längere Geschichte zurück als das benachbarte Griechenland. Hier waren die Menschen zum ersten Mal sesshaft geworden. Ackerbau und Viehzucht waren erfunden und in den Flusstälern Mesopotamiens und des Nils perfektioniert worden.
Hier waren die ersten Städte entstanden und die ersten Kriege ausgefochten worden. Staatlichkeit und ihre Begleitphänomene: Urbanisierung, Schrift und Monumentalbauten, all das, woraus sich „Geschichte“ konstruieren lässt, reichen hier Jahrtausende weiter zurück als im Westen. Das mit den griechischen Dunklen Jahrhunderten vergleichbare Heldenzeitalter des Zweistromlandes und Ägyptens lag in so weiter Vergangenheit, dass man Jahrtausende bemühen muss, um es zu erfassen. Im späten 4. Jahrtausend v. Chr. wurde Uruk gegründet, die Mutter aller Städte in Mesopotamien. Jericho, wenn man es denn eine Stadt nennen kann, und nicht eher eine Art Pueblo, also verdichtete, wehrhafte Dorfsiedlung, geht sogar auf das 8. Jahrtausend v. Chr. zurück. Auch wenn die frühen Königslisten der Sumerer und ähnliche Aufzeichnungen in Ägypten spätere „Geschichts(re)konstruktionen“ durch Herrscher sind, die sich eine möglichst lange Ahnenreihe geben wollten, sind auch die nachweislichen Staatsgebilde im Nahen Osten von einem ehrwürdigen Alter: Sargon von Akkad tritt uns an der Wende zum 23. Jahrhundert v. Chr. als Herrscher eines ersten Flächenstaates entgegen und in Ägypten vereinigten mythische Könige wie Menes schon um 2700 v. Chr. das Niltal unter ihrer Herrschaft. Der amerikanische Anthropologe Robert Carneiro hat eine überzeugende Theorie vorgelegt, nach der all diese frühen Staaten das Endprodukt einer Entwicklung waren, in der sich aus einander bekämpfenden lokalen, dann regionalen Häuptlingtümern schließlich einheitliche und dauerhafte Herrschaftsgebilde entwickelten, weil es für die Menschen in den von Wüsten und Steppen umgebenden Flusstälern schlicht keinen Ausweg gab.
Für die stetig wachsende Bevölkerung war es unmöglich, außerhalb des schmalen Streifens fruchtbaren Ackerlands zu überleben. Deswegen begann gerade in diesen Regionen am frühesten der Kreislauf gewaltsamer Auseinandersetzungen, der zum Wachstum immer mächtigerer Häuptlingtümer und schließlich zur Entstehung von Staaten führte. Sobald die äußeren Konkurrenten ausgeschaltet, Reichtumserwerb durch Eroberung damit unmöglich und gesellschaftlicher Zusammenhalt durch den gemeinsamen Feind nicht mehr herzustellen ist, schaffen es erfolgreiche Dynastien, die erprobten Gewaltmittel nach innen zu richten, die Eliten durch die Ausbeutung der Untertanen für sich zu gewinnen und ihre Legitimation durch Religion und Repräsentation zu sichern. Der Alte Orient ist infolgedessen voll monumentaler Bauten – die Pyramiden bilden da nur die Spitze. Die zahlreichen Priesterschaften erfinden gelegentlich auch nützliche Dinge wie Kalender oder die Astronomie. Ausufernde Bürokratien, die die gewaltigen Tribut- und Umverteilungssysteme der Gottkönige und Theokraten verwalten, entwickeln zu diesem Zweck die Schrift. Ihre strenge Hierarchie verbindet den niedrigsten Fellachen im Nilschlamm mit dem gottgleichen Herrscher auf seinem Thron.
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