Ghosting. Sebastian Ingenhoff

Читать онлайн.
Название Ghosting
Автор произведения Sebastian Ingenhoff
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955756147



Скачать книгу

auch an loszuprusten.

      »Das kannst du nicht bringen. Der arme Kerl, der bringt sich doch um, der ist eh so sensibel.«

      »Ach was, der soll sich nicht so anstellen. Der hat eh schon wieder drei andere gehabt. Jetzt kommt der an und meint, der könnte ein bisschen flennen und alles gut wie immer. Am Arsch kann der mich.«

      »Du kannst manchmal voll der Machoarsch sein, weißt du das eigentlich?«, sagt Ana grinsend, aber in doch etwas ernsthafterem Ton jetzt.

      »Machoarsch? Fick dich. Ich geb dir gleich Macho auf deinen Arsch«, antwortet Solana und boxt ihre Freundin in die Seite.

      »Ist ja gut, ich hab dich ja trotzdem lieb, du blöde Kuh.«

      Ana fängt den nächsten Schlag ab und nimmt Solanas Hand in die ihre. Sie drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.

      »Aber du musst dich jetzt trotzdem anziehen, weil sonst ist alles zu spät und dann gibt es weder Cheetos noch Konzert.«

      »Aber wir brauchen doch unbedingt Cheetos«, quengelt Solana, die aber langsam auch wieder etwas klarer im Kopf wird.

      »Fuck, hab ich dem gerade echt geschrieben, er soll uns Cheetos bringen?«

      »Hast du. Du hast es voll vergeigt«, sagt Ana mit gespielt traurigem Blick und streichelt Solana durch ihr dunkles, langes Haar.

      »Oh Mann …«

      Sie nimmt das Handy und öffnet erneut den Chat mit Ty. Er hat noch nicht geantwortet.

      Solana

       Sorry. War ein blöder witz. Sind bisschen bekifft

      »Du musst jetzt echt aufstehen und dich anziehen«, sagt Ana.

      »Ich kann aber nicht aufstehen und mich anziehen. Kannst du nicht paar Chinesen rufen und die ziehen mich an?«, jammert Solana.

      »Ich geb dir gleich Chinesen, du scheißversnobter Latino-Macho. Du stehst jetzt auf, weil – ich als deine persönliche Assistentin befehle es dir!«

      »Du befiehlst mir überhaupt nichts. Ich befehle dir jetzt erst mal, mir so ein Fischdings von da vorne in den Mund zu stecken. Weil – du bist meine Assistentin und du musst mir dienen, bis dass der Tod uns scheidet.«

      Solana öffnet kokett ihren Mund, immer noch auf dem Rücken liegend und alle viere von sich gestreckt.

      »Ich steck dir gleich MEIN Fischdings in den Mund, wenn du nicht sofort aufstehst.«

      »Oh Baby, gib mir dein Fischdings«, haucht Solana lasziv und räkelt sich auf dem Teppich. Ana steigt gleich drauf ein.

      »Uuuuh, oh Gott, warte, ich besorg es dir. Ich will es dir geben. Sorry, aber ich glaub, ich halte es nicht mehr aus, es kommt mir … es kommt dir gleich voll ins Gesicht«, stöhnt sie mit gespielter Lüsternheit, schleicht sich zum Cateringtisch, grabscht eine der dünnen Sashimi-Scheiben vom Teller, nimmt Solanas Gesicht ins Visier und landet den totalen Volltreffer. Der rohe Fisch bleibt auf Solanas Stirn pappen. Die muss wieder voll lachen, springt jetzt aber mit gerade noch für unmöglich gehaltener Energie auf und jagt Ana im Kreis durch die Garderobe.

      »Bitch, ich mach dich so alle, du bist so dermaßen tot, du kannst dich morgen krankschreiben lassen …«

       3

      Das donnernde Geräusch beim Einfahren der Züge hatte Solana regelmäßig zusammenzucken lassen. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum Züge so schnell in den Bahnhof rasen. In New York fuhren die Bahnen mit Lichtgeschwindigkeit und hielten erst in der allerletzten Sekunde kurz vor der Markierung. Solana bekam jedes Mal einen Herzinfarkt.

      Auch die Katakomben der Arena erinnern an einen U-Bahnhof, es gibt bloß keine Graffitis oder Werbebilder, alles – die Wände, die Decken, die Böden – erstrahlt in sterilem Weiß, und von oben brummen die Bässe, als würde der L Train in Dauerschleife über ihre Köpfe hinweg rasen.

      Die Bässe sind ihr Einsatz. Das Zeichen zum Loslaufen, damit sie rechtzeitig zur ersten Strophe von I started walking auf der Bühne ist.

      Ana ist bis zur letzten Sekunde bei ihr. Erst kurz vor der Treppe, die nach oben führt, verabschieden sich die beiden. Ana umarmt sie dann noch einmal, sagt aber nichts, weil das Mikro schon an ist und die ganze Arena sie hören würde. Dann verschwindet Ana in den Katakomben und Solana muss alleine hinauf ins Blitzlicht. Ihre Tänzer und Musiker warten in der Versenkung am hinteren Bereich der Bühne, werden erst zum zweiten Song hochgefahren.

      Mittlerweile ist es fast zehn Jahre her, dass sie Ana kennengelernt hatte, und Solana muss immer an den L Train denken, wenn sie mit Ana durch die Katakomben der Arenen läuft und die Bässe über ihnen brummen. Weil ihre ersten Wochen in New York untrennbar mit dem L Train verbunden sind.

      Die sieben Stationen von der Jefferson Street bis zur Bedford Avenue waren eine Reise in eine andere Welt. Der Weg zur U-Bahn führte durch den Maria Hernandez Park, über den gepflasterten Platz mit dem Papageienbild auf dem Boden, vorbei an den Skatern, hin zu der Station, die wegen des pastellfarbenen Designs und der altmodischen Mosaikbilder auf den gekachelten Wänden fast ein bisschen berühmt war. Bushwick war damals noch wie aus der Zeit gefallen. Nichts deutete in irgendeiner Weise auf Fortschritt hin. Die Straßen waren grau und die Häuser verfallen. Man hatte Angst, dass einem das Haus auf den Kopf fiel, sobald man eine Tür öffnete. Solana bewohnte ein kleines Zimmer in einer dieser Abrissbuden mit Bad auf dem Flur, Schimmel an den Wänden, Geschrei auf den Gängen …

      Williamsburg hingegen war eine ganz andere Welt. Wenn Solana an der Bedford Avenue ausstieg und die kleine Treppe zur Straße hochlief, wähnte sie sich wie in einem Film. Die Menschen bewegten sich viel selbstbewusster. Sie waren komplett von sich überzeugt. Solana arbeitete in einem der vielen Cafés der Gegend, die aber nicht mehr Cafés hießen, sondern Namen wie »Independent Coffee House« trugen.

      Die Cafés sahen altmodisch aus, aber nicht verwahrlost altmodisch wie die Häuser in Bushwick, sondern schick altmodisch, mit Vintagemöbeln, geschliffenen Böden aus Holz und Bücherregalen im Retrodesign, die mit Nippes, Kunst und Magazinen dekoriert waren. Die Kundschaft bestand aus jungen Müttern mit Yogamatten und Kreativen mit Bart und Brille, die auf ihre Laptops starrten und, wenn sie denn mal mit einem redeten, erzählten, dass sie gerade ein neues Projekt pitchten. Von der Kreativität sah Solana jedenfalls nie viel.

      Sie sah in erster Linie junge Schnösel, die die monatlichen Schecks ihrer reichen Eltern in Fünf-Dollar-Kaffee und Sandwiches investierten. Dafür war der Kaffee echter Kaffee und wurde in großen, altmodischen Tassen aus Porzellan serviert. Solanas Job war es, den Kaffee aus der silbernen, überdimensionierten Maschine, die nach jeder Anwendung aufs Neue gereinigt werden musste, in die überdimensionierten Tassen laufen zu lassen, um sie den jungen Kreativen servieren zu können. Die konnten stundenlang Kaffee trinken. Solana hatte keine Ahnung, ob die überhaupt irgendwas arbeiteten, manche saßen bloß da und starrten doof auf ihre Laptops. Den Kaffee aus der Maschine zu bekommen, war gar nicht so leicht.

      Am Kaffeeautomaten hing eine Anleitung, die die notwendigen Arbeitsschritte genauestens illustrierte, von der Aktivierung der Wasserkesselbeheizung über die Reinigung des Dampfrohres bis hin zur ordnungsgemäßen Platzierung des Plätzchens auf dem Unterteller neben der Kaffeetasse. Bei der Kaffeezubereitung durfte dem Personal – ganz wichtig – kein Fehler unterlaufen.

      Darauf achtete penibel ihr Chef Phil, ein bärtiger Mittdreißiger mit Flanellhemd und Cap, der sich selbst als gechillten, aber innovativen Geschäftsmann verstand. Doch leider war Phil, wie Solana fand, alles andere als gechillt und konnte einem sogar voll auf den Sack gehen, vor allem, wenn viel los war. So wie an jenem Samstag, an dem sie Ana, Fanta, Ninja und Patricia kennengelernt hatte, viel los war.

      Solana hatte eine Bestellung über fünf Milchkaffee, davon zwei mit Sojamilch, zwei veganen Donuts, eine Gemüse-Quiche, ein Putenbrust-Sandwich und einen Humus-Bagel aufgenommen und war jetzt am Kaffeeautomaten zugange, als Phil plötzlich hinter ihr aufzuckte.

      »Du,