Название | Ghosting |
---|---|
Автор произведения | Sebastian Ingenhoff |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955756147 |
Sie muss an den Film denken, den sie mit Ana gesehen hatte, der auch in Tokio spielt und in dem Bill Murray das gleiche Problem hat und nicht schlafen kann und mit Scarlett Johansson an der Bar abhängt. Sie fand ihn ganz gut, aber Ana meinte, der Film sei mega-rassistisch und die Art, wie die Japaner dargestellt würden, sei eine Frechheit.
Solana fand den Film gar nicht so rassistisch, so schlecht kämen die Chinesen doch gar nicht weg und das Szenario sei einfach nur realistisch. Für sie ist Bill Murray der coolste Schauspieler, den es gibt. Also für ein altes, männliches Weißbrot zumindest.
Ana entgegnete, dass sie Solana gleich einen Gong geben würde, wenn sie noch einmal Chinesen sagte, und dass Bill Murray natürlich ein cooler Schauspieler sei, aber in anderen Filmen sei er eben viel cooler gewesen. Zum Beispiel in Groundhog Day oder Ghostbusters oder The Royal Tenenbaums, nicht zu vergessen der Cameo-Auftritt in Zombieland, aber in dem Film hätte er einfach nicht mitspielen dürfen, auch wenn er dafür eine Oscar-Nominierung bekommen hatte, und daraufhin meinte Solana: »Halt doch einmal die Fresse mit deiner bekackten Klugscheißerei.«
Und Ana entgegnete: »Genau, wenn man keine Argumente hat, dann sagt man: Halt doch die Fresse. Bloß nicht diskutieren.«
Und Solana dachte: Diskutier doch mit meinem Arsch.
Natürlich nur im Spaß, weil sie Ana liebt wie fast niemanden sonst auf der Welt, weil Ana ihre beste Freundin ist, auch wenn Ana immer diskutieren will. Da kann sie ja nichts für. Dass sie eine Klugscheißerin ist. Ana ist nicht nur ihre beste Freundin, sondern auch ihre persönliche Assistentin. Außerdem konnte Solana dafür sorgen, dass Fanta und Ninja als Tänzerinnen eingestellt wurden, und so sind auch ihre zweit- und drittbesten Freundinnen auf Tour immer dabei. Ana kümmert sich um alles und soll sich jetzt gefälligst auch um ein bisschen Schlaf kümmern.
Sie legt die Hanteln beiseite und greift zu ihrem Handy.
Solana
Könnt ihr pennen?
Kaum eine Minute später vibriert es. Dann noch mal und schließlich ein drittes Mal.
Fanta
Voll im Arsch und hellwach
Ninja
Solana
Lounge in 10 Minuten?
Ana
Ninja
Solana streift sich den kurz geschnittenen, fast bauchfreien Hoodie mit der übergroßen Kapuze, dem kleinen Skorpion an der Seite und der Aufschrift scorpio by solana über, der perfekt auf die schwarze Trainingshose aus derselben Kollektion abgestimmt ist. Jene, die sie vor kurzem für einen bekannten Sportartikelhersteller gestaltet hat. Sie zieht sich die psychedelisch gemusterten Socken, die ein befreundeter Rapper für einen bekannten Sockenhersteller entworfen hat, über die Füße und schlüpft in ihre flachen, kirschblütenfarbenen Sneakers.
Eigentlich läuft sie nicht in aller Öffentlichkeit in der eigenen Kollektion durch die Gegend, andererseits ist es um die Uhrzeit mit der Öffentlichkeit noch weit hin, und außerdem ist Solana auch ein bisschen stolz auf ihre Kollektion. Schließlich hat nicht jeder eine eigene Jogginghosenkollektion, und wer eine eigene Jogginghosenkollektion hat, der hat auch die volle Kontrolle über sein Leben gewonnen, findet sie.
Sie war mehrfach gefragt worden, ob sie nicht eine Modelinie oder ein Parfüm oder wenigstens eine Unterhose auf den Markt bringen wolle und hatte immer abgelehnt. Das mit der Trainingshosen- und Schlabberpulli-Kollektion machte endlich Sinn, denn Solana liebt Trainingshosen und Schlabberpullis. Und wenn Trainingshosen und Schlabberpullis noch den eigenen Namen tragen und nach was aussehen dürfen, dann umso besser.
Hätte Solana die Jalousie nach oben gezogen, dann hätte sie in der Leuchtreklame schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, ca. fünfzig Meter Luftlinie, ihr eigenes Gesicht sehen können, glamourös und schwarzweiß in Szene gesetzt vom berühmten Fotokünstler Wolfgang Tillmans.
Es handelt sich um das Cover ihres aktuellen Albums Multiverse, mit dem sie seit vier Wochen auf Tour ist. Das heißt: seit vier Wochen Jetlag. Mal mehr, mal weniger. Erst Nord- und Südamerika, das ging noch. Dann nach Asien.
Am Schlimmsten ist es, wenn man längere Zeit von Westen nach Osten fliegt, da sich der Tag dann verkürzt und die Hormone komplett verrücktspielen. In der letzten Woche ging es von Manila über Singapur nach Delhi und von da aus wieder ostwärts zurück nach Japan. Das heißt: Mega-Jetlag.
Morgen das Konzert in Tokio. Dann zwei Tage Los Angeles und von da aus weiter nach Europa. Das ist ziemlich weit östlich von Los Angeles gelegen. Manchmal hilft Kiffen gegen Jetlag, aber bei so vielen Zeitzonen macht das Kiffen den Kopf auch nicht mehr müde.
Solana mag Kiffen ganz gerne, vor allem gegen Jetlag, aber sie ist nichts im Vergleich zu Ana. Denn wenn eine den Kiffer-Nobelpreis bekommen müsste, dann Ana.
Sie nimmt sich einen Apfel aus der Obstschale auf dem Glastisch, macht das Licht im Schlafzimmer aus, kramt ihre kleine, kastanienbraune Louis-Vuitton-Tasche beisammen und verlässt die Suite. Roger, ihr Personenschützer, pennt im Sitzen. Er schreckt auf, als Solana die Tür schließt.
»Geh mir mal kurz die Beine vertreten.«
»Soll ich mitkommen?«
»Brauchst du nicht.«
»Wirklich nicht?«, fragt Roger. Denn wenn Solana etwas zustößt, ist er der Erste, dem der Kopf abgerissen wird. Aber sie ist eben ein Dickkopf. Das hat er mittlerweile kapiert.
»Wirklich nicht«, entgegnet Solana und macht sich Richtung Fahrstuhl auf.
Das Hotel ist für ihren Geschmack ein bisschen arg esoterisch eingerichtet, so wie es seit einigen Jahren Trend geworden ist, dass Luxushotels nicht mehr vulgär glit zerndglamourös daherkommen, sondern Naturverbundenheit vermitteln, indem exotisches Grünzeug, Wasserkaskaden, Bambus- und Teakholzspielereien, ja teilweise ganze Wälder in die Lobby und auf die Etagen verfrachtet werden.
Auch in diesem Hotel wechseln sich Design und Naturkitsch ab. Der halbtransparente Glasaufzug hat einen weichen, rasenartigen Fußboden und erstrahlt, sobald man ihn betritt, in warmen, organischen Farben, die wahrscheinlich auch aus den Tiefen des Ozeans stammen. Solana drückt den Knopf Richtung Lounge. Unten trifft sie auf Fanta, die ihre Haare unter einer schwarzen Wollmütze versteckt hat und müde vor sich hin schlurft.
Die Lounge ist in elegantes Schwarz getaucht, um jeden der kleinen Tische sind vier Sessel aus mattem Leder gruppiert. Sie ist glücklicherweise die ganze Nacht geöffnet, im Gegensatz zur molekularen Tapas-Bar, in der einem kleine Snacks aus allerlei obskuren Gemüsesorten, Tieren und Pflanzen vor den eigenen Augen zubereitet werden. Die anderen Bars und Restaurants sind bereits geschlossen.
Ana und Ninja haben sich in die Sessel gefläzt. Ansonsten ist die Lounge bis auf einen europäisch aussehenden Geschäftsmann, der in sein Tablet vertieft ist, leer.
»Fuck, ich habe noch nicht eine Minute gepennt«, schimpft Ana und putzt genervt ihre Brille.
»Ich lern schon Japanisch. Kein Scheiß, ich habe so einen japanischen Horrorfilm angefangen mit Untertiteln. Ich weiß schon, was Folter heißt, nämlich gōmon suru«, sagt Fanta. »Komm, sagt mal: gōmon suru!«
»Alter, ich folter dich gleich«, entgegnet Ninja und lässt etwas unmotiviert, da gleichfalls übermüdet, ihre Faust knacken.
»Haben wir wirklich nichts zum Rauchen da? Ich dreh durch«, sagt Solana.
»Wo willst du denn hier was herkriegen?«, fragt Ninja.
»Irgendwer