Homilien über den Brief an die Hebräer. Johannes Chrysostomos

Читать онлайн.
Название Homilien über den Brief an die Hebräer
Автор произведения Johannes Chrysostomos
Жанр Документальная литература
Серия Die Schriften der Kirchenväter
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783849660178



Скачать книгу

Bindegewalt, die wir besitzen, gering achten wollte, der lasse sich wieder von Christus belehren mit den Worten: „Was ihr binden werdet auf Erden, Das soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr lösen werdet auf Erden, Das soll auch im Himmel gelöset sein.“86 Denn sind auch wir elend und Nichts und der Geringschätzung werth, wie wir es wirklich nicht besser verdienen, so suchen wir doch keine Rache, geben dem Zorn nicht Raum, sondern eifern nur für das Heil euerer Seele. Ich bitte: erröthet und schämt euch! Denn wenn schon Jemand einen Freund, der über Gebühr Vorwürfe spendet, unter Berücksichtigung der guten Absicht, und weil er wohlgesinnt und ohne Anmaßung handelt, geduldig erträgt, so müßt ihr um so mehr einen Lehrer, der sich tadelnd ausspricht, und zwar einen Lehrer, der nicht mit Selbstgefühl, nicht wie ein gebietender Herr, sondern wie ein fürsorglicher Vater seine Worte vorbringt, in Liebe ertragen. Wir sagen Das nicht in der Absicht, unsere Macht zu zeigen; denn wir wollen ja gar nicht, daß ihr diese aus Erfahrung erprobet, sondern sagen es aus Schmerz und Betrübniß. Nun so habet denn Nachsicht und verachtet nicht die kirchliche Bindegewalt. Denn nicht ein Mensch ist es, der bindet, sondern Christus, welcher uns diese Macht verlieh und Menschen zu Inhabern einer so großen Ehre erhob. Wir wünschen, daß diese Macht für uns nur eine Lösegewalt sei, oder vielmehr unser Verlangen ist es, dieselbe nie gebrauchen zu müssen; denn wir wünschen, daß bei uns Niemand unter dem Banne lebe. Wenn wir auch gar Nichts sind, so elend und armselig sind wir denn doch nicht. Sollte man uns aber zu dieser Maßregel zwingen, so habet Nachsicht; denn wir binden nicht gerne und willig, sondern empfinden dabei einen größeren Schmerz als ihr, die Gebundenen selbst. Sollte aber Jemand diese Bande verachten, so wird der Tag des Gerichtes erscheinen, der ihn dann darüber belehrt. Das Übrige will ich nicht weiter besprechen, um euer Herz nicht zu verwunden. Zuerst beten wir, daß wir nicht genöthiget werden; sollte es aber nothwendig sein, dann erfüllen wir unsere Pflicht und sprechen den Bann aus. Bricht nun Jemand denselben, so habe ich das Meinige gethan und bin von der Rechenschaft frei; du aber hast es dann mit Dem zu thun, der mir den Befehl gab, zu binden. Denn wenn ein König zu Gericht sitzen und einem Soldaten der Leibwache den Befehl geben würde, irgend Einen aus der Cohorte zu binden und in Fessel zu legen, Dieser aber den Beauftragten nicht nur von sich schlüge, sondern auch die Fessel zerbräche: so wäre es nicht so sehr der dienstthuende Soldat, welcher den Übermuth erduldet, als vielmehr der König, welcher den Befehl ertheilt hat. Wenn Gott Das, was gegen die Gläubigen geschieht, so ausnimmt, als würde es ihm selber zugefügt, um wie viel mehr wird er, wolltet ihr die mit dem Lehramte Betrauten übermüthig verletzen, sich selbst auf solche Art verletzt halten? Möge doch Keiner von dieser Kirche in den Fall kommen, diese Bindegewalt an sich erfahren zu müssen! Denn wie es schön ist, nicht zu sündigen, so ist es ersprießlich, Tadel hinzunehmen. Ertragen wir also die Rüge und geben wir uns Mühe, keine Sünde zu begehen; haben wir aber gefehlt, dann wollen wir auch den Tadel hinnehmen. Denn wie es gut ist, nicht verwundet zu werden, wenn Dieß aber geschieht, ein auf die Wunde gelegtes Heilmittel zweckdienlich ist, so ist es auch hier. Aber möge es doch nie geschehen, daß solche Heilmittel gebraucht werden müssen. „Von euch aber versehen wir uns Besseres, und was auf das Heil abzielt, obgleich wir so reden.“87 Wir haben aber so entschieden gesprochen, damit ihr um so sicherer seid. Denn es ist besser, daß ich von euch als kühn, hart und anmaßend beargwohnt werde, als daß ihr thut, was Gott nicht gefällt. Wir vertrauen auf Gott, daß diese Strafrede für euch nicht ohne Nutzen sein werde, sondern daß ihr euch so umändern werdet, daß diese Worte als eine Lobrede für euch gelten können und zu euerer Ehre gereichen. Möchten wir doch nach Gottes Wohlgefallen unser Leben einrichten, damit wir alle gewürdiget werden, der Güter theilhaftig zu werden, die Gott Denen verheissen hat, die ihn lieben, in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

      Fünfte Homilie.

       I.

      

       16.17. Denn nirgends kommt er Engeln zu Hilfe, sondern dem Samen Abrahams kommt er zu Hilfe. Darum mußte er in Allem seinen Brüdern gleich werden.

      Da Paulus die große Barmherzigkeit Gottes und seine Liebe gegen das Menschengeschlecht darstellen will, unterzieht er nach den Worten: „Da nun die Kinder Fleisches und Blutes theilhaftig geworden sind, so hat auch er gleichfalls sich derselben theilhaftig gemacht,“ diese Stelle einer näheren Erörterung, indem er sagt: „Denn nirgends kommt er Engeln zu Hilfe.“ Nimm diese Worte nicht so schlechthin und betrachte es nicht als eine unbedeutende Sache, daß er unser Fleisch angenommen, denn nicht Engeln hat er diese Gnade erwiesen, weßhalb er auch sagt: „Denn nicht Engeln kommt er zu Hilfe, sondern dem Samen Abrahams kommt er zu Hilfe.“ Was ist Das, was er sagt? Nicht die Natur eines Engels nahm er an, sondern die menschliche. Was bedeutet der Ausdruck: „kommt zu Hilfe“? Nicht die Natur der Engel, sagt er, hat er gewählt, sondern die unsere. Warum aber sagt er denn nicht: „Er hat angenommen,“ sondern bedient sich des Ausdruckes: „kommt zu Hilfe“? Dieser bildliche Ausdruck ist von der Art und Weise Derjenigen entlehnt, welche Solche verfolgen, die sie zur Rückkehr veranlassen wollen, und die Alles aufbieten, die Flüchtlinge zu erfassen und, die entrinnen wollen, festzuhalten. Denn der von ihm wegeilenden Natur, die von ihm weit sich entfernte (denn88 „wir waren Gott entfremdet und ohne Gott in der Welt“), ist er nachgefolgt und hat sie festgehalten. Hieraus beweist er, daß einzig die Menschenfreundlichkeit, die Liebe und die Fürsorge (Gottes) Dieses gethan hat. Wie er daher in den Worten: „Sind sie nicht alle dienende Geister, ausgesandt zum Dienste um Derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen?“89 seinen großen Eifer um das Wohl der menschlichen Natur zeigt, und wie sehr Gott für dasselbe besorgt sei: so ist auch Das, was er hier durch einen Vergleich zeigt, noch viel größer; denn „nicht Engeln,“ sagt er, „kommt er zu Hilfe.“ Denn es ist in der That etwas Großes. Wunderbares und Erstaunliches, daß nun Fleisch von unserem Fleische in der Höhe thronet und angebetet wird von Engeln und Erzengeln, von den Seraphim und den Cherubim. Wenn ich Dieß manchmal in meinem Geiste erwäge, gerathe ich ganz ausser mich und verliere mich in erhabene Gedanken über das Menschengeschlecht; denn ich sehe die großen und glänzenden Vorspiele90 und die große Sorgfalt Gottes für unsere Natur. Und er sagt nicht einfach: „Den Menschen ist er zu Hilfe gekommen,“ sondern weil er sie erheben und zeigen wollte, daß ihr Geschlecht groß und ehrenvoll sei, spricht er: „sondern dem Samen Abrahams kommt er zu Hilfe.“

      „Darum mußte er in Allem seinen Brüdern gleich werden.“ Was heißt Das: „in Allem“? Er wurde geboren, will er sagen, genährt, wuchs heran, duldete Alles, was nothwendig war, und endlich starb er; das heißt „in Allem den Brüdern gleich werden“. Denn nachdem viel über seine Majestät und seine göttliche Ehre gesagt worden war, verbreitet er sich in der ferneren Rede über die Menschwerdung; und da staune über die Klugheit und Kraft, womit Dieß geschieht, wie er es als die Frucht seiner großen Liebe darstellt, daß er uns gleich geworden; was ein kräftiger Beweis seiner großen Fürsorge war. Denn nachdem er oben gesagt: „Da nun die Kinder Fleisches und Blutes theilhaftig geworden sind, so hat gleichfalls auch er sich derselben theilhaftig gemacht.“ spricht er nun hier, „daß er in Allem den Brüdern gleich geworden sei,“ als wollte er sagen: Er, der so groß und der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist, der die Welt erschaffen hat und sitzet zur Rechten des Vaters, wollte in liebevoller Fürsorge in Allem unser Bruder werden, und darum verließ er die Engel und die himmlischen Mächte und stieg zu uns herab und kam uns zu Hilfe. Erwäge, wie viel Gutes er uns gethan hat! Er hat den Tod vernichtet, uns aus der Tyrannei des Teufels errettet und von der Knechtschaft befreit und dadurch, daß er unser Bruder geworden, uns hochgeehrt, aber nicht allein durch seine Bruderschaft, sondern auch durch unzähliges Andere uns ausgezeichnet; denn er wollte auch unser Hohepriester beim Vater sein; Paulus fügt nämlich bei: „Damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott.“ Darum, will er sagen, hat er unser Fleisch angenommen, nur aus Menschenfreundlichkeit, damit er sich unser erbarme; denn es besteht kein anderer Grund der Erlösung als nur dieser allein. Er sah nämlich, wie wir darniederlagen, in Gefahr waren, zu Grunde zu gehen, unter der Tyrannei des Todes standen, - und er erbarmte sich. „Um zu versöhnen,“ heißt es, „die Sünden des Volkes, damit