Seewölfe - Piraten der Weltmeere 579. Burt Frederick

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Название Seewölfe - Piraten der Weltmeere 579
Автор произведения Burt Frederick
Жанр Языкознание
Серия Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954399864



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erschrak.

      Dieser hilflose, anscheinend bewußtlose Mann hatte die Statur seines Vaters.

      Sie bewegten sich auf leisen Sohlen. Deshalb war deutlich zu hören, wie die Kappen seiner einfachen Schnallenschuhe über das Steinpflaster schleiften.

      Die Kerle schlichen stadteinwärts davon.

      Guilielmos Erschrecken wuchs zur Panik. Etwas wie ein glühender Klumpen füllte seinen Magen aus.

      Jeden Tag hatten sie damit gerechnet, daß Don Vito seine Schergen schicken würde. Guilielmo preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Ausgerechnet jetzt, als sein Vater allein gewesen war, hatte es geschehen müssen!

      Kurz entschlossen löste er sich aus dem Hauseingang und folgte den Kerlen mit lautlosen Schritten. Die Dunkelheit schützte ihn. Sie würden ihn nicht entdecken. Er kannte sich mindestens genausogut aus wie sie, wenn nicht besser. Dies war das Hafengebiet, sein zweites Zuhause. Hier konnte ihm niemand ein Schnippchen schlagen. Er kannte alle verborgenen Wege, jeden geheimen Winkel, jede Abkürzung.

      Mit einem Abstand von dreißig bis vierzig Schritten blieb er hinter den Kerlen, von denen er überzeugt war, daß es Borsinis Handlanger waren. Sie schleiften seinen Vater noch immer. Neues Entsetzen durchzuckte ihn.

      Hatten sie ihn womöglich getötet?

      Nein, ausgeschlossen, unmöglich. Das konnten sie nicht tun. So weit waren sie noch niemals gegangen. Gewiß, sie hatten ihre Opfer verprügelt, sie blutig geschlagen – in den schlimmsten Fällen. Aber vor eiskaltem Mord waren sie bisher immer noch zurückgeschreckt.

      Niemand begegnete den Kerlen, als sie nach wenigen Minuten in einen anderen Hinterhof schlüpften. Es handelte sich um die Faktorei eines spanischen Handelsmannes, den Guilielmo gut kannte. Der Spanier lebte in einem Stadthaus wie die Modugnos. Um diese Zeit würde in der Faktorei also niemand mehr anwesend sein.

      Guilielmo verlangsamte seine Schritte. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Die Angst hämmerte in seinem Brustkorb. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er konnte nicht so verrückt sein, zu versuchen, es mit sieben Gegnern aufzunehmen.

      Es lief darauf hinaus, daß er nichts tun konnte, um seinem Vater zu helfen. Eine Tatsache, die ihn fast um den Verstand brachte.

      Der Hof der Faktorei war mit einer Steinmauer eingefriedet. Guilielmo schob sich an der Fassade des Haupthauses vorbei und stieg vorsichtig auf den Sockel der Umfassungsmauer.

      Indem er sich an den Rundsteinen der Mauerkrone festhielt, zog er sich so weit hoch, daß er einen vorsichtigen Blick riskieren konnte. Zum Glück gab es in der Nähe keine Laterne, deren Licht ihn verraten hätte.

      Eine Klinge blitzte.

      Ein Dolch.

      Mit knapper Mühe konnte Guilielmo verhindern, daß er aufschrie. Im nächsten Moment war alles an ihm wie gelähmt – seine Muskeln, seine Stimmbänder.

      Sie hatten seinen Vater auf den Boden gelegt. Einer stach auf ihn ein, immer wieder.

      Oreste Modugno bäumte sich nur kurz auf, erwachte aber nicht wieder aus seiner Bewußtlosigkeit.

      Tränen rannen über Guilielmos Wangen. Er haßte sich dafür, daß er nichts tat – dafür, daß er zusah, wie sein Vater getötet wurde und dafür, daß er es als einen völlig normalen Vorgang hinnahm. Himmel, er stand einfach da, lugte über die Mauer und sah seinen Vater sterben!

      Er begriff in diesem Moment nicht, daß es ein Rest von Vernunft war, der ihn davon abhielt, sich ins Verderben zu stürzen. Ein Instinkt bewahrte ihn vor dem sicheren Tod. Dieser Instinkt war es auch, der sich nach und nach durchsetzte und ihn die Lage überblicken ließ.

      Er hätte den Tod seines Vaters unter keinen Umständen verhindern können. Dazu war die Übermacht zu groß. Ihm blieb nur, Rache zu üben. Um das tun zu können, durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das Geschäft galt nichts mehr. Sein künftiges Leben würde auf die Rache ausgerichtet sein.

      Er würde nur noch dafür leben, Don Vito Borsini zu vernichten.

      Das schwor er sich in diesem Augenblick, während er beobachtete, was sie taten.

      Aus einer Remise holten sie einen zweiachsigen Frachtwagen. Andere führten gleichzeitig ein Pferd aus dem Stall ins Freie, dirigierten es in die Gabel und schirrten es an. Dann packten alle mit an, um den langen Steintrog auszuleeren, der als Tränke gedient hatte.

      Einer öffnete die Heckklappe des Wagens, und dann wuchteten sie den schweren Trog auf die Ladefläche.

      Sie zogen Ketten unter dem Trog hindurch.

      Guilielmo Modugno begriff, noch bevor sie seinen toten Vater auf den Wagen hoben. Der Steintrog sollte sein Sarg werden. Sie senkten ihn hinein und spannten die Ketten über seinen leblosen Körper, indem sie Kettenglieder ineinanderschoben und mit Stahlsplinten sicherten.

      Ohnmächtiger Zorn schnürte Guilielmos Kehle zu. Er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

      Welche Art von Grab hatten sie für seinen armen Vater vorgesehen?

      Es gehörte keine große Phantasie dazu, sich das auszumalen.

      Die Kerle legten eine Persenning über den Trog mit dem Toten. Zwei Mann stiegen auf den Kutschbock, und der Rest folgte dem Wagen zu Fuß. Sie hatten sich im Hof der Faktorei mit der größten Selbstverständlichkeit bedient.

      Mit ebensolcher Selbstverständlichkeit fuhren sie durch die abendlichen Straßen. Kein Stadtgardist wäre eingeschritten, wenn er das Geschehen auf dem Grundstück der Faktorei beobachtet hätte. Und kein Stadtgardist hätte gewagt, Borsinis Schergen mit ihrer Todesfracht unterwegs anzuhalten.

      Der spanische Handelsmann, dem die Faktorei gehörte, steckte nicht etwa mit Don Vito unter einer Decke. Nein, der Spanier wurde genauso unterdrückt wie Oreste Modugno und die vielen anderen.

      Die wenigen Menschen, die dem Frachtwagen auf seinem Weg zum Hafen begegneten, wichen rechtzeitig aus, denn sie erkannten von weitem, um welche Sorte Kerle es sich handelte. Niemand riskierte, sich unnötig der Willkür dieser Halunken auszusetzen.

      Guilielmo hielt sicheren Abstand, und er verstand es, rechtzeitig in Torwege und Hauseingänge zu schlüpfen. Bisweilen drehten sich die Kerle am Schluß der Kolonne um, obwohl sie doch nichts und niemanden in der Stadt zu fürchten hatten.

      Guilielmo wunderte sich ein wenig über dieses Verhalten, denn normalerweise führten sie sich selbstherrlich auf – voller Verachtung allen Schwächeren gegenüber.

      Auf ihrem jetzigen Weg zum Hafen aber schienen sie zu befürchten, verfolgt zu werden.

      Von wem?

      Guilielmo Modugno dachte nicht weiter darüber nach, als sie durch ein Gewirr von Gassen eins der abseits gelegenen Hafenbecken erreichten. Eine menschenleere Gegend. Nur Lagerhäuser säumten die Kais. Bei den vertäut liegenden Wasserfahrzeugen handelte es sich ausnahmslos um Lastkähne, die für Zubringerdienste verwendet wurden. Bewacht wurden diese Kähne nicht, da sie praktisch nur aus einem einzigen großen Laderaum bestanden und nichts Wertvolles an Bord hatten.

      Es gab keine Laternen an den Kais. Doch Guilielmos Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, begünstigt durch das blasse Licht von Mond und Sternen.

      Der Frachtwagen hielt unmittelbar am Kai. Guilielmo prägte sich das Äußere des Mannes ein, der die Befehle gab. Er hatte auf dem Kutschbock gesessen. Ein hagerer Kerl, dessen linkes Auge geschlossen war. Wahrscheinlich fehlte ihm das Auge ganz. Auf dem Kopf trug er eine runde, schirmlose Ledermütze.

      Sie ließen den Steintrog mittels Seilen in einen Lastkahn hinunter. Über eine in die Kaimauer eingelassene Steintreppe enterten sechs Kerle, bis auf den Anführer, anschließend ab. Guilielmo sah sie wenig später weit draußen im Hafenbecken. Zwei Boote. In dem einen hockten die Kerle und pullten. Auf die Duchten des anderen hatten sie den Trog geschoben.

      Draußen brachten sie das zweite Boot kurzerhand zum Kentern, und der steinerne Sarg