Название | Sommerleithe |
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Автор произведения | Klaus Weise |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783939483618 |
Aber so etwas wie bei Monika hatte ich noch nie gesehen, und nie hätte ich vermutet, dass da unten so etwas wachsen könne. Wachstum ist nur möglich, wo die Sonne scheint, und dass bei Monika da unten die Sonne scheinen sollte, das konnte ich mir nicht vorstellen. Andererseits: Auch Champignons wachsen im Dunkeln. Ich war machtlos: Ich konnte den Blick zwischen Monikas Schenkel nicht abwenden – und entdeckte zu spät, dass sie mich längst im Visier hatte. Ich war mir unsicher, ob sie mich, weil ich ja nach links schaute, also dorthin, wo rechts zwischen Haut und Babydoll der schwarze Haarstrunk hervorlugte, also zu der Seite, auf der ihr rechtes Auge nach rechts außen wegschaute, ob sie also mit ihrem gebrochenen Blick wirklich sehen konnte, wohin genau ich schaute, so wie ich mir auch im Unklaren darüber war, ob sie, wenn sie durch den Feldstecher sah, sah, was Renate und ich sahen, oder ob sie mit dem rechten Auge nach außen um die Ecke gucken und etwas meiner Schwester und mir Verborgenes erspähen konnte. Als ich die Augen hob, rannte mein Blick in den ihren, und mir schien, als lächelte Monika und genoss, was sie in mir verursacht hatte und wovon ich, im Gegensatz zu ihr, bestenfalls den Anflug einer Ahnung hatte, die zu benennen mir die Worte fehlten.
Meist bin ich irgendwann eingeschlafen und habe den Höhepunkt verpasst, dem meine Schwester und Monika – Hermann mit Familiennamen – den ganzen Samstagabend entgegenfieberten: Mit welcher Bekanntschaft würde Max die Freitreppe emporsteigen und im sogenannten Gesellenzimmer verschwinden, und mit welcher würde Rudi in den VW steigen? Waren es dieselben wie am vergangenen Samstag oder neue, und wenn neue – so galt es vermutlich herauszufinden –, welche war die attraktivere von beiden, und was hätten sie, Renate und Monika, zu tun, um ebenso attraktiv zu sein wie diese? Vielleicht wussten meine Schwester und ihre Freundin, was nun, war die Tür verschlossen, auf der Stube über dem Arbeitsraum, in dem tagsüber Rinderviertel und Schweinehälften mit Messer und Säge zerlegt wurden, geschah. Ich wusste es damals nicht. Und ebenso wenig wusste ich, was im Volkswagen geschah, nur, dass die beiden Schäferhunde immer zu winseln und zu jaulen begannen, als wollten sie auch gerne einmal in Rudis schickes Cabrio steigen, um woandershin zu fahren.
Ich erinnere mich aber, dass meine Mutter und die Putzfrau, Frau Schubert – die komischerweise, sie waren ja keine Zwillinge, sondern Mann und Frau, die gleiche grüne Lederjacke trug wie ihr Mann, vielleicht gab es sie im Doppel billiger – die Betten der Gesellen mit weicher, blümchenverzierter Baumwollbettwäsche bezogen, die kuscheliger war als die mir vertraute weiß gestärkt harte. Ich bat Mutti, auch mein Bett mit dieser Bettwäsche zu beziehen, die sich auf der Haut so zart anfühlte – und sie, lieb wie sie war, tat es.
Walter Diercks war der Wirt der Lasterhöhle Paradiso, in der die Kapelle, das sich drehende bunte Licht, Zigaretten, Alkohol, Lippenstift, pomadisiert glänzende und trocken hochtoupierte Haare, miteinander verschlungene Körper und neugierige Hände ihr Bestes gaben und in der die eine oder andere feste Beziehung angebandelt wurde. Aber nicht für ihn. Nicht für Walter. Er war geschieden, hatte einen Sohn, einen recht dicklichen Sohn, und zwei kälberähnliche schwarz-weiß getupfte Deutsche Doggen, und, das war das Besondere, er fuhr einen Ford Taunus 17 M, genannt Die Badewanne. Sie war nicht nur moderner und schöner als unser Opel Rekord 1. 7 L, der zwar über Weißwandreifen verfügte (wichtig, weil sie Sauberkeit demonstrierten), über vier Türen, Schiebedach und Blaupunkt-Autoradio, aber vor allem hatte sie, worauf es ankam: Sie fuhr schneller. Und gab damit sogar noch an: Sie hatte einen Tacho mit einer unglaublichen 160-km/h-Anzeige anstelle der läppischen 140 km/h, die der Tacho unseres Opels als Höchstgeschwindigkeit versprach. Nur 140 Sachen anstelle der sagenhaft schnellen 160! Jeder Popel fährt ’nen Opel, sagte mein Vater gern, und deswegen konnte ich nie verstehen, warum er sich ausgerechnet einen langweiligen Opel gekauft hat und nicht die wahnsinnig moderne Badewanne auf vier Rädern. Oder zumindest etwas Exotisches wie einen Ford Zodiac, den ich in Holland sah, wenn wir zur Nordsee fuhren oder nach Venlo, um Butter, Schokopaste und Schokostreusel einzukaufen.
Und noch etwas hatte Walter Diercks meinem Vater voraus: Auf der Herrentoilette der Gastwirtschaft gab es einen Automaten, den es auf unserem Klo nicht gab. Es war kein Zigarettenautomat – der stand in der Gaststube –, es war ein Automat für Pariser. Steckte man eine Mark hinein, konnte man eine Packung mit drei Parisern herausziehen. Ich wusste nicht ganz genau, wozu sie da waren, die Pariser, hatte allerdings aufgrund meiner Beobachtung und der Auskunft der Älteren einen vagen Eindruck. Wir konnten ihnen begegnen, wenn wir besonders hart geschossene Bälle aus der Hecke hinter unserem Bolzplatz, der an den Garten der Wirtschaft angrenzte, herausklauben mussten. Dort hingen sie unansehnlich im Gestrüpp, schlaffe, trüb verschmierte, hauchdünne und hell gelblich schimmernde Gummischläuche. Einmal habe ich meinen Vater gefragt, als wir nebeneinanderstehend auf der Herrentoilette pinkelten – auch wenn die Eltern im Pütt mit ihren Holzköppen kegelten, besuchte er gelegentlich das Paradiso, weil Walter Diercks guter Kunde war und er bei ihm im Gegenzug Rechnung machen musste –, was aus diesem Automaten herauskomme. Er wich aus, indem er sagte, das wisse er auch nicht, vermutlich Zigaretten, aber da er nicht rauche, könne er das nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber mit Bestimmtheit lügen, das konnte er. Er hat gelogen. Vati hat mich angelogen. Obwohl ausgerechnet er immer gesagt hat, in der Familie lüge, belüge und betrüge man sich nicht, sondern erzähle sich immer alles. Die Wahrheit.
Gut, dass ich es genauer wusste. Mir aber nichts anmerken ließ.
3.
Pari Banu
Die pochende Panik in meinem Herzen … ließ die wunderschöne klare Stimme einer Fee aus 1001 Nächten erklingen. Sie schwebte einher, und bunte, sanft im Wind wehende Tücher von Seide umwehten ihren Körper. Eine hübsche Melodie voller Anmut umschmeichelte mein Ohr, und die Schönheit ihres Feengesichts verzauberte meine Augen – wie sie jeden Sterblichen verzaubern würde, der sie zu sehen und zu hören bekäme. Schwebend und schwerelos war sie erschienen, stand sie vor mir in der Luft und sang für mich und meine Brüder Speck und Schinken und für meine Schwestern, die Würste, und der Blick ihrer Augen versprach uns das Paradies ewiger Glückseligkeit – wenn wir ihr nur folgen würden …
Jegliche Angst vor dem Absturz war verflogen. Noch hielt mich der feste Griff meiner Hände davon ab, vom Wursthimmel auf den Steinboden zu fallen, doch ich spürte bereits, wie sich meine Hände langsam lockerten, um der Fee zu folgen, wohin sie mich auch entführen würde. Doch bevor ich die Hände öffnen konnte, entdeckte ich in ihrem Gesicht das Gesicht meiner Schwester, als hätte es sich in einer tieferen Schicht hinter dem ihren verborgen. Auch sie lächelte, doch so, als hätte ich soeben den Griff meiner Hände gelöst und wäre nun ganz in ihrer Macht – als könnte sie mich abstürzen lassen, oder als sollte ich, von ihr bezirzt, ihr doch vertrauen und ihr durch die Lüfte in alle Schönheiten dieser und anderer Welten folgen … damit sie mich zu guter Letzt doch noch auf dem steinharten Fußboden unseres Fleischerreiches zerschellen lassen konnte? Die Wiederkehr der immer gleichen und schönen Melodie, die sich in einem sanften Kreis drehte und drehte und die mich und jeden, der sie hätte hören können, langsam eingelullt, schläfrig und willenlos gemacht hätte, machte mich stutzig. Reflexartig, wie ich den schwarzen Spieß gegriffen hatte, als Oswalds Arme mich in den Fleischhimmel hoben, verschloss ich meine Finger zu einer Faust, um mein Leben in den Händen zu behalten und nicht unmerklich in den Schlaf zu sinken und abzustürzen.
Meiner Schwester war nicht zu trauen. Vier Jahre älter als ich, war sie mir überlegen. Sie durfte in die Schule, ich musste in den Kindergarten. Ich spürte die Gefahr, die