Der Fluch der Dunkelgräfin. Simona Turini

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Название Der Fluch der Dunkelgräfin
Автор произведения Simona Turini
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958693524



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gefunden hatte. Eine Ausbildung, das müssen Sie sich mal vorstellen! Das Land lag in Trümmern, man kämpfte ums Überleben, aber ich, eine einfache Bauerstochter aus dieser unbedeutenden Familie, durfte in einer der Bedienstetenkammern in diesem schönen großen Haus wohnen.

      Das Kloster diente, wie so viele andere in jenen harten Zeiten, auch als Hospital, und die Ordensschwestern und wir Pflegeschülerinnen taten alles, um den Kranken und Verletzten beizustehen.

      Ich lernte, was man als Pflegerin können muss. Und ich putzte, wusch die Patienten, verband ihre Wunden und verteilte die Medikamente. Ich sprach mit ihnen, wann immer ich ein wenig Zeit dafür hatte. Das ist wichtig, wissen Sie: Wenn man krank ist, braucht man jemanden, der sich kümmert. Es ist wichtig für die Heilung, dass ab und zu jemand fragt, wie man sich fühlt. Oder ob man etwas braucht. Das war meine Aufgabe: den Patienten bei der Heilung helfen.«

      »Sie waren nur eine Pflegehelferin?«

      »Genau, nur eine Pflegehelferin.

      Dr. Bromer war ein wahrer Heiler, der beste Arzt im ganzen Hospital. Ich glaube manchmal, er war der Einzige, der wirklich etwas für die Kranken tun konnte. Er war so zärtlich, so fürsorglich und aufmerksam. Besonders zu den Frauen, die zu uns kamen.

      Dr. Bromer war Gynäkologe, aber natürlich musste bei uns jeder alles können.«

      »Warum das?«

      »Na, weil wir so wenige waren. Es waren harte Zeiten, jeder wurde gebraucht. Es gab nicht allzu viele Ärzte, die während und nach dem Krieg arbeiten konnten.

      Dr. Bromer waren die Kämpfe erspart geblieben, weil er so kurzsichtig war. Er war nahezu blind, nur mithilfe seiner dicken Brille konnte er sehen, und dann auch nur Dinge in seiner Nähe. Jeder wusste es, und Dr. Bromer wusste, dass sich alle mehr oder weniger offen darüber lustig machten. Dr. Maulwurf nannten sie ihn, oder Dr. Blindschleiche.

      Dumme kleine Scherze machten sie, auf Kosten eines Genies. Ich habe nie über den Doktor gelacht, oder ihm einen solch geschmacklosen Namen gegeben. Sie wussten alle nicht, was er durchmachen musste. Sie wussten doch alle nichts!«

      Die Zeugin erregt sich sehr und erhebt die Stimme.

      »Wollen Sie eine Pause machen?«

      Die Zeugin nickt. Zehn Minuten Pause.

      »Was wissen Sie über das Privatleben von Dr. Bromer?«

      »Er war verheiratet und hatte einmal eine Tochter gehabt, Melissa, die mit multiplen Fehlbildungen zur Welt gekommen war. Was für ein schlimmer Ausdruck ist das.

      Ich war zu der Zeit aber noch nicht im Hospital, man hat mir nur davon erzählt.

      Melissa konnte sich nicht richtig bewegen, sie hat angeblich nicht einmal geweint. Immer nur gewimmert, ganz leise. Wie ein kleines, verletztes Tier.

      Man kann ja immer mehr Krankheiten behandeln, aber als Melissa geboren wurde, konnte man nichts tun, es tobte ja noch der Krieg. Man konnte nur hoffen, dass das Kind überleben und sich das Problem auswachsen würde. Aber das passierte natürlich nicht.«

      »Wissen Sie, was für Fehlbildungen das Kind hatte?«

      »Keiner sprach gerne über die genaue Natur von Melissas Behinderungen, aber einige der Ordensschwestern erwähnten eine der vielfältigen Prüfungen Gottes. Ich glaube, so spricht man nur über ein besonders hartes Schicksal. Nun, auf jeden Fall starb die Kleine schon nach wenigen Wochen.«

      »Und zu diesem Zeitpunkt, der Geburt und dem frühen Tod der Tochter von Dr. Bromer, waren Sie noch nicht in dem Hospital?«

      »Nein, damals noch nicht. Ich fing erst einige Monate später dort an.«

      »Wann erfuhren Sie von den Machenschaften des Doktors?«

      »Machenschaften?«

      Die Zeugin runzelt die Stirn.

      »Als er mich das erste Mal ins Vertrauen zog, das war 19xx, da hatten sie gerade das Untersuchungsverfahren eingestellt. Vermutlich hatte es ihn beeindruckt, dass ich ihn vor dem Ausschuss in Schutz genommen hatte.«

      »Welcher Ausschuss?«

      »Der Untersuchungsausschuss, wegen der Medikamente und der Bücher.

      Sie müssen wissen, dass das Hospital einen hervorragenden Ruf hatte, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass es seinen Ursprung allein im Wunsch der Ordensschwestern hatte, einen mildtätigen Beitrag in Kriegszeiten zu leisten.

      Nun war es so, dass seit Monaten Medikamente verschwanden. Es waren allzu viele, und es waren sehr teure darunter. Auch welche, die sich nicht ohne Probleme ersetzen ließen. Die Ausgaben für den Ersatz waren groß, es musste auffallen. Besonders, da wir ja nicht viel hatten, was wir ausgeben konnten.

      Dennoch war es merkwürdig, denn auch nach Wochen sagten die Angestellten alle, dass sie nichts Ungewöhnliches gesehen hätten. Ich dagegen wusste durchaus, was los war. Sofort als die ersten Schwestern befragt wurden, war mir klar, was passiert sein musste. Ich hatte ihn nämlich gesehen.

      Es war an einem Sommerabend gewesen, Juli und sehr heiß, zu Beginn meiner Nachtschicht. Wir hatten alle Fenster und auch die großen Flügeltüren zum Garten geöffnet, eine warme Brise strich durch die Flure und blähte die Vorhänge.

      Es ist so himmlisch, wenn der Wind durch den dünnen Stoff fährt und ihn hochhebt, als wolle er tanzen … Ich konnte nicht widerstehen: Ich stellte mich unter den Vorhang und ließ mich von dem Stoff und dem warmen Wind streicheln.

      Es wäre mir peinlich gewesen, wenn mich eine der anderen Pflegerinnen oder gar ein Arzt bei diesem unerlaubten Müßiggang erwischt hätte, aber ich war sicher, dass das nicht passieren konnte, weil ich noch wenigstens bis Mitternacht allein sein würde. Das Abendessen war längst ausgegeben und die Medikamente verteilt, also war nun nichts mehr zu tun, wenn nicht ein Patient plötzlich Probleme bekam.

      Ich stand also in der Tür zum Garten und genoss die Brise und die sanfte Berührung des Vorhangs, da sah ich ihn aus dem Schwesternzimmer kommen. Dr. Bromer meine ich. Er war irgendwie merkwürdig. Vielleicht wirkte er nervös. So kannte ich ihn nicht, denn er war sonst immer so ruhig, so gelassen und … sicher.

      Aber an jenem Abend war er hektisch. Er bemerkte mich nicht, vermutlich weil er so nervös war oder weil der Vorhang mich verdeckte.«

      »War es normal, dass Ärzte sich im Schwesternzimmer aufhielten?«

      »Nein, es ist sogar sehr verdächtig, wenn plötzlich jemand aus dem Schwesternzimmer schleicht. Ich war diejenige im Nachtdienst, die Einzige bis Mitternacht. Es war also niemand in dem Raum.

      Er musste aus der Medikamentenkammer gekommen sein, einem alten Besenschrank an der hinteren Wand. Sonst gab es dort nichts.

      Damals dachte ich mir nicht viel dabei, ich wunderte mich nur über sein Benehmen, denn die Ärzte pflegten uns zu sagen, was sie benötigten, und wir brachten es ihnen. Manche wussten nicht einmal, wo sich welche Medikamente befanden! Das war unsere Aufgabe.

      Aber als sie uns befragten, da wurde es mir klar: Doktor Bromer hatte die Medikamente genommen. Er war es gewesen!«

      »Warum haben Sie das niemandem erzählt?«

      »Ich konnte ihn nicht einfach verraten. Wie hätte ich das tun können? Er war so unglaublich wichtig für das Haus! Was hätten denn seine Patientinnen ohne ihn machen sollen?

      Sie werden mich dafür verurteilen, aber ich wollte ihn nicht verraten. Diese dumme Sache durfte auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen! Es hätte einen Skandal gegeben. Der Doktor hätte seine Arbeit verloren, und er hätte wohl auch keine andere mehr gefunden.

      Und wir Mädchen, wir konnten doch auch nichts anderes als Kranke pflegen, es gab nicht viele Häuser, in denen wir eine Anstellung bekommen hätten.

      Und ich, ich wollte auch nicht weg von ihm. Der Doktor war so klug, er brachte mir so vieles bei …

      Also log ich. Behauptete, ich hätte keine Ahnung, ich hätte nichts gesehen. Obwohl