Tatort Deutschland. Gisela Sachs

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Название Tatort Deutschland
Автор произведения Gisela Sachs
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967526097



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Hände unter den Wasserhahn, klatsche mir das kalte Wasser ins Gesicht, benetze meinen Nacken und lasse einen Strahl kalten Wassers über meine Unterarme laufen. Meine Lebensgeister kommen rasch wieder und ich gehe zu unserem Tisch zurück. Mama sieht mich besorgt an. »Alles in Ordnung, Kleines?«

      »Alles in Ordnung«, murmele ich und schaufele das Erbsenpüree in mich hinein. Dann den Lachs. Danach die rote Grütze mit Rahm-Eis und Himbeergeist-Vanilleschaum.

      »Heute ist Schiffeguckenwetter«, sagt Papa beim Verlassen des Fischereihafenrestaurants. »Die Queen Victoria ist gerade in unserem Hafen zu Besuch«, sagt er.

      »Und heute sind so viele Schiffsanläufe wie noch nie. Was haltet ihr davon, wenn wir eine Hafenrundfahrt machen, min Deerns?«

      Papa hat ein Faible für Luxusschiffe. Gerne würde er seinen Schwiegersohn auf einer seiner Seefahrten begleiten, aber mein Mann möchte seine Familie und seine Arbeit voneinander getrennt halten, gibt noch nicht einmal den Namen des Schiffes preis, auf dem Kapitän ist.

      Wir machen eine Rundfahrt bei Barkassen-Meyer, genießen die einzigartige Atmosphäre des Welthafens Hamburg, sind wie immer sehr beeindruckt von der Hamburger Skyline. Mit leuchtenden Augen sieht Papa auf die großen Pötte in den Hafenbecken, zeigt grinsend auf den Mann in Uniform. Der Kapitän hält eine junge Frau im Arm, seine Hände streifen spielerisch ihren Po rauf und runter. »Unruhige Hände hat er, der Herr Barkassenkapitän«, flachst Papa.

      »Guten Tag, meine Damen und Herren«, dröhnt die Stimme aus dem Mikrophon. »Mein Name ist HansJürgen Witte, Ihr Kapitän. Wir werden heute den Kampf mit Wind und Wetter aufnehmen.«

      Er sieht die Frau an seiner Seite an, lacht heiser. »Keine andere Stadt in Europa hat mehr Brücken als Hamburg. Noch nicht einmal Venedig …«

      Das war der Tag, an dem meine heile Welt zerbrach.

      Ich werde dick und dicker. Wieder einmal stehe ich in der Waschküche und sortiere Wäsche. Und wieder einmal bemerke ich die weißen Streifen in der schwarzen Unterhose meines Mannes. Das Gebimmel des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. »Geht es dir gut, Prinzessin?«, fragt Mama.

      »Ja«, hauche ich in den Hörer. »Das glaube ich dir jetzt aber nicht«, sagt Mama. Und, dass sie Plundergebäck gebacken habe, und dass sie mit Opa zum Kaffee trinken vorbeikommen würde. Seit Mama von meiner Schwangerschaft weiß, nennt sie meinen Papa Opa. Und mein Vater ist glücklich darüber. Sehr glücklich sogar. Er bringt gerade meine Kinderwiege auf Hochglanz, zimmert Nistkästchen für meinen Garten. »Damit die Lütte was zu gucken hat.«

      Mama strickt wie verrückt: Söckchen, Mützen, Schals, Handschuhe, in allen möglichen Farben, näht Jäckchen, Schühchen, Hemdchen, Mäntelchen, Hütchen mit Krempe und ohne Krempe. Und eines Tages schieben Mama und Papa gemeinsam den sündhaft teuren Traumkinderwagen, den wir beim Stadtbummel in Hamburg angeguckt hatten, den Gartenweg entlang. Die Abendsonne verfängt sich in den strahlenden Gesichtern der Alten. »Ihr seid verrückt«, sage ich.

      »Es ist ja unser erstes Enkelkind«, sagen Mama und Papa zur gleichen Zeit.

      »Hättet ihr das Geld nicht besser anlegen können?«, knurrte Hans-Jürgen. Er ist arbeitslos, hat in angetrunkenem Zustand die Barkasse gegen die Wand einer

      Schleuse gefahren. Es wird ein Strafverfahren geben. Er habe die Hochseefahrt nur wegen mir aufgegeben, hatte Hans-Jürgen mir erklärt. Er wollte in meiner Nähe sein, bei unserem Kind. Es sollte eine Überraschung werden. An Opas Geburtstag hätte er es uns sagen wollen. Und ich soll ihm doch noch eine Chance geben.

      Ich halte meinen Sohn in meinen Armen, drücke ihn zärtlich an meine Brust, streichle über den gold schimmernden Haarflaum, schaue verzückt in seine babyblauen Augen. Ich bin Mama, welch ein Wunder! Mama und Papa stehen vor meinem Bett, halten sich an den Händen und weinen. »Das ist der schönste Tag in meinem Leben«, sagt Mama. Papa nickt mit dem Kopf, zieht sein weißes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und schnäuzt sich. Dann zupft er verlegen an dem Rosenstrauß herum, den er mir mitgebracht hat. Die tiefdunklen bordeauxfarbenen Blütenblätter verströmen einen einzigartigen Duft. »Rose Noire«, sagt Papa.

      Hans-Jürgen hat mich nicht im Krankenhaus besucht, seinen Sohn nicht auf der Welt willkommen geheißen. Er würde ihn von nun an oft genug sehen, hatte er am Telefon gelallt und gelacht. Ich habe wortlos den Hörer auf die Gabel gelegt. Hans-Jürgen hat sich danach nicht mehr bei mir gemeldet. Papa und Mama waren es dann, die mich mit meinem Baby von der Klinik abgeholt haben. Schon von weitem leuchtete mir der weiße Storch aus meinem Vorgarten entgegen. Er trug ein Päckchen in seinem tomatenroten Schnabel. An der Haustür hing eine bunte Buchstabengirlande

      C H R I S T I A N -

      Mama hatte das Essen schon vorbereitet, hatte Krabbensuppe als Vorspeise gekocht. Danach gab es Matjes in einer leichten Joghurt-Sahne-Sauce mit Äpfeln und Zwiebeln, begleitet von knusprigen Bratkartoffeln. Und als Nachtisch Franzbrötchen. Und dann klingelte das Telefon und eine Frauenstimme fragte mich nach Hans-Jürgen und ob ich seine Schwester sei.

      Er will wegkommen vom Alkohol, hat Hans-Jürgen mir unter Tränen versichert. Er wird sich im Albertinen-Krankenhaus behandeln lassen. Und ich solle ihm doch bitte noch eine zweite Chance geben.

       10 Jahre später

      Schlaflos wälze ich mich von einer Seite auf die andere, schaue auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Drei Uhr morgens. Und er ist immer noch nicht zu Hause. Schon zum zweiten Mal nicht in dieser Woche. Er will sich mit seinen Kumpels treffen, hat er beim Frühstück gesagt. Und, dass ihm in unserer Wohnung die Decke auf den Kopf fallen würde. Und, dass es vielleicht etwas später werden würde. Und, dass ja einer von uns beiden bei den Kindern bleiben müsse. Wir wohnen immer noch in meinem alten Haus in Bramfeld. Und es ist immer noch nicht renoviert. Mit den Aktien und dem Geld meines Mannes lief irgendetwas schief, ich weiß nicht was, er hat nie mit mir darüber geredet. Auch waren seine Möbel, Aktien, Bücher, Surfbretter, das Bootszubehör und die Tauchausrüstung auf mysteriöse Weise aus dem Lagerhaus Klook verschwunden.

      Paulinchen keucht schon wieder. Seufzend hole ich das Asthmaspray aus meiner Nachttischschublade, taste mich im Dunklen über den Flur in das Kinderzimmer, will unseren Großen nicht aufwecken. Christian braucht seinen Schlaf, er hat eine Mathearbeit vor sich. Und er kommt mit dem Zahlenstrahl und den Tabellen ohnehin nicht zurecht. Von den Drittklässlern wird einiges gefordert, gibt mein Mann zu, aber gelernt hat er mit unserem Crissi noch nie. Das sei meine Aufgabe, meint er, deshalb sei ich ja auch zuhause. Dasselbe gilt für die Hausund Gartenarbeiten. Hans-Jürgen arbeitet momentan in Altona als Fischverkäufer.

      Einmal im Monat fahre ich mit der S-Bahn in die Hamburger Innenstadt, treffe mich mit meiner ehemaligen Arbeitskollegin Nele im Cafè Paris in der Nähe des Rathauses zum Frühstücken, Klönen und zum Leute gucken. Mama versorgt in dieser Zeit meine Lieben. Und immer steckt sie mir beim Abschied einen

      Geldschein zu. »Kauf dir etwas Schönes, min Deern.« Das Cafè ist sehr teuer, das Frühstück aber eine Wucht. Wir haben die Welt auf unseren Tellern: französisch, italienisch, marokkanisch, englisch, hamburgisch. Nele bestellt immer das große Frühstück für zwei Personen. Und sie lädt mich immer dazu ein. »Du wirst dich irgendwann einmal bei mir dafür revanchieren«, grinst sie. »Du wirst schon sehen, Katharina.«

      Ich tunke meinen tellergroßen Pfannkuchen in den Ahornsirup und schließe genießerisch die Augen. »So schön fluffig kriege ich das nicht hin«, sage ich. Nele, die Frohnatur, lacht. Die Treffs mit ihr tun mir gut. Sie sind so ziemlich die einzige Abwechslung, die ich in meinem Hausfrauendasein habe.

      Ich habe zur Aufbesserung meiner schmalen Haushaltskasse die Schneiderarbeiten meiner verstorbenen Mutter übernommen, binde Blumensträuße für meinen Marktstand am Wochenmarkt, koche Marmelade aus den Früchten meines Gartens: Johannisbeer-, Stachelbeer-, Brombeer-, Himbeerund Erdbeermarmeladen, fülle sie in Gläser ab und verziere sie mit selbst geschneiderten Bändchen, klebe Etiketten mit den Zutaten sowie dem Abfülldatum auf in Druckbuchstaben geschrieben, mit königsblauer Tinte. So schön wie Mama das hingekriegt hatte, kriege ich es aber nicht hin. Ab und an tippe ich in Home-Office-Arbeit für meinen ehemaligen