Tatort Deutschland. Gisela Sachs

Читать онлайн.
Название Tatort Deutschland
Автор произведения Gisela Sachs
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967526097



Скачать книгу

»Scheiß Schokolade!«

      Mein Blick fällt auf die Badewannenablage. »Du lachst mich doch nicht etwa aus, Engel?«

      Ich rolle mein Spitzenhöschen bis zu den Knöcheln herunter, steige mit dem linken Fuß aus dem zarten Gebilde und schleudere es mit dem rechten Fuß hoch in die Luft. Volltreffer! Das Wäscheteil umhüllt den Engel wie eine Burka. »Jetzt siehst du nichts mehr, Himmelskind!«

      Ich träufele ein paar Tropfen des kostbaren Badeöls auf meinen Handrücken, halte ihn unter die Nase und ziehe mit geschlossenen Augen den unglaublichen Duft von »Rose Noire’ in mich hinein. »Er liebt mich! Er liebt mich! Er liebt mich! Er, der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes. Liebt mich. Mich, Katharina Prüsse. Die kleine Tippse vom Personalservice Ehrentraut.

      Düfte rufen Träume wach, manchmal recht viele. Er ist der Mann, auf den ich viele Jahre gewartet habe. Der Mann, der mir meine heimlichen Träume erfüllen kann. Der fehlende Deckel auf meinem Töpfchen. Er ist der Richtige. Endlich! Ich fühle es von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln. Meine Oma hatte recht: Gut Ding will Weile haben. Ich sinke bis zum Hals in das Wasser, seufze wohlig, streichle mit beiden Händen über meine Brüste, meinen Bauch, meine Oberschenkel, lächle. Dann befreie ich den Engel von meinem Höschen. »Ab jetzt wirst du hier auf der Badewannenablage sitzen. Und ab jetzt wirst du mein

      Wächter und Glücksbringer sein, Angel!«

      Ich fange zu singen an. »Irgendwo hinterm Regenbogen, ganz weit oben, da ist ein Land, von dem hab ich mal ein Gute-Nacht-Lied gehört. Weil, da droben, über dem Regenbogen, da ist der Himmel blau, und wenn du dich traust zu träumen, dann werden die Träume auch wahr.’

      Rosenduft durchtränkt die Luft. Ich schwelge darin, meine Gedankengänge begeben sich auf Safari.

      Ich will eine Hochzeit auf Hawaii. In Honolulu! Ich will in tiefblauem Meerwasser schwimmen, Seeschildkröten streicheln, an elfenbeinfarbenen Stränden paradiesische Sonnenuntergänge genießen, unter wiegenden Palmen liegen. Mit ihm. Ich lasse heißes Wasser zulaufen, träufele nochmals von dem Rose Noire Öl in die Wanne. »Ich werde ein Prinzessinnenkleid tragen, Angel. Ein Traum in Weiß. Mit einem herzförmigen Ausschnitt und einem weiten Rock aus Tüll, Hibiskusblüten im offenen Haar. An den Handgelenken. An den Füßen. Ich werde die Perlen tragen, die Mama von Papa zu ihrem Silberhochzeitstag geschenkt bekam.« Ich hebe meinen Kopf und schaue dem Engel ins Gesicht. »Du lachst mich schon wieder aus?«

      Stolz werfe ich meinen Kopf in den Nacken. »Mein Kapitän wird einen Kranz mit geschlossenen Leiblüten um den Hals tragen, Angel. Ein weißes Hemd. Eine weiße Hose. Und ein Ukulelespieler wird für uns »Somewhere over the rainbow’ spielen.

      Ich will Fusion Cuisine als Hochzeitsschmaus, will die Welt auf unseren Tellern sehen, will Mangos aus Thailand, Tonkabohnen aus Südamerika, roten Reis aus Indien, Mais aus Mexiko, Fisch aus Hamburg.

      Wir werden mit Delfinen schwimmen, eine Ozeansafari und einen Schnorchel-Trip machen. Wir werden in sternenerfüllten Nächten in türkis, funkelndem Meerwasser schwimmen. Der erste Blick an jedem Morgen soll Er sein. Hans-Jürgen Witte, der Kreuzfahrtkapitän. Für immer!«

      Das penetrante Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Träumen. Er vielleicht? Ich steige aus der Wanne, streife das ölige Wasser mit der flachen Hand von meinem Körper und laufe zur Mobil-Station in den Flur. Auf dem Display sehe ich seine Nummer. Mein Herz schlägt im dreiviertel Takt. »Ja?«, hauche ich in die Sprechmuschel, »Hier, Katharina Prüsse.«

      »Yes, I do«, hauche ich ein halbes Jahr später auf einer Klippe auf Honolulu. Ich trage die wunderbare Schöpfung eines amerikanischen Modedesigners, ein Traum in Weiß. Der herzförmige Ausschnitt meines Kleides ist mit echt Brüsseler Spitze umsäumt, der Rock aus Tüll mit unzähligen Spitzenblüten verziert. Ich trage einen Kranz mit weißen Hibiskusblüten im offenen Haar, habe weiße Hibiskusblüten um meine Fußknöchel und meine Handgelenke geschlungen. Mit Stolz trage ich die Perlenkette meiner Mutter um den Hals, schwebe an der Hand meines Vaters auf einem Teppich aus roten, gelben, weißen und orangefarbenen Rosenblättern meinem Traummann entgegen. Er trägt einen Kranz mit geschlossenen Leis um den Hals, eine weiße Hose, ein weißes Hemd, weiße Schuhe. Ein Ukulelespieler spielt »Somewhere over the rainbow.’ Papa und Mama weinen.

      Sternenerfüllte Nächte.

      Und wenn ich aufwache, dann bin ich da, wo es keine Wolken mehr gibt. Er wünscht sich Kinder. Viele!

      Manchmal gehen Träume in Erfüllung. Ich bin glücklich! So unwahrscheinlich glücklich.

      Wir werden uns eine schicke Wohnung in Altona kaufen. Eine Penthouse-Wohnung mit Dachterrasse und Panorama-Elbblick. Leider ist das Geld meines Mannes momentan fest angelegt und so zieht er vorübergehend bei mir ein. In das alte, renovierungsbedürftige Haus in Bramfeld mit den vier Zimmern, das ich von meiner Großmutter Mia vererbt bekommen habe und in dem ich seit zwei Jahren wohne. Ich liebe dieses Häuschen meiner Kindheitserinnerungen, mit dem alten Baumbestand ringsum, dem Zaubergarten, in dem wunderbare Blüten aufgehen, die ich weder gesät noch eingepflanzt habe. Auf die Vielfalt meiner Rosen bin ich besonders stolz. Die hatte Großpapa Hein

      für Oma Mia zu ihrem 60. Geburtstag gepflanzt.

      Zum Renovieren des Hauses fehlte mir bislang leider das Geld. Als Tippse verdient man nicht so viel. Meine Eltern unterstützten mich mit Rat und Tat, Geld haben sie selber nicht viel. Papa musste aus gesundheitlichen Gründen Frührente beanspruchen, Mama war Hausfrau und bekommt gar keine Rente. Sie peppt das Haushaltsbudget auf, indem sie für die Nachbarschaft Näharbeiten übernimmt. Hier mal einen Reißverschluss ersetzen, da mal ein Hosenbein kürzen, Kleider enger oder weiter machen. Zudem bietet sie sich im Gruppenhaus Bramfeld als Leihoma an, wacht über diversen Babyschlaf, hilft bei Hausaufgaben, bastelt und singt mit den Kindern, auch im Spielhaus Farmsen. Sie kocht Marmeladen aus den Früchten aus meinem Garten: Johannisbeer-, Stachelbeer-, Brombeer-, Himbeer-, Erdbeermarmeladen. Die Marmeladengläser verziert sie liebevoll mit selbst genähten Bändchen, beschriftet Klebeetiketten mit den Zutaten sowie dem Abfülldatum ihrer Köstlichkeiten in Druckbuchstaben, mit königsblauer Tinte.

      Je nach Saison bindet Mama Blumensträuße aus Margeriten, Wicken, Fäberdisteln, Lavendel, Sonnenblumen, Astern, Dahlien. Mama hat ein großes Talent dafür, Blumen zu binden. Ihre Sträuße sind begehrt, sie verkauft sie an die Nachbarschaft sowie auf dem Wochenmarkt in Bergedorf, am Marktstand einer Bekannten. Meine Mutter hegt einen großen Wunsch. Sie will endlich eine richtige Oma werden.

      Er wäre sowieso die meiste Zeit nicht da, sagte mein zukünftiger Mann. Und, dass das Wohnen in Omas Häuschen ja nur eine Übergangslösung sei. Ein Wohnen auf Zeit. Und, dass er kein Geld in Renovierungsarbeiten stecken würde, wo wir doch ohnehin bald umziehen würden. Seine Möbel wird er deshalb schon gar nicht mitbringen, das sei unnötige Arbeit, meinte er und sie wären auch viel zu schade für das »Rummeleyhaus’. Er wird die guten Stücke im Lagerhaus Klook einlagern. Auch seine Akten, seine Bücher, sein Kanu, seine Surfbretter, sein Bootszubehör, seine Taucherausrüstung.

      Ich stehe in der Waschküche und sortiere Wäsche, als es zum ersten Mal geschieht. Mir wird schwarz vor den Augen, ich schwitze, ich friere, ich schwitze. Kalte Schweißperlen benetzen meine Stirn. Mein Herz rast. Ich erschrecke, als ich mich im Spiegel sehe. Ich drehe den Wasserhahn auf, lasse kaltes Wasser über mein Gesicht laufen, benetze meinen Nacken, meine Oberarme und setze mich erst einmal hin. Der Spuk ist rasch vorbei und ich fange an zu bügeln. Heute ist mein freier Tag und sobald ich mit Hemden bügeln fertig bin, werde ich mich aufhübschen. Wir fahren nach Hamburg-Altona. Mama, Papa und ich. Papa hat heute Geburtstag und er hat seine Deerns zum Essen eingeladen. Es geht wie immer zu Kowalke. »Einmal im Jahr muss das sein«, sagt Papa. »Man(n) gönnt sich ja sonst nichts.«

      Papa hat, wie jedes Jahr an seinem Geburtstag, einen Tisch für drei Personen auf der herrlichen Balkonterrasse reservieren lassen. Und wie jedes Jahr bestellen wir Kowalkes Überraschungsmenü. Als der Kellner das gedünstete Lachsfilet vor mich hinstellt, passiert es zum zweiten Mal an diesem Tag. Mir wird schwarz vor den Augen, ich schwitze, ich friere, ich schwitze. Kalte Schweißperlen benetzen meine Stirn. Mein Herz rast. Ich würge, halte die rechte