Название | Gonzo |
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Автор произведения | Matthias Röhr |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854456803 |
Kein Matthias und auch kein Röhr ohne „Gonzo“. Nach ein paar Gläsern Rotwein und dem üppigen Essen Vrenis lockerte sich die Stimmung. Es brauchte immer ein paar Anläufe, um in einen Redefluss zu kommen, der ermöglichte, frei und ungezwungen zu erzählen. Und meistens funktionierte das besser, wenn man sich dabei sah. Wenn man Auge in Auge beieinandersaß. Der eine redete, die anderen hörten zu.
Es war schon spät. Müdigkeit hatte sich breitgemacht. Marco und ich waren, nach einer langen Wanderung, dem Besuch einer ganz außergewöhnlichen Kirche inmitten Dublins und vielen Anekdoten – eine besser als die andere –, müde. Dass Rotwein und herzhafte Speisen noch zur leichten Dösigkeit beitrugen, konnte ebenfalls nicht geleugnet werden. Es war dennoch nicht die Zeit, um schlafen zu gehen. Nicht nach Matthiasʼ Ansicht.
„Hier geht niemand ins Bett. Ich habe euch doch noch gar nicht erzählt, wie ich an meinen Spitznamen gekommen bin“, sagte er und lachte dabei. Es war die Sorte von Versprechen, bei dem man wusste, dass es da jemandem sehr wichtig war, was er mitteilen wollte. Ein schelmisches – „Ihr habt das Beste doch noch gar nicht gehört!“ – Grinsen. Man erwartete von seinem Gegenüber, dass es die Ohren spitzte. Na gut, dachte ich mir, erschöpft und eher wenig gespannt, erzähl uns die Geschichte, die eigentlich jeder schon kennt. Die man schon Hunderte Male gelesen hat. Nur zu. Leg los. Matthias musste mein Gesichtsausdruck aufgefallen sein, denn noch bevor sich mein Mund öffnen konnte, sagte er: „Es ist eben nicht so gewesen, wie ihr vielleicht bislang immer geglaubt habt. In Wirklichkeit, und ihr seid tatsächlich die Ersten, die das erfahren werden, war es ganz anders.“
Damit triggerte er mein Interesse. Mit „die Ersten, die es erfahren werden“ und „in Wirklichkeit war es ganz anders“ hatte er mich beim Schopfe gepackt. Jetzt war von Müdigkeit keine Spur mehr. Marco erging es ähnlich, das sah ich ihm sofort an.
Wir wollten mehr wissen!
1976 wurde ein Schlüsseljahr für Matthias Röhr. Mao Zedong starb im September, und mit ihm verreckte eine lang andauernde chinesische Kommunisten-Diktatur, die zwar keinen Fortschritt, dafür aber den Tod Hunderttausender Menschen brachte.
Im Westen hingegen nichts Neues. Helmut Schmidt blieb, mit einem Siegeslächeln auf und einer Kippe zwischen den Lippen, Bundeskanzler der Bundesrepublik.
Jimmy Carter wurde zum Ende des Jahres zum neuen US-Präsidenten gewählt, und nur Monate vorher, im Sommer 1976, suchte man in Jugoslawien den Fußball-Europameister. Der Traum der Titelverteidigung, er war für die Elf von Helmut Schön zum Greifen nah. Man kämpfte sich bis ins Finale und dort bis ins Elfmeterschießen vor, das man – unter anderem aufgrund eines Unglücksschusses von Uli Hoeneß – schlussendlich 5:3 gegen die Tschechoslowakei verlor. Randnotizen. Mehr nicht.
Das alles spielte seinerzeit in der hessischen Provinz kaum eine Rolle. Matthias fieberte natürlich mit der deutschen Mannschaft mit, das Interesse an Politik generell und China im Besonderen hätte allerdings kaum geringer sein können.
Entsprechend des Alters, er war jetzt vierzehn (die mächtigen Jahre hatten begonnen), fingen auch die schulischen Leistungen an, abzusacken. Oder besser noch: Sie befanden sich im freien Fall. Physik, Chemie (das von einem Ausbilder der Höchst AG unterrichtet wurde, der ihm dabei half, dieses Fach fast noch schlimmer zu finden als jedes andere) und Mathematik waren ihm ein absoluter Graus.
Wofür werde ich den ganzen Scheiß jemals brauchen, fragte er sich unentwegt, währenddessen sein Kopf, bleischwer und unter Schmerzen, über kryptischen Formeln und bizarren geometrischen Figuren brütete, die sich ihm partout nicht erschließen wollten.
Niemals und für gar nichts werde ich diesen Quatsch brauchen, war die einzig richtige Antwort. Das wusste Matthias sicher. Und ebenfalls, dass er unbedingt – besser heute noch als morgen – Kontakt zu Gleichgesinnten aufnehmen musste, deren Interessen sich mit seinen deckten: Gitarren, Amps, lauter Rock.
Matthias wollte spielen. Musik machen. Ein bisschen die Luft der großen weiten Welt schnuppern. Aber zum Teufel, er gab einen Scheiß auf binomische Formeln. Der Satz des Pythagoras durfte ihn am Arsch lecken. Gravitation kannte er von alten Frauen, deren Brüste so tief hingen, dass sie den Erdboden berührten. Und das Periodensystem? Konnte das bluten?
Der Realschulzweig, für den sich seine Eltern entschieden hatten, erwies sich spätestens ab der neunten Klasse als fieses, autoritäres Monster mit scharfen Zähnen, das immer dann zubeißen wollte, wenn jugendliche Unbeschwertheit, Rebellion und Liebe zur Musik die Oberhand gewannen.
Dann wurde seitens des Lehrpersonals gedroht, getadelt und gemaßregelt. Einschüchterungsversuche erwachsener Personen, deren Auffassung von Pädagogik eine ganz andere war als heute. Anstrengend und enervierend. Leistung wurde verlangt und abgerufen. Man bekam keine einzige gute Note geschenkt. Lernen und Erfolg waren Kopf- und Konzentrationssache, außerdem musste man sich zusätzlich gut (durch-)quälen können.
Ferner gab es keine Ausreden für Faulheit.
Doch trotz aller schulischen Probleme und Matthiasʼ zweitgrößtem Talent, dem Hinterfragen und Provozieren von Autoritäten, gab es auch coole Pauker. Schon damals.
Herr Ullrich, Matthiasʼ Musiklehrer, war von diesem ganz neuen, progressiven Schlag. Er weckte Interesse, er erkannte und förderte bestehendes Talent. Ein Mann, so ganz anders als das damalige Kollegium.
Jung, aufgeschlossen, fast einer von ihnen. Er sprach die Sprache der Schüler. Mit viel Verständnis und Geduld. Elvis Presley, die Beatles und selbst die, zur damaligen Zeit, höchst anrüchigen Rolling Stones wurden durchexerziert. Im Unterricht sezierte Ullrich alles. Die Songs, die Texte, ja selbst die Bandmitglieder.
Unter der Lupe ergab alles nur noch mehr Sinn. RockʼnʼRoll hieß ab sofort der Heilsbringer – und zu jenem, das war die nächste große Erleuchtung im Leben des noch ganz jungen Matthias Röhr aus Liederbach am Taunus, würde er sich in Windeseile hinbewegen. Und wenn das nicht passieren sollte, aus welch bescheuerten Gründen auch immer, dann hatte der RockʼnʼRoll gefälligst zu ihm zu kommen.
Amen.
Außerdem: Der gerade flügge werdende junge Matthias Röhr hörte zu jener Zeit immer öfter auch das American Forces Network (AFN). Die Amerikaner hatten den deutschen Kids ein gutes und großes Stück ihrer Kultur auch als Radiosender mitgebracht.
Die vielen in und um Frankfurt stationierten GIs mit ihren fetten Fliegerjacken, ihren Kurzhaarfrisuren, den coolen US Cars und ihrem Way of life übten eine große Faszination auf die Jugend aus. Und die Musik der „Amis“ erst recht.
„Hey Dude. Whatʼs up?“, fragten die großen, breitschultrigen Guys freundlich die Kids, sobald sie welche sahen. Und sie sprachen viel schneller, als dass man sie hätte verstehen können. Im Laufe der Jahre mischte sich zum amerikanischen Englisch noch ein weicher hessischer Akzent. Das klang nicht nur cool, das war es auch.
Hier, auf AFN, gab es neben Ted Nugent, Aerosmith und Boston alle angesagten Bands zu hören. Geile Übersee-Mucker, die damals auf dem Weg nach ganz oben waren, oder solche, die den Gipfel bereits erklommen hatten. Als Matthias checkte, dass sich das Radioprogramm von Tag zu Tag nur noch verbesserte, statt an Qualität zu verlieren, gehörte das AFN zum tagtäglichen Pflichtprogramm – oft bis spät nachts. Sogar sonntagmorgens, denn dann gab noch diese unfassbar guten Gospelgottesdienste, die live – irgendwo aus dem Delta kommend –, auf diesem feinen Sender übertragen wurden.
Hier taten sich plötzlich noch einmal ganz neue Welten auf. Es war, als putze jemand ein großes, aber sehr dreckiges Fenster. Plötzlich wurde der Blick auf immer mehr Musik in der großen weiten Welt klar. Und sie erfüllte jeden Raum, in dem sich Matthias gerade aufhielt.
Wolfman Jack war extrem beliebt. Dieser eigenartig aussehende, immer gut gelaunte Discjockey, dessen Sendungen vom American Forces Network übernommen und gesendet wurden, hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, zwischen seinen Songs Wolfsgeheul einzubauen.
Und er spielte sie. Alle. Die fetten, neuen Sounds. So andersartig, aber wunderschön. Es gab keine Genre-Grenzen. Blues, der direkt aus der berühmten Beal Streat in Memphis, Tennessee, kam und vom „King