Название | Gonzo |
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Автор произведения | Matthias Röhr |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783854456803 |
Vielleicht ja auch Dir?
Aber wo waren wir?
Beim Scheinwerferlicht. Schweiß rinnt an Matthiasʼ Stirn herunter. Das Konzert läuft, und er ist jetzt ganz und gar in seinem Element. Erde, Wasser, Feuer, Luft – und die Energie einer Onkelz-Show. Die Kulisse ist unvergleichlich. Und das, obwohl die Onkelz schon so viel gesehen haben. Der Ruhrpott, meine Heimat, kann es einfach!
2018 hatte, neben einem großen Festival in Leipzig, zwei gigantische Shows in zwei wunderschönen Stadien zu bieten. Frankfurt – Matthiasʼ Heimat. Gelsenkirchen, stellvertretend für das Ruhrgebiet – meine Heimat.
Die letzten Minuten einer jeden Show gehören zwar uns allen, die dort vereint, singend und tanzend, das Leben zelebrieren, aber sie fühlen sich für Matthias „Gonzo“ Röhr anders an als die vorherigen. Intimer.
Als wäre der Architekt der Zeit vorbeigeflogen. Als hätte dieser Typ gegrüßt und schelmisch gelacht, um dann von seiner Zeitmaschine abzusteigen und ganz kurz an den Reglern der Realität und Relativität zu schrauben. So lange, bis das große, eigentlich stabile Kartenhaus, das unser Gehirn als die Gegenwart identifiziert, fragmentiert ist. Nur, um dann einfach wieder abzuhauen.
Matthias schließt die Augen. Er öffnet sie wieder. „Auf gute Freunde“ ist vorbei und damit schon Vergangenheit, obwohl die Zukunft gerade noch vor uns lag.
Nichts ist relativer als die Zeit auf einem Onkelz-Konzert. Am Ende dauerte der Song gerade mal einen gefühlten Wimpernschlag lang. Und das ganze fast dreistündige Spektakel dieses Abends verflog mit der Geschwindigkeit eines Warp-Antriebs.
Das, was ihn am meisten beindruckt, ist die Symbiose, deren Zustandekommen bei jeder Show gelingen will, die die Böhsen Onkelz spielen. Und im Kern dieser symbiotischen Vereinigung pulsiert mit tausendfachem Herzschlag das Leben von unzähligen Menschen.
So viele Seelen. So viele einzelne Schicksale, Beweggründe und Abzweigungen, die jeden Einzelnen von uns zu der Person gemacht haben, die er heute ist. Dich und mich und uns. Ein Konglomerat aus Gutem und Schlechtem. Aus Ausgehaltenem und Durchgemachtem. Aus Freude, Liebe, Hass, Wut, Leidenschaft und Energie. Herumgeschleppt in unseren Körpern, verwurzelt im Herzen, verankert in den Seelen.
„Was wir sind, sind wir zusammen.“
Wie oft gab es diese dummen, selbstverliebten Schlaumeier, die der Band – und damit auch uns – sagen wollten, wie wir sein sollten. Pausenlos scheppern die Stimmen derjenigen aus den Boxen des Lebens, die uns den Weg in ein völlig individuell gestaltetes Leben mit eigenen Gedanken und einem eigenen Wertesystem verwehren wollen.
Benimm dich! Pass dich an! Abitur? Haben wir heute im Angebot. Gern auch schon nach zwölf Jahren. Lerne etwas Ordentliches! Wähle die richtige Partei! Guck Fernsehen, und – ach, wo du schon mal da bist – bitte auch die Werbung. Und schau mal hier: Es gibt neue Angebote im Media Markt. Eine „0 Prozent Finanzierung“ des neuesten Smartphones! Probleme? Ach, du hast gar keine Ausbildung, keinen Schulabschluss, keine Arbeit? Hier, ein neues Auto, gern zu einem niedrigen Zinssatz, darf es aber schon sein, oder? Und wenn du zu fett bist, mach ich dich krasser. Und wenn du hässlich bist, mach ich dich sexy. Und dann klappt es – mit ein bisschen Hungern und zum Leidwesen deiner Gesundheit – vielleicht auch mit Heidi Klums Suche nach dem nächsten Topmodel. Oder Bohlens Suche nach dem nächsten Superstar. Das könntest alles du sein!
Ehrlich, ich empfinde aufrichtiges Beileid für die Menschen, die sich derart vom System, von der Industrie und ihren arschleckenden, anzugtragenden Helfern verdummen lassen. Und ich hoffe, nein, eigentlich weiß ich, dass der Spirit der Onkelz genau den Kontrapunkt im Leben der Fans gesetzt hat, den sie benötigten, um sich von all den Zwängen, Konformitäten und Absurditäten loslösen zu können.
Entscheidend ist, dass du nicht vorhast, dumm und angepasst zu bleiben. Dumme Menschen werden irgendwann im Laufe ihres langen, vor Selbstmitleid, Schuldzuweisungen und Kummer armen Lebens dumme Dinge tun. Auch das ist ein Gesetz.
Matthias „Gonzo“ Röhr, das wird das Buch zeigen, konnte nicht immer seine eigene innere Stimme gegen die Dummheit erheben. Auch er musste lernen, lieben, leiden, leben. Aber das, was er an Erfahrungen im Laufe seiner 57 Jahre machen konnte, hat ihn empathischer und intelligenter werden lassen. Und gab ihm irgendwann Macht über die Dummheit.
Bei beiden Bands, zu denen er gehört, gibt es zwei Stimmen, die doch irgendwie eine sind. Keine parteipolitische Stimme, nein, eher eine mit gesellschaftlichem Gewicht. Die Stimme, die den Teufeln, die sich auf deine breiten Schultern gesetzt haben, auf die kleinen roten Finger haut. Die das Gegengewicht zu den Einflüsterungen ist, die wir jeden Tag ertragen müssen. Von oben und unten. Von rechts und links. Die Onkelz sind für viele Menschen diese Stimme. Für mich ebenso.
Schlagen wir der schizophrenen Gesellschaft ins Gesicht, und bekämpfen wir sie mit dem Mittel, das schon vor Hunderten von Jahren ganze Länder und Kontinente umgekrempelt hat: mit der Kunst. Und im Fall der Onkelz und der Matt „Gonzo“ Roehr Band mit der Musik. Du hast dich, per Definition und Selbstverständnis beider Bands, dazu entschieden, ein Teil des großen Ganzen zu sein. Herzlich willkommen. Nichts wird dir das jemals wegnehmen können.
Es gehört zu dir. Und damit gehören auch die Musiker zu dir – und du zu ihnen. Und daraus resultiert ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, den ich so unglaublich finde. Nimmt man das große, fette Onkelz-Monster und legt es unter ein Mikroskop, dann wird klar, was ich meine. Seziert man das Biest und schaut sich dessen Bestandteile an, versteht man das, was Unwissende und Oberschlaue nur gedanken- und planlos als „Phänomen“ abhandeln.
Unter der Lupe wird klar, dass sich Fans und Band zwar nicht kennen, aber durch die von den Onkelz gewählte Sprache, deren Texte und Kompositionen, zu Vertrauten werden. Zu Seelenverwandten. Deren Sprache wird zu unserer Sprache. Und damit zur Sprache gegen die Dummheit. Gegen das Anpassen aus Bequemlichkeit. Der ausgetreckte Mittelfinger, tief im Rektum der verblendeten Wohlstandsgesellschaft und aller Mitläufer, die viel zu faul und feige sind, um etwas an ihrem Leben zu ändern.
Sollen sie doch weiterhin den Massenmedien folgen, sich von zahnlosen Göttern und eierlosen Politikern instrumentalisieren lassen, sich wie Zombies in Romeros Dawn of the Dead im nächsten Apple-Store um das nächste iPhone streiten. Wir wissen es besser. Denn wir reden mit einer Zunge und leben mit dem Herzen, hängen genau jenes höher als den Verstand. Die Ratio bleibt ausgeschaltet, solange der Bauch und das Herz entscheiden. Das ist auch das, was Matthias und Stephan beim Schreiben von „Wo auch immer wir stehen“ gefühlt haben müssen.
Matthias, Stephan, Kevin und Pe vertreten bis heute ein Wertesystem, das es jedem Einzelnen möglich macht, seine Fesseln abzulegen, seine Ketten zu sprengen und frei zu leben. Vor allem angstfrei. Sie öffnen eine Tür, die man durchschreiten kann, wenn man will. Oder man lässt es. Es ist ein bisschen wie die Wahl zwischen der roten und blauen Pille in Matrix. Hörst du genau zu und gibst dich der Musik und den Kompositionen von Weidner/Röhr ganz hin, wirst du sehr tief in den Kanickelbau abtauchen können.
Dort hast du die Chance, eine Menge über dich und deine Umwelt zu erfahren. Fern von dem üblichen Pathos, das die Kritiker der Band seit vielen Jahren vorwerfen. Und fehlt dir der Zugang, bleibt dir immer noch der oberflächliche Spaß.
Viele von uns leben ein Leben, das größtenteils von unserem Bauch bestimmt wird. Knurrt der, wissen wir, dass wir handeln müssen. Da ist kein Plan, kein Ziel vor Augen. Mit uns und der Band ist nur das stete Gefühl verbunden, dass wir uns weiterbewegen müssen.
Es heißt, Stillstand sei der Tod jeder Kunst. Und niemand kann ernsthaft behaupten, dass sich auf einem Onkelz-Konzert nichts bewegt. Im Gegenteil. Durch meine eigenen Erlebnisse und durch viele Gespräche mit Freunden, anderen Musikern und Euch weiß ich, dass diese Shows ein überbordender