Wacken Roll. Andreas Schöwe

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Название Wacken Roll
Автор произведения Andreas Schöwe
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854453772



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1967, wird die Gemeinde Wacken zum ländlichen Zentralort erklärt und verpflichtet sich somit, die Grundversorgung der Bevölkerung und die der Nahbereiche aufrecht zu erhalten und auszubauen. Eine rege Bautätigkeit ist die Folge, und die Zahl der Einwohner steigt weiter auf 1.459. (…) Zur 850-Jahrfeier wurde 1998 ein Dorfplatz errichtet, der den Mittelpunkt der Gemeinde für viele Veranstaltungen bildet. Ebenfalls zur 850-Jahr-Feier wurde eine umfangreiche Dorfchronik mit separatem Bildband herausgegeben, die die Entwicklung Wackens detailliert wiedergibt.“

      Heute, so heißt es weiter in der offiziellen Präsentation der Gemeinde, verfüge Wacken unter anderem über „eine moderne Kindertagesstätte und eine große Sporthalle mit gepflegten Sportplätzen sowie ein herrlich gelegenes Schwimmbad“. Überhaupt: „Alle Dienstleistungsbereiche für die Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs sind vorhanden und gewährleisten einen hohen Lebensstandard in einer modernen Gemeinde mit ländlichem Charakter.“ Dass allerdings auch eine „zentrale Wasserversorgung und Ortsentwässerung“ vorhanden sei – das werden an dieser Stelle zumindest die zigtausend Besucher des Festivalgeländes des Wacken:Open:Airs, die vor den zahlreichen Dixi-Klos Schlange stehen, mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, aber dazu später mehr. Denn in Wacken bieten sich aufgrund der günstigen geografischen Lage sinnvolle Freizeitaktivitäten jeglicher Couleur an: So kann der wackere Wackener in und um Wacken „gleich bei sich zu Hause ohne lange Fahrten mit dem Auto Natur pur genießen – das ganze Jahr über. Und das bedeutet pure Lebensqualität, jeden Tag. Egal ob zu Fuß bei einem Spaziergang durch die hügelige Waldlandschaft mit kleinen Seen, auf einer Radtour zum nahen Nord-Ostsee-Kanal, den jährlich unzählige Traumschiffe streifen, oder auf einer Erkundungstour mit den Inline-Skates.“ Und: „Neben den naturnahen Freizeitaktivitäten bietet Wacken aber auch sportliche und gesellige Treffpunkte: Mitgliedschaft im Sportverein, Angeln im Anglerclub, Singen im Chor oder Engagement bei der Feuerwehr sind nur einige der vielen Möglichkeiten, die das Leben in der Gemeinde Wacken attraktiv machen.“

      Jener „gemischte Männerchor“ – 1899 als Männergesangverein „Eintracht“ gegründet – nahm übrigens seit 1954 Frauenstimmen in seine Männerdomäne auf. Damit setzten die Wackener schon frühzeitig Akzente in Sachen Gleichberechtigung und Emanzipation – der Deutsche Fußball-Bund zum Beispiel strich erst 1970 das bis dahin aus „ästhetischen Gründen“ bestehende Verbot des Frauenfußballs aus seinen Statuten. Und die Schweizer Frauen erhielten erst am 7. Februar 1971 nach einer Volksabstimmung unter Männern – die mit der Zweidrittelmehrheit von 621.000 Ja- gegen 323.000 Nein-Votierungen stimmten – das Wahlrecht auf Bundesebene. Aber wir schweifen ab …

      Wacken hingegen sei schon immer „auf übergeschlechtlichen Breitensport ausgerichtet – sowohl im über 1.000 Mitglieder zählenden TSV Wacken e.V. als auch im 1947 gegründeten Angelverein Früh-Auf-Vaale e.V., der zur Zeit auf 175 Mitglieder verweisen kann und zu dessen Vereinsgewässern auch vier Moorkuhlen zählen“.

      Als Sehenswürdigkeiten werden die sich in der Nähe befindende tiefste Landstelle Deutschlands, der ebenfalls nicht allzu ferne Nord-Ostsee-Kanal oder die Spuren des Königsweges von Itzehoe über Wacken nach Dithmarschen genannt. Ach ja: Und das bereits erwähnte Hünengrab aus der germanischen Vorzeit am Ortsausgang. Um dieses besichtigen zu können, muss der geschichtsbewusste Interessent allerdings über sehr gute Augen verfügen (der Autor dieser Zeilen spricht da aus Erfahrung): Alleine die nach dem Weg zu dieser „Sehenswürdigkeit“ befragten Einheimischen grinsen spöttisch, und ist man erst einmal ihren Richtungsangaben gefolgt, steht der Großes erwartende Tourist vor einem unscheinbaren Hügelchen. Es könnte auch ein längst verlassener, dem Wildwuchs preisgegebener Ameisenhügel sein. Oder mit Gras überwachsener Bauschutt …

      Soweit, so gut – und soviel zum „offiziellen“ Wacken. Doch einmal im Jahr mutiert Wacken quasi zum Gegenteil dieser heilen, beschaulichen Welt – und in 2009 zum 20. Mal. Zu einem Ort, an dem „nur im Notfall geschlafen und im Regelfall gerockt wird“. An dem sich die Spreu vom Weizen trennt, der Mann von der Memme, der „Heavy“ vom „Müsli“. Ein Ort, der nichts ist für Warmduscher und Weicheier. Ein Ort, an dem Kondition und Durchhaltevermögen zählen. Ein Ort, der ähnlich einem Eignungstest beim Bund zum Belastungstest des Schwermetallers avanciert – denn wie heißt es doch so schön? „Wacken ist kein Kindergeburtstag!“: Hat Mann/Frau diesen Test bestanden, ist Mann/Frau drin im erlauchten Kreise der „Metal-Community“. Und kommt von dieser nicht mehr so schnell los. Manche tauche ein Leben lang ein, in dieses stets am ersten Augustwochenende live-haftig zelebrierte Paralleluniversum.

      Und das alles kam so …

      Die Historie des W:O:A

      1990–1994: Wie alles begann

      Wie immer in solchen Fällen: Am Anfang gab es diesen Geistesblitz – manche würden rückblickend von einer „Stammtischidee“ sprechen, die sich dann aus unerfindlichen Gründen verselbstständigte und zu etwas Großen heranwuchs.

      In diesem Fall haben einige von der Rockmusik begeisterte Jungs den Einfall, in ihrer von den meisten internationalen Acts konsequent bis rigoros gemiedenen schleswig-holsteinischen Heimat, dem Kreis Steinburg, über die organisierten Busreisen zu Konzerten in Hamburg, Bremen oder Hannover hinaus selbst etwas auf die Beine zu stellen. Ihre Namen: Thomas Jensen und Holger Hübner.

      Ersterer ist selbst aktiver Musiker, zupft den Bass in der Cover-Combo Skyline, besitzt somit Erfahrungen im Bereich der Bühnentechnik, aber auch wertvolle Kontakte zu lokalen und überregionalen Veranstaltern und Tour-Promoter.

      Letzterer betätigt sich oft als Rock- und Metal-DJ, verfügt dementsprechend über das sichere Gespür dafür, welche Trends gerade im Kommen sind und welche nicht. Beide kennen sich seit Jugendjahren, spielten zusammen Fußball beim TSV Wacken. Hübner begleitet in seiner Eigenschaft als Discjockey die Band seines Kumpels Thomas oft auf Gigs. Und während eines gemeinsamen Kneipenbesuchs, wird eines Abends im Spätherbst 1989 hemmungslos drauflos fantasiert: „Wie wär’s, wenn wir eine Rock-Party nicht mal in geschlossenen Räumlichkeiten durchziehen, sondern draußen?“ Zum Beispiel in jener Kuhle, die der lokale Motorradverein ‚No Mercys‘ für seine Treffen und Partys mit bis zu 3.000 Gästen nutzte und die sich somit ideal als erprobte Kampfesstätte anbot?

      Und während in erster Linie die Skyline-Rhythmussektion – Bassist Thomas Jensen und Schlagwerker Andreas Göser, aber auch Thomas Bruder Jörg – begeistert von dieser Idee sind und die Initiative ergreifen, zieht Holger anfangs nur zögerlich, dann aber schnell hochgradig begeistert mit. Es ist auch Thomas, der dem soeben beschlossenen Unternehmen einen dezent professionellen Touch verliert, indem er den bis in die heutigen Tage gültigen Firmennamen fast schon im ureigenen Wortsinn in Stein meißelt: „Stone Castle Rock Promotion“ – wobei „Stone“ und „Castle“ der Eins-zu-eins-Übersetzung von „Steinburg“ (jenem Verwaltungsbezirk, in den auch die Gemeinde Wacken eingegliedert ist) entspringen.

      Über zwei Dinge ist sich das Quartett von Anfang an einig: Wenn sie selbst ein eigenes Freiluft-Event auf die Beine stellen, dann „nur konsequent im harten Bereich“. Denn „musikalische Gemischtwarenhandlungen gab es Anfang der Neunziger bereits zur Genüge – zum Beispiel das Open Air ganz in der Nähe in Jübek. Außerdem wolle man so gleichzeitig versuchen, die Biker für die Idee eines Open Airs zu begeistern, sie zumindest zum Mitfeiern zu bewegen, so dass ein reger Publikumszuspruch garantiert wäre. Und zweitens: „Uns ärgerte, dass die großen Rock-Festivals in Deutschland – die berühmten ‚Monsters of Rock‘ in den Achtziger Jahren beziehungsweise später das ‚Super Rock‘ in Mannheim – immer nur als eintägige Events durchgeführt wurden. Meistens reiste man da einen Tag vorher im Auto an und übernachtete in selbigem, weil das Programm ja bereits um 12 Uhr mittags begann und man auch nicht einen einzigen Ton verpassen wollte. Und nach dem Schlussakkord legte man sich zum Ausnüchtern wieder ins Auto und schlug sich dort eine weitere Nacht um die Ohren. Deswegen war für uns klar: Wenn wir eine eigene Veranstaltung aus der Taufe heben wollen, dann mit entsprechendem Service, wie in Skandinavien bereits Usus – sprich: mit Camping- und Übernachtungsmöglichkeiten quasi direkt vor der Bühne!“

      1990

      Als Gelände bietet sich nach